European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0080OB00089.13S.1028.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit damit eine Beugestrafe über die Mutter verhängt wurde, ersatzlos behoben.
Begründung
Die Ehe der Eltern des mittlerweile 15‑jährigen Kindes ist seit 2008 geschieden, die alleinige Obsorge kommt der Mutter zu.
Mit Beschluss vom 13. 12. 2011 (ON 210) entzog das Erstgericht, gestützt auf das Ergebnis eines psychologischen Sachverständigengutachtens (ON 187), der Mutter vorläufig wegen Gefährdung des Kindeswohls die Obsorge und wies sie dem Vater zu. Diese Entscheidung wurde mit Beschluss des Rekursgerichts vom 22. Februar 2012 (ON 230) zur Verfahrensergänzung aufgehoben. Das Rekursgericht billigte zwar die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die festgestellte beeinträchtigte Erziehungsfähigkeit der Mutter eine Entziehung der Obsorge rechtfertigen könne. Allerdings sei noch das Kind persönlich anzuhören und Beweis darüber aufzunehmen, ob die mit einem Obsorgewechsel zwangsläufig verbundenen Nachteile im konkreten Fall nicht doch schwerer wiegen würden als jene, die dadurch abgewendet werden sollen.
Mit Beschluss vom 30. 12. 2011 (ON 265) beauftragte das Erstgericht einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, ein Gutachten darüber zu erstatten, ob bei der Mutter eine psychische Beeinträchtigung vorliege. Grundlage für diesen Auftrag war die im psychologischen Sachverständigengutachten formulierte Empfehlung einer weiterführenden psychiatrischen Diagnostik (AS 325), weil die Mutter (im Detail festgestellte) Verhaltensauffälligkeiten zeige, die das Bestehen tiefgreifender psychischer Beeinträchtigungen nicht ausschlössen. Bereits im Bestellungsbeschluss trug das Erstgericht der Mutter auf, Ladungen zum Sachverständigen Folge zu leisten und sich notwendigen Untersuchungen zu unterziehen.
Die Mutter lehnt eine Untersuchung durch den psychiatrischen Sachverständigen ab und weigert sich, jedweder Vorladung zur angeordneten Befundaufnahme Folge zu leisten.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30. 4. 2013 verhängte das Erstgericht über die Mutter eine Beugestrafe von 400 EUR, gleichzeitig trug es ihr auf, zum für 21. 5. 2013 festgesetzten nächsten Termin beim Sachverständigen zu erscheinen und sich den notwendigen Untersuchungen zu unterziehen. Im Fall des neuerlichen Fernbleibens werde die Beugestrafe verdoppelt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter keine Folge und erklärte den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfragen für nicht zulässig.
Die Mutter sei als Partei zur Mitwirkung am Verfahren verpflichtet, dazu gehöre auch die Ermöglichung der Befundaufnahme durch einen Sachverständigen. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts könne sie wohl nicht zur aktiven Beteiligung an der Befundaufnahme verhalten werden, auch die Anordnung ihres bloßen Erscheinens sei aber keine sinnlose Formalität. Der psychiatrische Sachverständige erlange dadurch immerhin einen persönlichen Eindruck, den er in einem Aktengutachten verwerten könne.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung über den Einsatz von Zwangsmitteln nach § 79 AußStrG zur Erzwingung von psychiatrischen Untersuchungen im Obsorgeverfahren besteht. Der Revisionsrekurs ist im Ergebnis auch berechtigt.
Beschwerdegegenstand bei Geldstrafen ist die Bestrafung als solche (RIS‑Justiz RS0038625, RS0004785, RS0008617). Der Entscheidungsgegenstand ist damit im Sinn des § 62 Abs 3 und 4 AußStrG nicht rein vermögensrechtlicher Natur (RIS‑Justiz RS0109789 [T16]).
Nach § 79 Abs 1 AußStrG hat das Gericht Verfügungen, die für den Fortgang des Verfahrens notwendig sind, gegenüber Personen, die sie unbefolgt lassen, von Amts wegen durch angemessene Zwangsmittel durchzusetzen. Voraussetzung für die Anwendung ist eine durchsetzbare Pflicht (RIS‑Justiz RS0124115).
Im außerstreitigen Verfahren kann auch die aus § 35 AußStrG iVm § 359 ZPO abzuleitende Pflicht zur Mitwirkung an einem Sachverständigenbeweis mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden (5 Ob 257/09v). Wo die Grenzen der durchsetzbaren Mitwirkungspflicht zu ziehen sind, bedarf gerade im Fall der Anordnung medizinischer Untersuchungen einer Interessenabwägung, weil hier das amtswegig zu verfolgende Informationsinteresse einem nicht unbedeutenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Partei gegenübersteht; Mittel und Zweck der Beweisaufnahme sind gegeneinander abzuwägen.
Während im Abstammungsverfahren sogar Eingriffe in die körperliche Identität mit Beugestrafen erzwungen werden können und für die Anwendung nicht invasiver Untersuchungsmethoden unmittelbarer Zwang ausgeübt werden darf (§ 85 Abs 3 AußStrG), bestehen für die Belange des Sorgerechtsverfahrens keine besonderen Regelungen über die Mitwirkung an einem medizinischen Sachverständigenbeweis. Die Anordnungen des § 359 ZPO können im Wege des § 35 AußStrG nur insoweit herangezogen werden, als sie mit den Grundsätzen des Außerstreitverfahrens in Einklang zu bringen sind.
Für eine erschöpfende Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen die Mitwirkung einer Partei an einer psychiatrischen Untersuchung zur Beurteilung der Obsorgeeignung erzwungen werden darf, bietet aber der vorliegende Einzelfall keinen geeigneten Anlass. Es liegt bereits ein abgeschlossenes psychologisches Gutachten mit einer klaren Aussage zur (mangelhaften) Erziehungsfähigkeit der Mutter vor. Die Anregung der Sachverständigen, die Mutter wegen bestimmter Verhaltensauffälligkeiten einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen, war offenbar nicht Bedingung für das abschließende psychologische Kalkül. Sie zielte darauf ab, einen allfälligen Krankheitswert des mütterlichen Verhaltens aufzudecken und daraus Prognosen für die Zukunft ableiten zu können.
Ob sich diese Informationen (insbesondere angesichts des bereits mündigen Alters des Kindes) auf die bereits erfolgte Beurteilung der Erziehungsfähigkeit aus psychologischer Sicht entscheidend auswirken würden und damit für den Fortgang des Obsorgeverfahrens notwendig sind, wäre zunächst mit der psychologischen Sachverständigen zu klären, bevor der Einsatz einer Beugestrafe in Betracht kommt. Die Zwangsmittel des § 79 Abs 1 AußStrG stehen nämlich nur für Verfügungen offen, die für den Fortgang des Verfahrens notwendig bzw unverzichtbar (§ 31 Abs 5 AußStrG) sind. Sie sind keine Strafen für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung, sondern sollen dazu dienen, der Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RIS‑Justiz RS0007330). Zwangsmittel sind ultima ratio und dürfen nur nach dem Prinzip des gelindesten Mittels eingesetzt werden (Fucik/Kloiber, aaO § 79 Rz 3).
Auch für die Beurteilung des Rekursgerichts, die Beugestrafe sei allein schon zur Durchsetzung des Erscheinens der Mutter beim Sachverständigen zu verhängen gewesen, bietet der Sachverhalt derzeit keine ausreichende Grundlage. Ob ein Aktengutachten auf Grundlage des vorhandenen Materials erstellt werden kann, gegebenenfalls welchen Beitrag ein persönlicher Eindruck der Mutter dazu leisten könnte, wäre mit dem psychiatrischen Sachverständigen zu erörtern, bevor als ultima ratio Zwangsmittel eingesetzt werden.
Falls die Erstellung eines psychiatrischen Aktengutachtens möglich ist, wäre außerdem zu überlegen, ob der Sachverständige nicht in einer Verhandlungstagsatzung einen intensiveren persönlichen Eindruck von der Mutter gewinnen könnte als bei einem kurzem Zusammentreffen in seinem Untersuchungsraum. Das persönliche Erscheinen der Eltern zur Verhandlung ist nach § 31 Abs 5 AußStrG erzwingbar. Ein in der Tagsatzung mündlich erstattetes psychiatrisches Gutachten könnte außerdem ohne weitere Verzögerung sofort erörtert werden.
Dem Revisionsrekurs war daher im Ergebnis Folge zu geben und die verhängte Beugestrafe ersatzlos aufzuheben.
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