OGH 8ObA68/13b

OGH8ObA68/13b28.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Ing. Thomas Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. P***** W*****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Feststellung des aufrechten Bestands eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. August 2013, GZ 10 Ra 34/13p-16, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Mit der geltend gemachten Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage auf. Ob im Hinblick auf den Inhalt der prozessualen Erklärungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht oder ein Antrag als gestellt anzusehen ist, und wie ein Vorbringen oder ein Antrag auszulegen ist, sind Fragen des Einzelfalls, denen im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung zukommt (vgl RIS-Justiz RS0042828). Wäre der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren davon ausgegangen, dass das Kündigungsschreiben (vom 12. 9. 2012) eine eigenhändige Unterschrift erforderte, so hätte er diesen Umstand nicht übersehen oder für unerheblich halten können. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf unzulässige Neuerungen ist daher nicht korrekturbedürftig.

2.1 Unstrittig ist, dass im Anlassfall der Kündigungstatbestand des § 32 Abs 2 Z 7 VBG erfüllt ist.

Aus der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Altersdiskriminierung lässt sich ableiten, dass der Gerichtshof eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder eine Beendigungsmöglichkeit des Arbeitgebers jedenfalls bei Erreichen des Regelpensionsalters (vgl § 253 ASVG) für zulässig erachtet, wenn der betroffene Arbeitnehmer Anspruch auf eine der Höhe nach angemessene Altersrente hat, sofern dieser Maßnahme ein legitimes Schutzziel insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung zugrunde liegt (C-411/05; C-45/09; C-141/11; siehe auch 8 ObA 76/12b). Dazu hat der Gerichtshof wiederholt bekräftigt, dass sich aus Art 6 Abs 1 der Richtlinie 2000/78/EG nicht ableiten lasse, dass eine nationale Regelung, die das angestrebte Ziel nicht genau angebe, automatisch von einer Rechtfertigung nach dieser Bestimmung ausgeschlossen sei. Fehle es an einer solchen Angabe, sei das Ziel aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abzuleiten (vgl C-141/11 Rn 24; C-286/12 Rn 58). Im gegebenen Zusammenhang ist anerkannt, dass die Förderung von Einstellungen bzw die Eindämmung der Arbeitslosigkeit sowie die Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung ein legitimes Ziel der Sozial- und Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten darstellt (C-141/11 Rn 30; C-335/11 Rn 82).

Im Anlassfall besteht kein Zweifel, dass die in Rede stehende Bestimmung des § 32 Abs 2 Z 7 VBG (iVm § 253 ASVG) den hier angeführten Zielen dient.

2.2 Diese Grundsätze bestreitet auch der Kläger nicht. Er steht aber auf dem Standpunkt, dass zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung eine individuelle Prüfung im Einzelfall stattzufinden habe. Dabei stelle seine Behinderung einen wesentlichen Gesichtspunkt dar. Daraus leitet der Kläger ab, dass für behinderte Personen nicht das Regelpensionsalter maßgebend sein könne. Aufgrund des Umstands, dass die Arbeitslosigkeit bei Behinderten größer als bei anderen Arbeitnehmern sei und Behinderte oft in den Vorruhestand gedrängt würden, müssten sie länger im Beschäftigungsverhältnis bleiben können.

2.3 Diesem Ansatz ist nicht zu folgen.

Auf der Grundlage des Art 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), der durch die einschlägigen Antidiskriminierungsrichtlinien konkretisiert wird, schreibt das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union vor, dass Personen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, ähnlich behandelt werden müssen und nicht benachteiligt werden dürfen, nur weil sie ein bestimmtes Merkmal aufweisen, das einen Schutzgrund darstellt. Damit wird die unmittelbare Diskriminierung angesprochen. Eine solche erfordert eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu einer Person in einer sachlich ähnlichen Situation (Vergleichsperson), wobei die Ursache dafür im Schutzgrund besteht. Es ist somit ein kausaler Zusammenhang zwischen der nachteiligen Behandlung und dem Schutzgrund erforderlich. Eine nachteilige Behandlung kann somit (abhängig von der Rechtfertigung) dann zu einer unmittelbaren Diskriminierung führen, wenn die betroffene Person weniger günstig behandelt wird als eine andere Person in einer ähnlichen Situation. Der Hauptunterschied zwischen beiden Personen muss im Schutzgrund bestehen.

Der Kläger sieht die Besonderheit seiner Situation in seiner Behinderung. Der Hauptunterschied, der ihm zum „Betroffenen“ macht, liegt somit in der Behinderung (zum Begriff siehe C-335/11 Rn 47). Dabei handelt es sich nach der Richtlinie 2000/78/EG um ein eigenes Schutzziel, das zu keiner nachteiligen Behandlung führen darf. Der unter die genannte Richtlinie fallende behinderte Arbeitnehmer muss gegen jedwede Diskriminierung im Verhältnis zu einem nicht behinderten Arbeitnehmer geschützt werden (C-335/11 Rn 71). Der Kläger stützt sich damit auf eine Behinderten-Diskriminierung. Die Vergleichsperson ist jene eines gesunden Arbeitnehmers. Entgegen dem Argumentationsansatz des Klägers ist sein Alter nicht das Kriterium, das für ihn zu einer (behaupteten) ungleichen Behandlung führt und ihn damit zum Betroffenen macht. Es liegt damit kein Fall der Altersdiskriminierung vor.

2.4 Die vom Kläger angegriffene Regelung des § 32 Abs 2 Z 7 VBG gilt für behinderte und gesunde Personen gleichermaßen. Es fehlt damit schon an einer Ungleichbehandlung. Auf eine unmittelbare Diskriminierung kann sich der Kläger nicht berufen.

3.1 Die Antidiskriminierungsvorschriften der Europäischen Union bestimmen darüber hinaus, dass Personen, die sich in unterschiedlichen Situationen befinden insoweit unterschiedlich zu behandeln sind, wie dies erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass sie bestimmte Möglichkeiten auf derselben Grundlage wahrnehmen können wie andere. Dies betrifft die mittelbare Diskriminierung. Nicht die Behandlung an sich ist unterschiedlich; vielmehr sind die Auswirkungen der Behandlung anders, die von Menschen mit unterschiedlichen Merkmalen unterschiedlich empfunden werden. Dies ist bei Maßnahmen der Fall, die zwar neutral formuliert sind, aber für eine bestimmte Gruppe dennoch unverhältnismäßige nachteilige Auswirkungen haben und diese Gruppe daher besonders nachteilig betreffen.

3.2 Werden Behinderte im Zusammenhang mit Regelungen, die ihren früheren Pensionsantritt ermöglichen, finanziell benachteiligt, so kann darin eine mittelbare Diskriminierung gelegen sein (vgl C-152/11 Rn 70). Die hier zu prüfende Vorschrift, die an das Erreichen des Regelpensionsalters auch für gesunde Personen anknüpft, hat mit der Bewirkung eines vorzeitigen (Vor-)Ruhestands aber nichts zu tun. Auch im Zusammenhang mit der behaupteten höheren Arbeitslosigkeit von Behinderten wird vom Kläger nicht schlüssig dargelegt, warum die in Rede stehende Regelung gerade die Gruppe der Behinderten besonders benachteiligen soll. Der Kläger gesteht vielmehr selbst zu, dass sich „die Benachteiligung nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt hat“. Auch auf seine Behauptung, dass die Behindertenarbeitslosigkeit größer als die Jugendarbeitslosigkeit sei, kann sich der Kläger nicht stützen, weil es in der Situation des Klägers nicht mehr um den Zugang zum Arbeitsmarkt geht. Von einer Benachteiligung sowie von einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen behinderter Arbeitnehmer kann im Anlassfall daher insgesamt nicht ausgegangen werden.

4. Ähnliche Überlegungen gelten für die vom Kläger ins Treffen geführte Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist geklärt, dass eine Kündigung wegen Erreichen des gesetzlichen Regelpensionsalters geschlechterspezifisch diskriminierend ist, wenn für Männer und Frauen ein unterschiedliches Regelpensionsalter besteht (C-356/09; siehe auch 8 ObA 76/12b). Darauf kann sich der Kläger nicht berufen, weil er in Bezug auf das hier maßgebliche Schutzmerkmal nicht Betroffener ist.

5. Im Anlassfall besteht kein Zweifel darüber, dass der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta eröffnet ist (vgl C-617/10 Rn 21). In diesem Anwendungsbereich besteht eine ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union, die zu einer ausschließlichen Anwendbarkeit der EU-Grundrechte führt. Die Prüfung hat daher ausschließlich nach den EU-Grundrechten stattzufinden (C-617/10 Rn 44; C-256/11 Rn 72; C-396/11 Rn 32). Ein (theoretisch denkbarer) höherer nationaler Schutzstandard (im Sinn einer „Doppelbindung“) kann mit der Einheitlichkeit des Unionsrechts (vgl C-399/11 Rn 56) nur dann im Einklang stehen, wenn ein solches höheres Schutzniveau in einer Richtlinie ausdrücklich zugelassen ist und der Mitgliedstaat davon Gebrauch gemacht hat.

Der Anregung, einen Antrag auf Aufhebung des § 32 Abs 2 Z 7 VBG wegen Verfassungswidrigkeit zu stellen, ist schon aus diesen Gründen nicht näher zu treten. Davon abgesehen bestünden auch nach den dargelegten inhaltlichen Überlegungen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Bestimmung.

6. Gemäß § 10 Abs 1 PVG sind beabsichtigte Maßnahmen im Sinn des § 9 Abs 1 PVG (hier lit i) dem Dienststellenausschuss spätestens zwei Wochen vor ihrer Durchführung nachweislich zur Kenntnis zu bringen (Ziehensack, VBG § 32 Rz 54). Das der Kündigung vorgeschaltete Verfahren nach dem PVG hat den Zweck der Einbindung der Personalvertretung (auch) in Kündigungs- oder Entlassungsverfahren und dieser vor allem im Interesse der Dienstnehmerschaft eine Einflussmöglichkeit einzuräumen (Ziehensack Rz 64). Dieser Zweck ist im Anlassfall erfüllt. Bei der Beurteilung ist auch zu beachten, dass im Vertragsbedienstetenrecht ebenfalls der Grundsatz besteht, dass der Arbeitgeber einen Kündigungs- oder Entlassungsgrund unverzüglich nach Kenntnis des Sachverhalts geltend machen muss (Ziehensack Rz 109). Insbesondere wenn besondere Verfahren, wie hier nach dem Behinderteneinstellungsgesetz und dem Personal-vertretungsgesetz, einzuhalten sind, kann dem Arbeitgeber nicht vorgeworfen werden, dass er den Dienststellenausschuss auch schon vor der Mindestfrist von zwei Wochen verständigt. Voraussetzung ist nur, dass zwischen der Verständigung von der Maßnahme und deren Durchführung ein sachlicher und angemessener zeitlicher Zusammenhang besteht (9 ObA 79/10y). Dies ist hier zweifellos der Fall.

Insgesamt kann von einer Arbeitgeberkündigung, die unter Verletzung der Bestimmungen des PVG getroffen worden und daher gemäß § 10 Abs 9 PVG für unwirksam zu erklären sei, nicht gesprochen werden. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, dass die Dienstgeberseite verpflichtet wäre, die beabsichtigte Maßnahme nicht früher als zwei Wochen vor ihrer Durchführung dem Dienststellenausschuss zur Kenntnis zu bringen, erweist sich ebenfalls als nicht korrekturbedürftig.

Zu den Ausführungen in der außerordentlichen Revision ist der Kläger darauf hinzuweisen, dass der Antrag an den Behindertenausschuss bereits im September 2011 gestellt wurde. Seine Überlegungen, dass der Dienststellenausschuss möglicherweise eine nicht mehr aktuelle Situation beurteilt habe, bleiben rein hypothetisch.

7. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht, mit seinen Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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