OGH 11Os2/14z

OGH11Os2/14z11.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und Mag. Fürnkranz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sattlberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Georg D***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 19. September 2013, GZ 41 Hv 26/13h‑22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Georg D***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 2 (zu ergänzen: zweiter Fall), 15 StGB (I./), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 207 Abs 2 (zu ergänzen: zweiter Fall), 15 StGB (II./) sowie mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in S***** und an anderen Orten

I./ nachgenannte zum Tatzeitpunkt unmündige Personen dazu verleitet, dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen an sich selbst vorzunehmen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen, und zwar

a./ von Februar 2009 bis Ende 2010 die am 18. Dezember 1997 geborene Carmen V***** durch die wiederholten Aufforderungen, sich durch Einführen von Fingern in die Scheide zu befriedigen;

b./ von 29. November 2009 bis 27. Februar 2011 (richtig: 30. April 2010) die am 1. Mai 1996 geborene Lisa W***** durch die wiederholten Aufforderungen, sich durch Einführen von Fingern und diverse Gegenstände, wie zum Beispiel einem Kammstiel, Stifte, einer elektrischen Zahnbürste und anderer Dinge in die Scheide zu befriedigen;

c./ am 16. November 2009 die am 18. Juli 1998 geborene Vanessa S***** durch die Aufforderung, sich durch Einführen von Fingern und Stiften in die Scheide zu befriedigen;

d./ von Oktober/November 2009 bis 26. Juli 2010 die am 16. Dezember 1996 geborene Catherine Vo***** durch die wiederholten Aufforderungen, sich durch Einführen von Fingern in die Scheide zu befriedigen, wobei die Taten beim Versuch blieben;

e./ am 18. Juli 2009 die am 15. Mai 1996 geborene Verena L***** durch die wiederholten Aufforderungen, sich durch Einführen von Fingern und Gegenständen in die Scheide zu befriedigen;

f./ am 19. Mai 2009 die am 9. April 1998 geborene Alexandra Z***** durch die Aufforderung, sich durch Einführen eines Stiftes in die Scheide zu befriedigen;

g./ am 18. Juli 2009 die am 5. August 1996 geborene Pascale P***** durch die Aufforderung, sich durch Einführen von Fingern und Gegenständen in die Scheide zu befriedigen;

h./ vom 22. Oktober 2009 bis 3. November 2009 die am 19. November 1995 geborene Jana M***** durch die Aufforderung, sich durch Einführen von Fingern bzw diverser Gegenstände, wie zum Beispiel Textmarker, Filzstift, Kerze, Stiel eines Kammes, in die Scheide zu befriedigen, wobei die Tat beim Versuch blieb;

i./ am 24. Oktober 2009 die am 11. November 1995 geborene Stefanie G***** durch die Aufforderung, sich durch Einführen von Fingern in die Scheide zu befriedigen;

j./ am 23. Juli 2009 die am 27. Juni 1997 geborene Fabienne K***** durch die Aufforderung, sich durch Einführen von Fingern in die Scheide zu befriedigen;

k./ am 23. Juli 2009 die am 7. November 1995 geborene Janine K***** durch die Aufforderung, sich durch Einführen von Fingern in die Scheide zu befriedigen;

II./ nachgenannte zum Tatzeitpunkt unmündige Personen dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, um sich geschlechtlich zu erregen, und zwar

a./ von 28. Dezember 2009 bis 3. Dezember 2010 den am 15. Mai 1999 geborenen Cornelius B***** durch die Aufforderung zu onanieren, zur mehrmaligen Selbstbefriedigung;

b./ von November 2008 bis August 2009 die am 31. Juli 1996 geborene Linda Sch***** durch die Aufforderung, sich einen Finger in die Scheide einzuführen, woraufhin sie sich zumindest mit den Fingern an der nackten Scheide rieb;

c./ von September 2009 bis 13. Juni 2010 die am 22. Oktober 1996 geborene Carina Gr***** durch die Aufforderung mit ihren Fingern ihre nackten Brüste sowie Scheide zu massieren;

d./ im Sommer 2009 die am 20. März 1998 geborene Janine Be***** durch die Aufforderung, sich durch Berühren mit einem Finger an der Scheide zu befriedigen, wobei die Tat beim Versuch blieb;

e./ von 21. August 2009 bis 15. Oktober 2009 die am 29. August 1996 geborene Sabrina H***** durch die wiederholten Aufforderungen, sich einen Finger nass zu machen und damit unterhalb der Boxershort „an ihre Scheide zu fahren“, wobei die Tat beim Versuch blieb;

III./ von Februar 2009 bis Ende 2010 pornographische Darstellungen minderjähriger Personen, nämlich Videodateien, in denen die zu Punkt I./ und II./ beschriebenen Handlungen, mit Ausnahme jener Fakten, bei denen die Tat beim Versuch blieb, dargestellt werden, hergestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 5, 9 lit a, 9 lit b, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) ist den zu Punkt I./f./ getroffenen Feststellungen unmissverständlich zu entnehmen, dass sich die Unmündige aufgrund der Aufforderung des Angeklagten einen Stift in die Scheide einführte, sich demnach mit einem hiezu tauglichen Gegenstand penetrierte (US 4; RIS-Justiz RS0089983, RS0117995). Im Übrigen bezieht sich die Beschwerde (hinsichtlich der anderen Schuldspruchpunkte zu I./ wegen der von den Tatrichtern angenommenen Digitalpenetration) von vornherein nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände.

Mit vom Urteilssachverhalt abweichenden Spekulationen, wonach der Angeklagte etwa nicht bestraft worden wäre, wenn er dazu aufgefordert hätte, Milch über den Genitalbereich zu schütten, zeigt der Beschwerdeführer keinen Begründungsmangel auf.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810). Eine in der Rechtsrüge behauptete rechtliche Konsequenz ist methodengerecht aus dem Gesetz abzuleiten (RIS-Justiz RS0116565).

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ‑ erkennbar in Bezug auf die Schuldsprüche I./ und II./ ‑ zum Tatbestandsmerkmal der Verleitung tragende Feststellungen vermisst und entgegen der Konstatierungen behauptet, das Erstgericht halte die Kontakte nicht auseinander (vgl US 3 bis 7), verfehlt sie die dargelegten Anfechtungskriterien.

Aus welchem Grund die von den Tatrichtern festgestellte Aufforderung des Angeklagten per Chat zu den im Urteil detailliert beschriebenen sexuellen Handlungen den Tatbeständen der §§ 206 Abs 2 zweiter Fall, 207 Abs 2 zweiter Fall StGB nicht genügen sollte, leitet die Rüge ebenso wenig aus dem Gesetz ab wie die Behauptung, dass es auch einer Klärung durch Feststellungen bedurft hätte, „warum die unmündigen Personen durch diese Aufforderungen verleitet wurden (worden sein sollten)“.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass „Verleiten“ ein Veranlassen, ein Bestimmen des Opfers nach Art des § 12 zweiter Fall StGB bedeutet (vgl Philipp in WK² StGB § 206 Rz 13). Genau davon gingen die Tatrichter aus (vgl US 4 f, … worauf ... nachgekommen ist).

Wenn die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ‑ ohne Bezugnahme auf ein entsprechendes Beweisergebnis in der Hauptverhandlung ‑ spekuliert, sofern der Angeklagte selbst zur Abgabe einer Aufforderung verleitet wurde, sei er nicht der Verleitende, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung.

Mit dem weiteren Einwand, die Unmündigen hätten den Kontakt, der via Internet erfolgte, abbrechen können, spricht die Beschwerde die Abgrenzung Versuch/Vollendung, damit aber von vornherein keinen für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage bedeutsamen Umstand an (RIS‑Justiz RS0122138). In welchen Fällen das Erstgericht zu Unrecht von Versuch statt Vollendung ausgegangen sei (dsN Z 11), sagt die Beschwerde nicht.

Indem der Rechtsmittelwerber das festgestellte Einwirken auf den Willen der Opfer bzw den diesbezüglichen Versuch des Angeklagten in Zweifel zieht (US 4 bis 7), zeigt er keine unrichtige rechtliche Beurteilung auf, sondern argumentiert nach Art einer in kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) einwendet, dass die unmündigen Personen freiwillig mitgemacht hätten, legt sie nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb einem allfälligen Einverständnis der Unmündigen eine rechtfertigende Wirkung zukommen sollte, obwohl §§ 206, 207 StGB nicht die Willensbildung oder Willensbetätigung der Unmündigen, sondern deren sexuelle Integrität schützen (Philipp in WK² StGB § 206 Rz 1 f; 13 Os 54/13k).

Aus welchem Grund es aus Sicht der §§ 206, 207 StGB einer ausdrücklichen Konstatierung der besonderen Schutzwürdigkeit der Unmündigen bedurft hätte, lässt der Beschwerdeführer gleichfalls offen.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei klar gestellt, dass einer eventuellen Einwilligung (einem Einverständnis) der Unmündigen keine Bedeutung zukommt. Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres wird nämlich unwiderlegbar vermutet, dass die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit noch nicht gegeben ist (vgl Philipp in WK² StGB § 206 Rz 1 f).

Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) vorbringt, dass § 206 StGB nicht definiere, was unter einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung zu verstehen sei, zeigt sie keine unrichtige Gesetzesauslegung auf (RIS‑Justiz RS0118416).

Das gilt auch für deren Hinweis auf das Analogieverbot.

Der ohne konkrete Anführung einer Fundstelle erfolgte apodiktische Verweis des Rechtsmittels auf eine Problematisierung des § 206 Abs 2 StGB im wissenschaftlichen Schrifttum und auf eine Bestreitung der Möglichkeit eines Anwendungsfalles durch einen namentlich genannten Autor genügt den Anforderungen zur prozessförmigen Darstellung einer Subsumtions‑ oder Rechtsrüge nicht.

Der Vorwurf, der Oberste Gerichtshof agiere im Rahmen der Auslegung des § 206 Abs 2 StGB widersprüchlich, willkürlich, ignoriere die Bestimmungen des § 1 StGB und des Art 18 B‑VG, versuche offensichtlich einem unsinnigen Gesetz einen Sinn zu geben und werde dadurch de facto selbst zum Gesetzgeber, indem er § 206 Abs 2 StGB einen Anwendungsbereich zubillige, entzieht sich ebenso einer inhaltlichen Erwiderung wie die Ausführungen der Beschwerde zum hier nicht vorliegenden Geschlechtsverkehr, Oralverkehr, Petting, Einführen eines künstlichen Penis, Berühren eines Geschlechtsteils mit der Zunge oder zur Befruchtung der weiblichen Eizelle.

Weshalb eine Penetration mit Gegenständen bzw das Einführen eines Fingers nicht tatbestandsmäßig sein sollte oder aus welchem Grund der Tatbestand eine direkte Anwesenheit des Angeklagten am Tatort verlangen sollte, legt die Rüge erneut nicht prozessförmig dar.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof keinen Grund sieht, von seiner Rechtsauffassung, wonach die von einem unmündigen Mädchen (über Verleitung des Täters) an sich selbst vorgenommene digitale Vaginalpenetration den objektiven Tatbestand des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB verwirklicht, abzugehen (13 Os 54/13k; 15 Os 100/09h; RIS‑Justiz RS0095305 [T2]).

Soweit die Rüge (Z 10) eine Subsumtion unter § 207 StGB anstrebt, das Vorliegen einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung bestreitet, dazu aber lediglich vorbringt, dass der Angeklagte nicht unmittelbar zugegen gewesen sei, verfehlt sie erneut die prozessförmige Darstellung materieller Nichtigkeit.

Mit dem Vorwurf des Übergehens des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 13 StGB zeigt die Sanktionsrüge (Z 11) keine Urteilsnichtigkeit auf, sondern bringt bloß einen Berufungsgrund zur Darstellung (RIS‑Justiz RS0099920).

Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit der §§ 206 Abs 2, 207 Abs 2 StGB und der damit verbundenen Anregung eines Vorgehens nach Art 89 Abs 2 B‑VG beruft sich die Verteidigung auf die Achtung des Privatlebens, das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung, die Achtung des Briefverkehrs und die Gleichheit vor dem Gesetz, wonach es sachlich nicht gerechtfertigt sei, dass „die Unmündigen ihre sexuelle Entfaltung ausleben können und dabei ihren Spaß haben“, während der „mitspielende Angeklagte“ bestraft werde. Dieses den Grundsatz des Schutzes Unmündiger vor sexuellen Missbrauch ignorierende Vorbringen bietet keinen Anlass für eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Der zu den Schuldsprüchen I./b./ und III./ zu Unrecht konstatierte Tatzeitraum über die Vollendung des 14. Lebensjahres des Tatopfers hinaus, bedarf keiner Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 StPO, weil bei der vorliegend nicht konkret bestimmten Anzahl von Angriffen der Wegfall eines (tatsächlich betroffenen) Angriffs (am 27. Februar 2011) weder den Schuldspruch noch die Subsumtion in Frage stellen (RIS‑Justiz RS0116736).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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