OGH 4Ob14/14h

OGH4Ob14/14h25.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj D***** G*****, und der mj M***** G*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter T***** G*****, vertreten durch Dr. Marco Rovagnati, Rechtsanwalt in Innsbruck, als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 6. August 2013, GZ 51 R 49/13z‑261, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00014.14H.0325.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. In Entsprechung des Grundsatzes der Familienautonomie soll den Familienmitgliedern die Obsorge solange gewahrt bleiben, als sich das mit dem Kindeswohl verträgt, sodass die Beschränkung der Obsorge nur das letzte Mittel sein und nur insoweit angeordnet werden darf, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist. Von einer solchen Vorkehrung darf das Gericht nur aus schwerwiegenden Gründen Gebrauch machen (RIS‑Justiz RS0048712 [T1]; vgl RS0047841 [T13]).

1.2. Diese Grundsätze gelten für den Anwendungsbereich des § 176 Abs 1 ABGB ebenso wie für die Interimskompetenz des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 215 Abs 1 zweiter Satz ABGB, wenn im Bereich von Pflege und Erziehung Gefahr im Verzug ist (RIS‑Justiz RS0048712 [T7]).

1.3. Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS‑Justiz RS0048632). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RIS‑Justiz RS0048633 [T3]). Dazu gehört auch das Nichtbewältigen von Erziehungsaufgaben (RIS‑Justiz RS0048633 [T18]).

2.1. Das Rekursgericht ist von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung nicht abgewichen. Eine Gefährdung der Minderjährigen durch das Verhalten der Mutter ergibt sich unzweideutig aus den erstgerichtlichen Feststellungen.

2.2. Danach ist die Mutter erziehungsunfähig, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist bei einer Rückführung der Kinder zur Mutter zu erwarten, dass diese wieder Kämpfe gegen die Institutionen ausfechten und Vereinbarungen unterlaufen wird; letzteres ist ein generelles Persönlichkeitsmerkmal der Mutter. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist bei einer Rückführung der Kinder zur Mutter weiters zu erwarten, dass sie ihre Kinder zu „Delegierten der eigenen Spaltungsprozesse“ machen würde, mit dem Ergebnis, dass die Kinder in einer schul- und umgebungsfeindlichen Welt aufwachsen würden. Dazu kommt, dass die Mutter eine „Besuchsmama“ ohne jede Erfahrungswerte betreffend Kinderprobleme in der anstehenden Pubertät ist; beide Kinder bedürfen schon jetzt einer intensiven Psychotherapie. Die Kinder sind seit 2008 fremduntergebracht (die Tochter somit seit ihrem dritten Lebensjahr); die mit einem Wechsel der Erziehungsverhältnisse verbundene Zukunftsprognose fällt zu Lasten der Mutter aus.

2.3. Unzutreffend ist der Vorwurf des Rechtsmittels, das Rekursgericht habe sich nicht mit der Möglichkeit einer Unterbringung der Mutter mit den Kindern in einem Mutter-Kind-Heim als gelinderes Mittel im Vergleich zur Entziehung der Obsorge befasst. Die Entscheidung setzt sich ausführlich mit den einzelnen Gutachtensergebnissen und der von der Mutter angeregten Möglichkeit der Unterbringung in einem Mutter-Kind-Heim auseinander und gelangt nachvollziehbar zum Ergebnis, dass eine Zusammenarbeit der Mutter mit Behörden nur funktioniert, solange die Kinder nicht eingebunden sind.

2.4. Auch berücksichtigen die Vorinstanzen sehr wohl die Tatsache, dass eine gute Mutter-Kind-Beziehung vorliegt, doch rechtfertigten die getroffenen Feststellungen ‑ anders als in der Entscheidung 4 Ob 165/13p ‑ jedenfalls die Annahme einer massiven Kindeswohlgefährdung, zumal die Minderjährigen von der Mutter bereits in Loyalitätskonflikte verstrickt wurden und insbesondere der Sohn aufgrund des Verhaltens der Mutter einen hochgradigen sonderpädagogischen Bedarf hat.

3. Die Vorinstanzen haben entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Auffassung den in § 16 AußStrG normierten Untersuchungsgrundsatz nicht verletzt. Insbesondere das Rekursgericht hat detailliert zu sämtlichen vorliegenden Gutachtensergebnissen im Zusammenhang mit der Unterbringung im Mutter-Kind-Heim und der Kooperationsfähigkeit der Mutter mit Institutionen im „Helfersystemdreieck Mutter-Kinder-Institutionen“ Stellung genommen. Ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist eine Frage der in dritter Instanz nicht bekämpfbaren Beweiswürdigung (RIS‑Justiz RS0043320). Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0007236).

Stichworte