Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stefan S***** eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./), des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (II./) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III./) schuldig erkannt.
Danach hat er in R*****
I./ von Herbst 2008 bis 3. November 2010 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person, nämlich der am 3. November 1996 geborenen Michelle S***** vorgenommen oder von ihr an sich vornehmen lassen, indem er ihr wiederholt die Pyjama‑ und Unterhose hinunterzog und sie im Genitalbereich intensiv berührte, weiters indem er wiederholt ihre Schamlippen mit seiner Zunge abschleckte und wiederholt ihre Hand nahm, zu seinem Penis führte und Masturbationsbewegungen mit ihrer Hand durchführte, wobei „eine dieser Tathandlungen“ eine schwere Körperverletzung bei der Genannten, nämlich eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion, verbunden mit einer Gesundheitsschädigung von über 24 Tagen, zur Folge hatte,
II./ zu einem nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 2010 und Sommer 2011 eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person oder seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstehenden Person unter 16 Jahren, nämlich der am 3. November 1996 geborenen Michelle S*****, vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er sich zu ihr ans Bett setzte, Masturbationshandlungen vornahm und sie fragte, ob er sie „anspritzen“ dürfe,
III./ mit seinem minderjährigen Stiefkind, nämlich der am 3. November 1996 geborenen Michelle S*****, geschlechtliche Handlungen vorgenommen oder von ihr an sich vornehmen lassen, nämlich
1./ durch die unter Punkt I./ beschriebenen Taten,
2./ dadurch, dass er „die unter Punkt I./ beschriebenen Handlungen“ auch im Zeitraum zwischen 4. November 2010 und Sommer 2011 wiederholt fortsetzte,
3./ dadurch, dass er zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen Ende 2010 und Sommer 2011 einen Finger in ihre Scheide einführte.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 1a und 3 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.
Der Rechtsmittelwerber behauptet Nichtigkeit aus Z 1a, weil er bei der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin Michelle S***** im Ermittlungsverfahren nicht durch einen Verteidiger vertreten war, und verkennt damit, dass diese Vernehmung (§ 165 StPO) ‑ ungeachtet der Verlesung des darüber aufgenommenen Protokolls oder Vorführung der Ton‑ und Bildaufnahmen (§ 252 Z 2a StPO) ‑ gerade nicht Teil der „ganzen Hauptverhandlung“ iSd Z 1a (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 149 ff; RIS‑Justiz RS0097569) ist.
Indem die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert, dass das Protokoll über die ‑ im Ermittlungsverfahren ohne Verteidiger durchgeführte ‑ kontradiktorische Vernehmung der genannten Zeugin in der Hauptverhandlung verlesen und die Videoaufzeichnung vorgeführt wurde, zeigt sie keine Verletzung einer (unter Nichtigkeitssanktion stehenden) Verfahrensvorschrift auf (vgl § 252 Abs 1 Z 2a StPO). Im Übrigen war der Angeklagte mit der Verlesung des gesamten Aktes in der Hauptverhandlung einverstanden (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO; ON 19 S 24) und hat weder durch Widerspruch oder Antrag geltend gemacht, dass er nicht rechtzeitig, ausdrücklich und in einer für ihn verständlichen Weise auf den Wert, den ein zur kontradiktorischen Vernehmung beigezogener geschulter Rechtsbeistand darstellt (vgl Art 6 Abs 3 lit c und d MRK), und das Recht hingewiesen worden wäre, mit Blick auf ein (zwanglos zu bejahendes) Erfordernis im Sinn des § 61 Abs 2 StPO nach Maßgabe der sonstigen Voraussetzungen die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu verlangen (vgl ON 19 S 12, 23; RIS‑Justiz RS0125706).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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