OGH 12Os115/13y

OGH12Os115/13y14.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. November 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Buchner als Schriftführerin in der Strafsache gegen David R***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten David R***** und Seri R***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 10. Jänner 2013, GZ 14 Hv 141/12m-47, sowie über die Beschwerden der Angeklagten gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des David R***** und in teilweiser Stattgebung jener des Seri R***** sowie aus deren Anlass in der Nichtvornahme der rechtlichen Unterstellung der den Punkten I./9./, I./13./, IV./ und V./ des Schuldspruchs zugrunde liegenden Taten unter § 142 Abs 2 StGB, demzufolge in den die Angeklagten betreffenden Strafaussprüchen und im Ausspruch über die Vorhaftanrechnung ebenso aufgehoben, wie der zu beiden Angeklagten ergangene Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Seri R***** zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen und Beschwerden werden die Angeklagten ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Den Angeklagten David R***** und Seri R***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft gebliebenen Freispruch des Angeklagten Seri R***** enthält, wurden David R***** und Seri R***** (richtig:) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB (I./1./) und - jeweils darüber hinaus - David R***** mehrerer Verbrechen des Raubes nach §§ 142 Abs 1 und 15 Abs 1 StGB (I./2./ bis I./18./) sowie mehrerer Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II./) und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (III./) sowie Seri R***** zweier Verbrechen des Raubes nach §§ 12 zweiter und dritter Fall, 142 Abs 1 StGB (I./4./ und I./13./), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV./) und des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB (V./) schuldig erkannt.

Danach haben sie - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant - in G*****

I./ anderen mit Gewalt gegen ihre Person fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

1./ am 5. Juli 2012 David R***** und Seri R***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken (US 10) dem Adolf J***** zwei Goldhalsketten samt drei Goldschmuckanhängern im Wert von rund 2.500 Euro, indem beide auf ihn einschlugen und David R***** dem Opfer die Halsketten samt Anhänger vom Hals riss, wobei Adolf J***** durch die angewendete Gewalt schwer verletzt wurde (Bruch der linken Schulter sowie zahlreiche Prellungen und Abschürfungen);

...

9./ David R***** am 22. August 2012 der Valerie B***** eine goldene Halskette im Wert von rund 100 Euro durch gewaltsames Abreißen der Kette vom Hals des Opfers;

13./ David R***** am 20. September 2012 der (richtig:) Josefa S***** eine Halskette geringen Wertes (Goldimitat), indem er das Opfer von hinten attackierte und ihm die Kette vom Hals riss, wobei Seri R***** zur Tat beitrug, indem er David R***** zum Tatort chauffierte;

IV./ Seri R***** im Jahre 2012 Zlata H***** durch Versetzen eines Schlages und Würgen am Körper verletzt, wodurch sie Rötungen im Halsbereich erlitt, und

V./ Seri R***** zwischen Jänner und Anfang Juni 2012 in wiederholten Angriffen Gewahrsamsträgern verschiedener Filialen der Handelsketten S*****, L***** und B***** Nahrungsmittel und Kleidungsstücke sowie am 13. September 2012 Gewahrsamsträgern des Unternehmens C***** eine Jacke gewerbsmäßig mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei der Wert der Sachen insgesamt 3.000 Euro nicht übersteigt.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Angeklagten David R***** aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO ausschließlich gegen die Schuldsprüche I./9./ und I./13./ erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt zur Gänze, jener vom Angeklagten Seri R***** aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO nur gegen die Schuldsprüche I./1./, IV./ und V./ ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde teilweise Berechtigung zu.

1./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten David R*****:

Die Subsumtionsrüge (Z 10) reklamiert zu Recht, dass es sich bei den erbeuteten Tatobjekten der Schuldsprüche I./9./ und I./13./ - den durch den Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) verdeutlichten Feststellungen (US 14 f bzw US 16 jeweils iVm US 3) zufolge (RIS-Justiz RS0114639; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 580) - um Sachen geringen Wertes handelt (zu allfälligen opferbezogenen Faktoren - vgl RIS-Justiz RS0120079 [T3]; Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 59 - wurden keine Urteilsannahmen getroffen). Da die beiden Opfer nicht verletzt und keine sonstigen (nicht bloß unbedeutenden) Tatfolgen festgestellt wurden, wäre daher eine Prüfung der Privilegierungsvoraussetzungen des § 142 Abs 2 StGB indiziert gewesen.

Zur abschließenden Beurteilung, ob in diesen beiden Fällen die Gewaltanwendung als unerheblich iSd § 142 Abs 2 StGB anzusehen ist, hätte es aber auch Konstatierungen zur körperlichen Konstitution der (teilweise) schon betagten Raubopfer (insbesondere der zum Tatzeitpunkt schon im 81. Lebensjahr befindlichen Valerie B*****, deren Kleid beim Angriff zerrissen wurde; US 14 f) bedurft, weil die Bewertung der Belastung des jeweiligen Opfers (im Vergleich zu Durchschnittsfällen) als noch geringfügig stets unter Anlegung eines gemischt objektiv-individuellen Maßstabs (Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 56 f; Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 142 RN 99) und demnach nicht allein mit Blick auf das fortgeschrittene Lebensalter, sondern auch unter Bedachtnahme auf die sonstige persönliche Beschaffenheit des Tatopfers zu erfolgen hat (RIS-Justiz RS0094365 [insbesondere T1, T2]).

2./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Seri R*****:

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) moniert zutreffend, dass die zum Urteilsfaktum IV./ als erwiesen angenommenen „Rötungen im Halsbereich“ (US 5 und 17) - ohne zusätzliche Angaben über deren Dauer - den Schuldspruch nach § 83 Abs 1 StGB nicht zu tragen vermögen. Eine als Körperverletzung zu wertende relevante Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit ist in einem solchen Fall nämlich erst dann anzunehmen, wenn es sich um keine bloß kurzfristigen Hautrötungen handelt (Kienapfel/Schroll, StudB BT I³ § 83 Rz 9; RIS-Justiz RS0092811 [T11 und T15], RS0092574 [T5 und T6]).

Auch die Subsumtionsrüge (Z 10), die zum Schuldspruch V./ unter Hinweis auf die Verantwortung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung (ON 41 S 6 f sowie ON 46 S 3 f) indizierte, jedoch nicht getroffene, Konstatierungen zu dessen fehlender Grundversorgung (und damit zu einer allfälligen finanziellen Notlage) sowie zum jeweils - ohne Zusammenrechnung nach § 29 StGB (RIS-Justiz RS0090858) - geringen Wert der erbeuteten Lebensmittel und Kleidungsstücke reklamiert, ist im Recht. Denn die Erstrichter haben in den Entscheidungsgründen (im Rahmen der Urteilsannahmen zur Gewerbsmäßigkeit) zwar berücksichtigt, dass der Angeklagte im Tatzeitraum „keine ausreichende Versorgung hatte“ (US 17), weitere subsumtionsrelevante Feststellungen darüber, ob er auch tatsächlich mittellos war und die einzelnen Taten nur zur Befriedigung seiner dringendsten Lebensbedürfnisse - dh aus einer Notlage iSd § 141 Abs 1 StGB heraus (RIS-Justiz RS0094538, RS0094530 [T2] = RS0094521 [T2]; Fabrizy, StGB10 § 141 Rz 2; Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 141 RN 28 ff) - und überdies jeweils im Bezug auf die Geringwertigkeitsgrenze nicht übersteigende Diebsbeute begangen hat, aber unterlassen.

Im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Seri R***** keine Berechtigung zu.

Die zum Urteilsfaktum I./1./ gemeinsam ausgeführte Mängel- (Z 5) und Tatsachenrüge (Z 5a) zeigt nämlich weder einen formalen Begründungsmangel noch sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen auf, sondern erschöpft sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung in einer Bekämpfung der den Tatrichtern vorbehaltenen Beweiswürdigung. Dass den Aussagen des Tatopfers Mag. J***** trotz seiner (im Urteil eingehend berücksichtigten) teilweise widersprüchlichen bzw unzutreffenden Täterbeschreibungen im Ergebnis dennoch Glaubwürdigkeit zuerkannt wurde (US 20 ff), ist mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht bekämpfbar (RIS-Justiz RS0106588). Ebensowenig kann der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a sein (RIS-Justiz RS0102162).

Aus Anlass dieser Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von Amts wegen davon (§ 290 Abs 2 zweiter Satz erster Fall StPO), dass sich die dem Schuldspruch I./13./ anhaftende Nichtigkeit infolge möglicher Privilegierung nach § 142 Abs 2 StGB (Z 10), wie sie bereits vom Erstangeklagten David R***** aufgezeigt wurde, auch zum Nachteil des Zweitangeklagten Seri R***** auswirkt, der diesen Umstand indes nicht geltend gemacht hat.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hat, war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten David R***** und in teilweiser Stattgebung jener des Angeklagten Seri R***** sowie aus deren Anlass (§ 290 Abs 2 zweiter Satz erster Fall StPO) in der Nichtvornahme der rechtlichen Unterstellung der den Schuldsprüchen I./9./, I./13./, IV./ und V./ zugrunde liegenden Taten unter § 142 Abs 2 StGB und demgemäß in den zu beiden Angeklagten ergangenen Strafaussprüchen und im Ausspruch über die Vorhaftanrechnung sowie in den Beschlüssen über den Widerruf einer bedingten Entlassung des Erstangeklagten David R***** und einer dem Zweitangeklagten Seri R***** gewährten bedingten Strafnachsicht - nicht jedoch in den (die Urteilsfakten I./1./ und I./7./ betreffenden) Adhäsionserkenntnissen - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO).

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Seri R***** zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit ihren Berufungen und Beschwerden waren die beiden Angeklagten, ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung, auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Der Kostenausspruch, der sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht, beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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