OGH 10Ob55/13f

OGH10Ob55/13f25.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Fellinger als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1203 Wien, Webergasse 4, vertreten durch Dr. Harald Kirchlechner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr. Amhof & Dr. Damian Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 96.743,35 EUR sA und Feststellung (Feststellungsinteresse: 15.000 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. August 2013, GZ 13 R 108/13t‑83, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teilzwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. März 2013, GZ 24 Cg 263/11i‑79, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Entscheidungsgründe:

Am 10. 1. 2007 gegen 8:00 Uhr morgens ereignete sich in B***** ein Jagdunfall, bei dem die Forstarbeiterin H***** durch einen vom Beklagten auf ein Wildschwein abgegebenen Schuss schwer verletzt wurde. Die Klägerin erbrachte nach Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall aus der gesetzlichen Unfallversicherung an H***** Sach- und Geldleistungen. Mit der vorliegenden Klage begehrt sie die Zahlung von 96.743,35 EUR und die Feststellung, der Beklagte hafte ihr für sämtliche zukünftigen Aufwendungen, welche sie aus Anlass des Jagdunfalls vom 10. 1. 2007 aufgrund der jeweils in Geltung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zu erbringen habe.

Zum Unfallhergang steht zusammengefasst fest, dass der Beklagte am Unfalltag über eine gültige Jagdkarte und über einen Abschussvertrag für den gegenständlichen Revierteil verfügte. Vor Beginn seines Jagdganges hatte er sich nicht bei der Forstverwaltung über allfällige forstbetriebliche Arbeiten erkundigt. Ein forstrechtliches Betretungsverbot war nicht verhängt. Der zur gleichen Zeit jagende Mag. S***** sah gegen 7:30 Uhr einen Kleinbus an der Reviergrenze fahren und hörte anschließend Geräusche, die er als mögliche Waldarbeiten interpretierte, aber nicht genau lokalisieren konnte. Um allfällige Gefährdungen hintanzuhalten, rief er gegen 7:45 Uhr den bereits auf der Pirsch befindlichen Beklagten auf dessen Mobiltelefon an. Er teilte ihm mit, dass er ein Fahrzeug auf dem Grenzweg zufahren gesehen und Geräusche gehört habe, bei denen es sich um Forstarbeiter handeln könnte. Der Beklagte nahm dies ohne weiteres Nachfragen zur Kenntnis. Ihm war bewusst, dass Schüsse in der Nähe von Forstarbeitern zu Gefährdungen führen könnten. Deshalb entschloss er sich, den Bereich entlang des Wassers auf die Anwesenheit von Forstarbeitern zu kontrollieren, um bei einer eventuellen Schussabgabe niemanden zu gefährden. Er hatte dort schon in den Vortagen Forstarbeiter wahrgenommen und nahm an, dass sie sich allenfalls wieder dort befinden würden. Er ging daher diesen Bereich vom Süden kommend in Richtung Nordwesten ab, ohne auf Arbeiter zu treffen. Vor dem Erreichen der äußerst nördlichen Grenze des Reviers bog er gegen die Windrichtung nach Westen ab, wodurch er zu einer etwa 1,5 ha großen Lichtung kam, die erst im Jahr zuvor geschlägert worden war. Er bewegte sich so leise wie möglich Schritt für Schritt vorwärts und suchte die Gegend mit dem Feldstecher nach Wild ab. H***** und ihr Arbeitskollege hielten sich zu diesem Zeitpunkt im Wald hinter der Lichtung auf. Der Aufenthaltsort beider Personen war von der Lichtung aus mit dem Feldstecher nicht einsichtig, sodass der Beklagte beide Personen nicht wahrnahm. Den Weg entlang der Reviergrenze beging der Beklagte nicht, weil er im Hinblick auf die gegebene Windrichtung befürchtete, allenfalls auf der Lichtung befindliches Wild zu vertreiben. Als sich der Beklagte auf der Lichtung befand, liefen vor ihm in Blickrichtung Wald mehrere Wildschweine von links nach rechts Richtung Weg. Als das letzte Wildschwein der Gruppe etwa in südwestlicher Richtung 35 m weit von ihm entfernt war, gab er bei freier Sicht auf das Wildschwein einen gezielten Schuss ab, verfehlte sein Ziel aber. Der Standort der H***** war zu diesem Zeitpunkt in südwestlicher Richtung etwa 75 m weit von der Schussposition des Beklagten und von der Position des Wildschweins etwa 44 m in südlicher Richtung entfernt. Ein Sichtkontakt zwischen ihr und dem Beklagten war wegen des dichten Unterholzes nicht gegeben. Das Geschoss durchschlug den Körper der H***** und verletzte sie schwer. Zum Zeitpunkt des Kontakts flog das Geschoss mit wesentlich reduzierter Geschwindigkeit. Nicht festgestellt werden kann, ob die Ursache dafür eine nicht ordnungsgemäß funktionierende Munition war oder ein Abpraller (Geller) von einem Kontakt mit einem Primärziel vor dem Auftreffen des Geschosses auf das Opfer. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich in der Zielrichtung des Beklagten bis zum Wildschwein bzw dem hinter dem Wildschwein befindlichen Erdwall (den der Beklagte als Kugelfang ansah) als mögliche Gellerursache erkennbare Hindernisse, Äste, Gesteinsbrocken etc befunden hätten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte vor dem Erdwall den Boden traf oder über diesen hinausschoss. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine Bodenberührung des Projektils im Bereich des Erdwalls stattgefunden und das Projektil von dort anschließend H***** getroffen hat. In diesem möglichen, aber äußerst unwahrscheinlichen Fall hätte das Geschoss durch ein ausreichend massives Hindernis um einen Winkel von nahezu 45 Grad abgelenkt werden müssen.

Gemäß Punkt 5 des Abschussvertrags ist dem Jagdgast auf Anfrage vom zuständigen Forstrevierleiter Auskunft über Ort und Zeitraum forstbetrieblicher Arbeiten auf der Jagdgebietsteilfläche zu geben. Weiters enthält Punkt 5 des Abschussvertrags die Verpflichtung des Jagdgastes, zur Gefahrenvermeidung verhängte forstrechtliche Betretungsverbote einzuhalten.

Es ist üblich, dass die Jagd neben anderen Waldnutzungen wie etwa Forstarbeiten ausgeübt wird.

Das Erstgericht stellte im zweiten Rechtsgang mit Teilzwischenurteil fest, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Der Beklagte habe die Forstarbeiterin durch den von ihm abgegebenen Schuss am Körper verletzt und ihr dadurch einen Schaden im Sinne des § 1325 ABGB zugefügt. § 96 NÖ JagdG, der jede sorglose oder das Leben anderer Menschen auch nur abstrakt gefährdende jagdliche Tätigkeit verbiete, sei als Schutzgesetz im Sinne des § 1311 Satz 2 ABGB zu qualifizieren. Der Beklagte hafte dafür, dass er es trotz konkreter Hinweise auf die Anwesenheit von Forstarbeitern unterlassen habe, sich vor Abgabe des Schusses ausreichend über deren Aufenthaltsort zu vergewissern. Mangels möglicher Sichtkontrolle mittels Fernstecher wäre er zu entsprechenden weiteren Nachforschungen verpflichtet gewesen, um sicherzustellen, dass sich bei Schussabgabe keine Menschen im räumlichen Nahe- und Gefährdungsbereich befinden. Er hätte zu diesem Zweck ‑ ungeachtet allenfalls beeinträchtigter Jagdchancen ‑ persönlich Nachschau durch weiteres Abgehen des Reviers halten können. Zumutbar wäre jedenfalls aber eine telefonische Kontaktaufnahme mit der Forstverwaltung gewesen, um das Einsatzgebiet der Forstarbeiter zu erfragen. Die mit dem Abschussvertrag getroffene Vereinbarung mit der Forstverwaltung könne die vom Beklagten gegenüber allenfalls im Revier befindlichen Forstarbeitern einzuhaltenden Sorgfaltspflichten nicht herabsetzen. Punkt 5 des Abschussvertrags sehe nämlich lediglich vor, dass Betretungsverbote vom Jagdgast einzuhalten seien, nicht aber dass sie bei der Durchführung von Forstarbeiten in jedem Fall zu verhängen wären. Der Beklagte habe sich somit nicht darauf verlassen dürfen, dass ihm die Anwesenheit von Forstarbeitern im Revier mittels forstlichem Betretungsverbot bekannt gemacht werde. Ob von einem sorgfältigen Jäger vor Abgabe eines Schusses eine persönliche Nachschau nach anderen Waldnutzern verlangt werde, sei eine Rechts- und keine Tatfrage und daher nicht von einem Sachverständigen aus dem Fachgebiet des Jagd‑ und Forstwesens zu beurteilen. Dass durch eine Nachschau ein erfolgreicher Abschuss möglicherweise vereitelt werden würde, rechtfertige jedenfalls nicht die Gefährdung potentiell in der Nähe befindlicher Menschen iSd § 96 NÖ JagdG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, der Beklagte habe durch Abgabe des Schusses im Nahbereich der Waldarbeiter den objektiven Tatbestand des § 96 NÖ JagdG verletzt. Sein Verschulden ergebe sich aus seinem Wissen bzw Wissenmüssen darüber, dass Menschen im Gefahrenbereich anwesend waren. Zugleich habe er gewusst, dass Schüsse in der Nähe von Forstarbeitern zu deren Gefährdung führen könnten. Er wäre daher vor einer Schussabgabe verpflichtet gewesen, den Aufenthaltsort der Forstarbeiter durch geeignete Nachforschungen herauszufinden. Er hätte zu diesem Zweck entweder den von ihm bejagten Teil des Reviers abgehen oder bei der Forstverwaltung mittels Mobiltelefon nachfragen können. Derartige Bemühungen habe er jedoch nicht unternommen. Zutreffend sei auch die Rechtsansicht, dass der Beklagte durch die im Abschussvertrag getroffene Vereinbarung über die Beachtung forstrechtlicher Betretungsverbote nicht von seiner Sorgfaltspflicht gegenüber im Jagdrevier anwesenden Personen befreit sei. Die Bezirkshauptmannschaft T***** habe das gegen den Beklagten wegen Entzugs der Jagdkarte geführte Verwaltungsverfahren nicht mittels Bescheid, sondern mittels Aktenvermerk nach § 45 Abs 1 VStG mit der Begründung eingestellt, dass die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen worden sei. In diesem Aktenvermerk sei die Behörde ohne eigene Sachverhaltsaufnahme in Verwertung der Ergebnisse des Strafverfahrens davon ausgegangen, dass der Beklagte von der Anwesenheit der Waldarbeiter nichts habe wissen können. Über die Anwendbarkeit des § 96 NÖ JagdG sei nicht abgesprochen worden. Der Aktenvermerk sei nicht präjudiziell; da er keinen Bescheid darstelle, entfalte er für die gegen den Beklagten geltend gemachten zivilrechtlichen Ansprüche keine Bindungswirkung. Der Anregung auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art 140 Abs 1 B-VG zu § 96 Abs 1 NÖ JagdG sei nicht nachzukommen. Das Eigentumsrecht und als dessen Ausfluss das Jagdrecht stehe nicht uneingeschränkt zu, sondern könne vom Gesetzgeber eingeschränkt werden, wenn grundrechtliche Positionen anderer Personen, wie etwa deren Leben oder Gesundheit geschützt werden. Sowohl der zweite Satz des Art 5 StGG als auch Art 1 ZPMRK enthielten entsprechende Gesetzesvorbehalte. Die gebotene Auslegung des § 96 NÖ JagdG mache die Ausübung der Jagd nicht gänzlich unmöglich, sondern verhindere sie nur an jenen Orten, an denen es zu einer Gefährdung von Menschen kommen würde. Eigentumsbeschränkungen im öffentlichen Interesse wären nur dann verfassungswidrig, wenn sie dem in seinem Eigentum Beschränkten ein Sonderopfer auferlegen. Dies sei nicht der Fall, weil die durch das NÖ JagdG in § 96 verfügte Eigentumsbeschränkung für alle Jagdausübungsberechtigten bzw Jagdgäste in gleicher Weise gelte. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage vorhanden sei, in welchem Umfang § 96 NÖ JagdG Nachforschungs- und Erkundungspflichten des Jagdausübungsberechtigten auslöse bzw zu der Frage, ob § 96 NÖ JagdG nur auf solche Fälle anwendbar sei, in denen der Jagdausübungsberechtigte über die Gefährdung anderer Personen ohne weitere Erkundungen Bescheid wisse.

Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 96 NÖ JagdG besteht. Sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat die Feststellungen des Erstgerichts übernommen und seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt. Soweit der Beklagte dennoch geltend macht, das Berufungsgericht sei von den erstgerichtlichen Feststellungen „zu seinen Lasten“ abgewichen, wendet er sich der Sache nach gegen die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht.

2.1. Gemäß § 1 erster Halbsatz NÖ JagdG umfasst das Jagdrecht ua die Befugnis, dem Wild nachzustellen, es zu fangen, zu erlegen und sich anzueignen. Nach § 1 Abs 2 NÖ JagdG unterliegt das Jagdrecht den Beschränkungen nach diesem Gesetz. Im Abschnitt V des NÖ JagdG „Vorschriften für die Jagdbetriebsführung, jagdliche Verbote“ findet sich neben verschiedenen Verboten ua die mit „Örtliche Beschränkungen bei der Ausübung der Jagd“ übertitelte Regelung des § 96 NÖ JadgG. Nach deren Absatz 1 darf an Orten, an denen die Jagd die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit stören oder das Leben von Menschen gefährden würde, nicht gejagt werden. Gemäß § 96 Abs 2 NÖ JagdG darf das Wild in der nächsten Umgebung von Ortschaften, von Heil- und Erholungsstätten und von einzelnen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden zwar aufgesucht und getrieben, aber nicht beschossen werden.

2.2. Bei der Bestimmung des § 96 NÖ JagdG handelt es sich somit um eine Vorschrift, die nicht die Durchsetzung jagdlicher Grundsätze bei der Jagd zum Gegenstand hat, sondern um eine Norm, die nach ihrem erklärten Zweck dem Schutz der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie dem Schutz von Menschen vor Gefährdung ihrer körperlichen Sicherheit dient. Verboten wird jede sorglose oder das Leben anderer Menschen auch nur abstrakt gefährdende jagdliche Tätigkeit ( Müller/Bauer/Horvath/Zimper , Die Jagdgesetze der österreichischen Bundesländer Burgenland, Niederösterreich, Wien, Anm zu § 96 NÖ JagdG). Es wird die Jagdausübung auf Flächen untersagt, auf denen sie an sich erlaubt wäre, nach den Umständen des einzelnen Falles aber deshalb unzulässig ist, weil zum Zeitpunkt der beabsichtigten Jagdausübung die Sicherheit von Menschen gefährdet würde ( Müller/Bauer/Horvath/Zimper , Die Jagdgesetze der österreichischen Bundesländer Burgenland, Niederösterreich, Wien § 96 NÖ JagdG, N 272; siehe auch Abart/Lang/Obholzer , Tiroler Jagdrecht, Anm 1 bis 3 zu dem ähnlich formulierten § 41 TirJagdG, 134). § 96 Abs 1 NÖ JagdG stellt somit an den Einzelnen die Aufgabe, die Voraussetzungen der Jagdausübung zu prüfen. Er darf die Jagd ortsbezogen bei der Gefährdung von Menschenleben als auch bei Störung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit nicht ausüben. Das Verbot betrifft auch jene Örtlichkeiten, an denen eine Gefährdung von Menschen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, etwa wenn der Schütze aufgrund der Unübersichtlichkeit des Geländes oder dessen Beschaffenheit (steiniger Untergrund) nicht auszuschließen vermag, dass der Schuss bei Nichtauftreffen auf dem Wildkörper mangels eines Kugelfangs oder nach Durchdringung des Wildkörpers abgelenkt wird und dabei Menschen gefährdet ( Welp in Schuck , Kommentar zum Bundesjagdgesetz [2010], zum wortgleichen § 20 Abs 1 des deutschen Bundesjagdgesetzes Rz 8). Je nach den Umständen ist die Vorschrift geeignet ‑ und dann dazu bestimmt ‑ die Gefährdung von Menschen nicht nur durch abirrende Geschosse, sondern durch ihre Verwechslung mit Wild zu verhindern, so etwa wenn bei ungeeignetem Licht gejagt wird oder bei einer Schussabgabe pflichtwidrig ein unsicherer Kugelfang gewählt wird ( Lorz/Metzger/Stöckel , Jagdrecht Fischereirecht 4 § 20 des deutschen Bundesjagdgesetzes Rz 3).

2.3. Bei § 96 Abs 1 NÖ JagdG handelt es sich somit um ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB, das als abstraktes Gefährdungsverbot dazu bestimmt ist, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS‑Justiz RS0027710; siehe auch Welp in Schuck , Kommentar zum Bundesjagdgesetz [2010], § 20 Rz 2). § 96 Abs 1 NÖ JagdG hat gerade auch den Zweck, einen Geschädigten vor den schließlich eingetretenen Nachteilen zu bewahren (RIS-Justiz RS0050038).

2.4. § 96 NÖ JagdG ist demnach nicht unter Heranziehung jagdlicher Erwägungen darüber auszulegen, wie die Gefährdung von Menschen vermieden werden kann, ohne die Erfolgsaussichten der Jagd zu beeinträchtigen, sondern allein unter Bedachtnahme auf den Schutzzweck (siehe 8 Ob 532/87 zu § 15 Abs 6 DVKrnt JagdG bzw § 68 Krnt JagdG).

2.5. Dies führt zu dem Ergebnis, dass § 96 Abs 1 NÖ JagdG nicht der vom Revisionswerber gewünschten einschränkenden Auslegung in dem Sinne zugänglich ist, dass ein Abgehen des Reviers das Wild verscheuchen würde und deshalb trotz der Anwesenheit anderer Personen im Jagdgebiet ein Büchsenschuss (generell) schon immer dann abgegeben werden darf, wenn ein geeigneter Kugelfang vorhanden ist und sich kein Hindernis in Zielrichtung befindet. Ebensowenig ist die einschränkende Auslegung zulässig, eine örtliche Beschränkung iSd § 96 Abs 1 NÖ JagdG wäre ausschließlich an Orten mit „erhöhtem Menschenaufkommen“ gegeben, wie etwa beim Stattfinden öffentlicher Veranstaltungen, Prozessionen, oder Umzügen oder bei der Spargel- oder Weinernte. Vielmehr ist auch die abstrakte Gefährdung eines einzelnen Menschen vom Schutzzweck des § 96 NÖ JagdG umfasst. Der Jagdausübungsberechtigte (Jagdgast) muss sich in jedem einzelnen Fall entscheiden und sich vor allem davon überzeugen, ob er die Jagd nach den gerade gegebenen konkreten Umständen des Einzelfalls ausüben oder sich der Jagd enthalten muss ( Abart/Lang/Obholzer , Tiroler Jagdrecht, Anm 1 bis 3 zu dem ähnlich formulierten § 41 TirJagdG, 134).

2.6. Ob er dabei den von § 96 NÖ JagdG normierten Anforderungen entsprochen hat, ist eine Rechts- und keine Tatfrage. Nur Tatfragen wären aber einer Beurteilung durch jagdfachliche Sachverständigengutachten zugänglich.

3.1. Der Beklagte hat im vorliegenden Fall § 96 Abs 1 NÖ JagdG durch die von den Vorinstanzen festgestellte Verhaltensweise eindeutig zuwidergehandelt. Er war darüber informiert, dass sich Forstarbeiter im weiteren Gefahrenbereich befanden. Nach den Feststellungen wusste er, dass in deren Nähe abgegebene Schüsse zu Gefährdungen führen können. Obwohl er wegen der Uneinsehbarkeit des Geländes den Aufenthaltsort der Forstarbeiter auch mittels Feldstecher nicht lokalisieren konnte, hat er vor Schussabgabe keine geeigneten bzw ausreichenden weiteren Überprüfungen bzw Nachforschungen angestellt. Derartige Nachforschungen wären ihm aber durchaus zumutbar gewesen. So hätte nach den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen nicht nur das weitere Abgehen des Reviers Aufschluss bringen können, sondern auch eine Anfrage beim Forstrevierleiter über Ort und Zeitraum der forstbetrieblichen Arbeiten (siehe Punkt 5 des Abschussvertrags) mittels Mobiltelefons. Dadurch, dass der Beklagte die erforderlichen Nachforschungen unterließ, hat er gegen die Schutznorm des § 96 Abs 1 NÖ JagdG verstoßen.

3.2. Bei Verletzung einer Schutznorm muss sich das Verschulden nicht auf die Zufügung des Schadens, sondern bloß auf die Übertretung der Schutznorm beziehen. Der Beklagte haftet daher auch dann, wenn ihm der konkrete Schadenseintritt nicht voraussehbar war (4 Ob 216/99i mwN). Selbst wenn die Verletzung durch einen Abpraller (Geller) entstanden sein sollte, könnte es sich im Übrigen nicht um einen (reinen) Zufall im Sinn einer „Verkettung absolut unvorhersehbarer und unwahrscheinlicher Umstände“ handeln, ist doch die Gellerwirkung eines abgeschossenen Projektils eine naturgesetzliche Folge des abgegebenen Schusses (3 Ob 749/51 = SZ 25/14). Sie liegt damit nicht außerhalb der allgemeinen menschlichen Erfahrung.

3.3. Nach § 34 Abs 1 ForstG darf der Wald unbeschadet der Bestimmungen des § 33 Abs 2 ForstG von der Benutzung zu Erholungszwecken vom Waldeigentümer befristet (Abs 2) oder dauernd (Abs 3) ausgenommen werden (Sperre). Befristete Sperren sind ua für Gefährdungsbereiche der Holzfällung und ‑bringung bis zur Abfuhrstelle auf die Dauer der Holzerntearbeiten zulässig (§ 34 Abs 2 lit b ForstG). Der Zweck dieser Norm liegt darin, dem Waldeigentümer die Möglichkeit einzuräumen, zum Schutz Erholungssuchender vor Gefährdungen durch Holzfällungs- und Holzbringungsarbeiten befristete Betretungsverbote zu verhängen. Eine Verpflichtung des Waldeigentümers bei Durchführung von Forstarbeiten (welcher Art auch immer) in jedem Fall ein Betretungsverbot zu verhängen, lässt sich aus § 34 Abs 2 lit b ForstG nicht entnehmen. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kann diese Bestimmung somit nicht dazu dienen, Jagdgäste bei Ausübung der Jagd von den ihnen durch § 96 NÖ JagdG auferlegten Pflichten zu entbinden. Zudem ist es nach den Feststellungen üblich, dass die Jagd neben Forstarbeiten ausgeübt wird.

3.4. Selbst wenn man von der Ansicht des Revisionswerbers ausgehen wollte, nach der dem Aktenvermerk über die Verfahrenseinstellung Bescheidqualität zukäme, wäre für die Gerichte nur das verbindlich, was die Verwaltungsbehörde im Bescheid verfügt hat (hier die Einstellung des Verwaltungsverfahrens), nicht aber die Bescheidbegründung. Bindend könnte immer nur der Spruch über den Bescheidgegenstand sein (RIS-Justiz RS0037051 [T1]), nicht aber dessen rechtliche Beurteilung (RIS-Justiz RS0037015 [T2]).

4. Im Hinblick auf den dargestellten Schutzzweck des § 96 NÖ JagdG hat der Beklagte daher für den dem Geschädigten entstandenen Schaden dem Grunde nach zu haften, wenn er nicht beweist, dass der Schaden auch im Falle seines vorschriftsmäßigen Verhaltens in gleicher Weise eingetreten wäre (SZ 51/188 uva). Diesen Beweis hat der Beklagte weder angetreten noch erbracht.

5. Der erkennende Senat vermag in dem unter Punkt 2. erzielten Auslegungsergebnis keinen

Eingriff in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte des Beklagten zu erblicken. § 96 Abs 1 NÖ JagdG enthält kein generelles Verbot der Jagd, sondern eine Einschränkung des Jagdrechtes auf jene Orte, an denen durch seine Ausübung nach den gegebenen Umständen die Sicherheit von Menschen nicht gefährdet wird. Eine derartige Einschränkung ist erforderlich und auch nicht unverhältnismäßig. Der Senat sieht sich daher nicht veranlasst, beim Verfassungsgerichtshof ‑ in Entsprechung einer Anregung des Beklagten ‑ die Aufhebung dieser Bestimmung zu beantragen.

Das Berufungsgericht hat die Haftung des Beklagten für den der Klägerin entstandenen Schaden dem Grunde nach zu Recht bejaht. Die Revision des Beklagten bleibt somit erfolglos.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 2 ZPO.

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