OGH 15Os155/13b

OGH15Os155/13b22.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Jänner 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ent als Schriftführer in der Strafsache gegen Kurt N***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 6. Juni 2013, GZ 41 Hv 15/11p-66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kurt N***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2004/15) (A.II.), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 vierter Fall StGB (A.I.), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 dritter Fall StGB idF BGBl 1989/242 sowie des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B.I.), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I 2001/130 (B.II.), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (C.), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 „Abs 1 und“ Abs 2 StGB (D.), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (E.) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (F; zu F.I. richtig: idF BGBl 1974/60; RIS-Justiz RS0112939) und der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (G.) schuldig erkannt.

Danach hat er „in Dornbirn

A) eine Person mit Gewalt oder durch Entziehung der persönlichen Freiheit, zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlichen Handlungen genötigt, und zwar

I) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 1. Mai 2004 bis 2006 (einschließlich ca Weihnachten 2005) Jaqueline M***** (früher N*****) zur Vornahme des Oralverkehrs an ihm, indem er in etlichen Fällen ihren Kopf gegen ihren Willen festhielt und dirigierte, sodass sie seinen nackten Penis in den Mund nehmen musste, er dabei trotz Gegendrückens ihren Kopf für ihn stimulierend lenkte und er schließlich in ihren Mund ejakulierte, wobei sie sein Sperma schlucken musste, wodurch sie in besonderer Weise erniedrigt wurde,

II) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 1. Mai 2004 bis 2006 (einschließlich ca Weihnachten 2005) Jaqueline M***** zur Duldung des Beischlafs, indem er sie in etlichen Fällen trotz ihrer jeweiligen Gegenwehr festhielt, ihre Beine mit Kraft spreizte und gegen ihren Willen den Vaginalverkehr mit ihr vollzog;

B) außer dem Fall des Abs 1 eine Person mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlichen Handlungen genötigt, und zwar

I) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von Februar 2001 bis 30. April 2004 Jaqueline M***** zur Vornahme des Oralverkehrs an ihm, indem er in etlichen Fällen ihren Kopf gegen ihren Willen festhielt und dirigierte, sodass sie seinen nackten Penis in den Mund nehmen musste, er dabei trotz Gegendrückens ihren Kopf für ihn stimulierend lenkte und er schließlich in ihren Mund ejakulierte, wobei sie sein Sperma schlucken musste, wodurch sie in besonderer Weise erniedrigt wurde;

II) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 14. Februar 2003 bis 30. April 2004 Jaqueline M***** zur Duldung des Beischlafs, indem er sie in etlichen Fällen trotz ihrer jeweiligen Gegenwehr festhielt, ihre Beine mit Kraft spreizte und gegen ihren Willen den Vaginalverkehr mit ihr vollzog;

C) mit einer im Tatzeitraum unmündigen Person, nämlich der am 14. Februar 1989 geborenen Jaqueline M*****, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen und zwar,

I) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 2001 bis 13. Februar 2003 indem er wiederholt einen batteriebetriebenen Vibrator in ihren After einführte sowie indem sie den Oralverkehr an ihm durchführen musste;

II) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 2002 bis 13. Februar 2003 indem er wiederholt einen batteriebetriebenen Vibrator in ihre Scheide einführte, wobei er sich zeitgleich selbst befriedrigte und sein Ejakulat in ihren Mund abgab;

D) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum 2000/2001 eine im Tatzeitraum unmündige Person, nämlich die am 14. Februar 1989 geborene Jaqueline M*****, zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung an sich selbst verleitet, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen, indem er sie wiederholt aufforderte, sich einen oder mehrere Finger in die Scheide einzuführen und damit Stoßbewegungen zu machen und zu 'seufzen', was sie auch tat, wobei er selbst bis zum Samenerguss vor ihr onanierte und sie sein Ejakulat teilweise auch schlucken musste;

E) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 1997 bis zumindest September 1998 eine im Tatzeitraum unmündige Person, nämlich die am 14. Februar 1989 geborene Jaqueline M*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er wiederholt ihre nackte Scheide berührte und fallweise auch einen oder zwei Finger in die Scheide einführte;

F) mit seinem minderjährigen Stiefkind, welches zu den Tatzeitpunkten auch seiner Aufsicht unterstand, nämlich der am 14. Februar 1989 geborenen Jaqueline M***** unter Ausnutzung seiner Stellung gegenüber dieser Person, geschlechtliche Handlungen vorgenommen oder von dieser Person an sich vornehmen lassen oder, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen und zwar

I) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 1997 bis zumindest September 1998 durch die zu E. dargestellten Taten;

II) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 2001 bis 2006 (einschließlich Weihnachten 2005) durch die zu C.I. dargestellten Taten sowie indem sie ihn auch nach ihrem 14. bis zu ihrem 17. Lebensjahr immer wieder, teilweise auch ohne mit Gewalt dazu genötigt zu werden, oral befriedigen musste;

III) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 2002 bis 13. Februar 2003 durch die zu C.II. dargestellten Taten;

IV) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum 2000/2001 durch die zu D. dargestellten Taten;

V) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 14. Februar 2003 bis 2006 (einschließlich Weihnachten 2005), indem er losgelöst von den zu A.II. und B.II. geschilderten Fällen auch wiederholt den Vaginalverkehr ohne Gewalt und den Analverkehr an ihr vollzog;

G) zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 1998 bis 2000 Handlungen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person, nämlich der am 14. Februar 1989 geborenen Jaqueline M*****, vorgenommen, die auch seiner Aufsicht unterstand, indem er sie aufforderte, sich nackt auszuziehen, sich auf das Bett oder den Boden zu legen oder sich nackt vor ihm hinzustellen, wobei er sie betrachtete und dabei bis zum Samenerguss vor ihr onanierte, wobei er sein Ejakulat fallweise auf ihren Körper abgab.“

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich, gestützt auf Z 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO, die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt ihr Ziel.

Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen; das sind solche, deren Feststellung in den Urteilsgründen entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch oder - im Fall gerichtlicher Strafbarkeit - darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet wird (RIS-Justiz RS0117264). Die Frage des Tatzeitraums zu A. sowie F. II. und V. stellt vorliegend keine entscheidende Tatsache dar, weshalb das Vorbringen der Mängelrüge hiezu nicht zielführend sein kann (RIS-Justiz RS0098693; RS0098557). Mit Unsicherheiten in der zeitlichen Einordnung der Vorfälle durch das Tatopfer haben sich die Tatrichter explizit auseinandergesetzt (US 12 f; Z 5 zweiter Fall).

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde zu einem wesentlichen Teil unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431). Indem die Beschwerde die Einschätzung des Erstgerichts vom Beweiswert der „Tagebucheintragungen“ kritisiert, zeigt sie keinen solchen Begründungsmangel auf, sondern bekämpft bloß die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld.

Die Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zur Untersuchung der Jugendwohlfahrtsbehörde im Jahr 2007 (ON 2 S 339 ff) wurde - entgegen dem Einwand der Rüge - nicht übergangen (Z 5 zweiter Fall), die Tatrichter haben daraus nur andere Schlussfolgerungen als der Beschwerdeführer gezogen (RIS-Justiz RS0099524; US 13). Die darin enthaltenen Angaben der Mutter des Tatopfers über ihre Tochter waren nicht gesondert erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall).

Weshalb es einen nichtigkeitsbegründenden Widerspruch darstellen sollte, wenn die Tatrichter den - ohnehin nicht entscheidenden - Beginn des Tatzeitraums für die sexuellen Übergriffe zu C.I. mit dem Jahr 2001, zu C.II. hingegen mit 2002 angesetzt haben, macht die Beschwerde nicht klar.

Da das Erstgericht die qualifizierende Tatfolge einer schweren Körperverletzung (§§ 201 Abs 2, 206 Abs 3 StGB) nicht als begründet angesehen hat (US 2 ff, 11), gehen die Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde zur Frage der Kausalität des sexuellen Missbrauchs für die psychische Erkrankung der Jaqueline M***** ins Leere.

Die Tatrichter waren auch nicht gehalten den vollständigen Inhalt der Aussage dieser Zeugin im Einzelnen zu erörtern, noch sich mit den Beweisresultaten in Richtung aller denkbaren Schlussfolgerungen auseinander zu setzen (RIS-Justiz RS0106642). In diesem Sinn war die Aussage des Tatopfers, dass es (erst) zu einem bestimmten Zeitpunkt gemerkt habe, dass „der Rest“ auch nicht eingebildet war, sondern real passiert sei, nicht erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall). Indem der Beschwerdeführer diese Angaben eigenständig würdigt, bekämpft er neuerlich bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter, ohne einen formalen Begründungsmangel aufzeigen zu können. Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz schließlich wird keine Nichtigkeit aus Z 5 oder 5a aufgezeigt (RIS-Justiz RS0102162).

Dass die Tatrichter der Zeugin M***** grundsätzlich Glaubwürdigkeit attestierten, ihr hinsichtlich eines von ihr erhobenen Vorwurfs jedoch nicht gefolgt sind, was zum Freispruch des Beschwerdeführers und eines Mitangeklagten in einem ausgeschiedenen Verfahren führte (ON 58), ist weder ein Nichtigkeit begründender Mangel (RIS-Justiz RS0098372) noch ist dieser Umstand konkret geeignet, erhebliche Bedenken beim Obersten Gerichtshof gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken (Z 5a).

Gleiches gilt für die vom Beschwerdeführer angesprochenen Ausführungen im psychiatrischen Gutachten Dris. H*****, mit denen der Sachverständige auf „problematische Fakten“ eines zuvor eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachtens (ON 14) hinweist (ON 48 S 46 f). Da das Erstgericht diese Expertise bei seiner Beweiswürdigung nicht verwertet hat, war es auch nicht gehalten, sich mit allfälligen Mängeln auseinanderzusetzen (Z 5 zweiter Fall). Schließlich stellen auch die allgemeinen Ausführungen des Sachverständigen über Symptome einer Borderline-Erkrankung keine erörterungsbedürftigen Beweisergebnisse dar.

Auch indem die Beschwerde die Aussagen der ehemaligen Ehefrau des Angeklagten zu dessen bevorzugten Sexualpraktiken eigenständig bewertet, einen gemeinsamen Familienurlaub im Jahr 2006 als entlastenden Umstand interpretiert und der Beweiswürdigung der Tatrichter insgesamt vorhält, sie sei vollkommen lebensfremd und ausschließlich auf Indizien aufgebaut (vgl aber RIS-Justiz RS0098249), gelingt es ihr nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen zu erwecken. Gleiches gilt für die Spekulationen über allfällige Motivationen des Angeklagten und dessen religiöse Erziehung.

Die beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter über die Arbeitszeiten der Mutter des Opfers in einem bestimmten Zeitraum betreffen keine entscheidende Tatsache, weshalb eine offenbar unzureichende Begründung in diesem Zusammenhang nicht gerügt werden kann (Z 5 vierter Fall). Die daraus gezogenen Schlüsse der Tatrichter über den Beginn des Tatzeitraums sind - wie schon oben ausgeführt - vorliegend weder schuld- noch subsumtionsrelevant.

Welche Feststellungen „zum Vorsatz des Angeklagten“ und „zur angewendeten Gewalt“ fehlen sollen, sagt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht (vgl aber US 6 f bzw 8 f). Ebenso lässt sie eine Ableitung aus dem Gesetz vermissen (RIS-Justiz RS0116569), weshalb die Verbrechen der Vergewaltigung (§ 201 StGB) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 206 StGB) nicht ideal konkurrieren sollten (vgl für viele: Philipp in WK2 § 206 Rz 32).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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