OGH 7Ob12/14m

OGH7Ob12/14m26.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey, Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. E***** B*****, 2. J***** B*****, beide vertreten durch Dr. Gert Weiler, Rechtsanwalt in Feldbach, wegen 23.700 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 16. Oktober 2013, GZ 5 R 145/13b‑16, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Juli 2013, GZ 34 Cg 6/13i‑12 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00012.14M.0226.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zu ungeteilter Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.539,47 EUR (darin enthalten 256,27 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508 Abs 1 ZPO). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Beweisbelastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS‑Justiz RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS‑Justiz RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS‑Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS‑Justiz RS0116979). Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt (RIS‑Justiz RS0081253). Nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letzteren beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet. Täuschung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, aber auch, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach „Schwierigkeiten“ bei der Schadensfeststellung verhindern will (RIS‑Justiz RS0109766).

Hat der Versicherer den Schaden liquidiert, obwohl Leistungsfreiheit gegeben ist, so kann die Leistung unter den Voraussetzungen des § 1431 ABGB zurückverlangt werden (RIS‑Justiz RS0033755).

Bereits vor dem Hintergrund der bestehenden Judikatur erweist sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, den Beklagten sei eine auf dolus coloratus beruhende Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen, der Kausalitätsgegenbeweis daher unzulässig und die Klägerin nach § 1431 ABGB zur Rückforderung der trotz Leistungsfreiheit erfolgten Zahlung berechtigt, als zutreffend.

Nach der Bedingungslage erwirbt der Versicherungsnehmer Anspruch auf Ersatz des den Zeitwertschaden übersteigenden Schadens erst, wenn gesichert ist, dass die Entschädigung zur Gänze zur Wiederherstellung bzw Wiederbeschaffung verwendet wird.

Nachdem der Sachverständige der Klägerin den durch Hagelschlag verursachten Neuwertschaden in Höhe von 23.700 EUR festgestellt hatte und die Klägerin die Beklagten zur Vorlage einer entsprechenden Reparaturrechnung aufgefordert hatte, legten die Beklagten eine ‑ fingierte ‑ Eigenrechnung über den Betrag von 23.700 EUR vor, um die Auszahlung des Neuwertschadens vor Sicherstellung der Wiederherstellung zu erreichen.

Damit haben die Beklagten die ihnen auferlegte Obliegenheit, im Zuge der Schadensabwicklung alle schriftlichen und mündlichen Angaben vollständig und wahrheitsgemäß zu machen, mit Täuschungsabsicht verletzt, um die Auszahlung des Neuwertschadens zu einem Zeitpunkt zu erreichen, zu dem sie über keinen Anspruch auf Ersatz eines über den Zeitwertschaden hinausgehenden Betrags verfügten. Die auf dolus coloratus beruhende Obliegenheitsverletzung hatte damit ‑ unabhängig von der davor erfolgten Schadensfeststellung ‑ unmittelbar Einfluss auf den Umfang der Leistungspflicht der Klägerin.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der ERV‑Zuschlag beträgt nach § 23a RATG lediglich 1,80 EUR.

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