OGH 2Ob103/13f

OGH2Ob103/13f19.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf S*****, vertreten durch Dr. Helmut Denck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, Rathaus, 1082 Wien, vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen 22.700 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Februar 2013, GZ 14 R 193/12y‑36, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6. Juli 2013, GZ 8 Cg 62/11p‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00103.13F.1219.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass ‑ unter Einbeziehung der rechtskräftigen Aussprüche ‑ das Klagebegehren

1. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 22.700 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 6. 2011 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen, sowie

2. es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für zukünftige Schäden aus dem Vorfall vom 17. 2. 2011, bei welchem die klagende Partei stürzte und sich das Sprunggelenk und Wadenbein des linken Beines brach, hafte,

insgesamt abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.375,21 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens (darin enthalten 2.013,20 EUR USt und 2.346,54 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kam am 17. 2. 2011 gegen 07:15 Uhr, nachdem er seinen Sohn in die Schule gebracht hatte, auf dem Areal der öffentlichen Volksschule, deren Schulerhalterin die Beklagte ist, im Bereich des Plateaus einer Außenstiege zu Sturz und verletzte sich.

Für den Winterdienst auf dem Schulgelände ist der Schulwart zuständig, der unter anderem zwischen 06:00 Uhr früh und 22:00 Uhr abends den Gehsteig um die Schule und die Außenflächen des Schulgeländes begehbar zu halten hat. Üblicherweise beginnt er seinen ersten Kontrollgang um 05:00 Uhr früh und streut bei Verdacht von Bodenglätte mit einer Mischung aus Salz und Schotter. Standardmäßig findet der nächste Kontrollgang um 06:45 Uhr statt. Darüber ist nach einer Dienstanweisung seines Arbeitgebers ein Streubuch zu führen.

Am Unfalltag hatte der Schulwart bereits seine erste Streurunde im Rahmen des Winterdienstes hinter sich gebracht, als der Kläger auf einer nicht oder nicht ausreichend gestreuten und vereisten Fläche ausrutschte und zu Sturz kam. Der Sturz ist keiner feststellbaren Ungeschicklichkeit oder Unvorsichtigkeit zuzuordnen. Wäre ausreichend gestreut gewesen, wäre der Kläger nicht gestürzt.

Der Kläger begehrt Schadenersatz. Die Beklagte hafte ihm nicht nur als Wegehalter sondern auch ex contractu.

Die Beklagte bestritt die Ursache des Sturzes. Dieser sei auf eine Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen. Die Beklagte treffe kein grobes Verschulden iSd § 1319a ABGB. Der Kläger habe seine Gehweise nicht an die herrschenden Witterungsverhältnisse angepasst, zumindest sei ihm ein Mitverschulden von 80 % anzulasten. Auch liege kein rechtliches Interesse an der Feststellung der zukünftigen Haftung vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 12.250 EUR sA statt, stellte die Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden des Klägers aus dem Vorfall fest, und wies das Mehrbegehren ab.

Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht gab den Berufungen in der Hauptsache jeweils nicht Folge. Nach §§ 2 und 3 des Wiener Schulgesetzes seien öffentliche Pflichtschulen vom Schulerhalter instandzuhalten, zu reinigen, zu beleuchten und zu heizen. Es sei die zur Erhaltung der Schule notwendige Betreuung durch erforderliches Hilfspersonal sicherzustellen. Bei dieser Regelung handle es sich um eine Schutznorm, deren Zweck auch der sichere gefahrlose Zu‑ und Abgang zur und von der Schule sei. Dieser sei Personen zu ermöglichen, mit deren Benutzung der Liegenschaft zu rechnen sei. Gerade bei einer Volksschule gehörten dazu auch Eltern oder Angehörige der Schüler. Die landesgesetzliche Regelung schließe die Anwendung des § 1319a ABGB aus. Grundsätzlich gebe es allerdings bei Schutzgesetzen keine besondere Art der Gehilfenhaftung und sei im deliktischen Bereich § 1315 ABGB heranzuziehen. Voraussetzung für die Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ABGB sei eine rechtliche Sonderbeziehung, die zum Beispiel bei Inanspruchnahme von Amtshandlungen in öffentlichen Gebäuden in 1 Ob 5/91 angenommen worden sei. Diese Grundsätze seien auch auf einen ein schulpflichtiges Kind zur Schule begleiteten Elternteil anzuwenden.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, inwieweit Verkehrssicherungspflichten des Schulerhalters auch gegenüber Angehörigen von Schülern bestünden, keine Judikatur vorliege und dieser Frage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen. In eventu werden Aufhebungsanträge gestellt.

Der Kläger strebt in seiner Revisionsbeantwortung die Bestätigung der Berufungsentscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt .

Festzuhalten ist, dass der Kläger seine Ansprüche im erstinstanzlichen Verfahren lediglich auf § 1319a ABGB und das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses gestützt hat. Sogar in der Berufungsbeantwortung hat er dem Vorbringen der Beklagtenseite in deren Berufung noch immer ausdrücklich und ausschließlich die Behauptung eines Vertragsverhältnisses entgegengehalten und sogar gemeint, dass es sich, obwohl kein Schulgeld bezahlt werde, um einen entgeltlichen Vertrag handle, weil er Steuern zahle.

Das Bestehen eines Vertragsverhältnisses zwischen den Streitteilen bzw zum Sohn des Klägers, von dessen Schutzwirkung der Kläger allenfalls umfasst sein könnte, lässt sich aus den Feststellungen nicht ableiten. Eine derartige Rechtsgrundlage (vgl dazu etwa 1 Ob 661/85, 10 Ob 2048/96s, 2 Ob 310/98x) für die Haftung der Beklagten scheidet daher aus.

Aus den Feststellungen folgt auch kein grob fahrlässiges Verhalten der Beklagten bzw des Schulwartes iSd § 1319a ABGB, sodass auch dieser Haftungsgrund nicht gegeben ist.

Auf die vom Berufungsgericht erörterte öffentlich‑rechtliche Sonderbeziehung und eine daraus resultierende Haftung hat sich der Kläger hingegen nie gestützt, sodass die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts überschießend sind.

Da sich aus den vom Kläger geltend gemachten Rechtsgründen keine Haftung der Beklagten ergibt, war das Klagebegehren abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 ZPO, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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