European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00136.13P.1024.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Streitteile sind in aufrechter Ehe verheiratet und je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** mit der Anschrift O*****, auf der auch die Ehewohnung gelegen ist. Das Wohngebäude befindet sich auf dem Grundstück Nr 20; der kürzeste Zugang zu diesem Grundstück führt über das Grundstück 359. Darüber hinaus gehören zu dieser Liegenschaft auch die Grundstücke Nr 350, 352/1, 352/2, 353/1, 354/2, 355 und 357.
Der Beklagte ist aus der Ehewohnung im Jahr 2004/2005 ausgezogen; die Klägerin wohnt weiterhin dort und hat ein dringendes Wohnbedürfnis. Der Beklagte will seinen Hälfteanteil an eine OEG veräußern; darüber wurde auch bereits ein Kaufvertrag abgeschlossen.
Die Klägerin begehrt, den Beklagten zu verpflichten, jegliche rechtsgeschäftliche Verfügung über das gemeinsame Grundstück zu unterlassen.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren lediglich hinsichtlich der Grundstücke Nr 20 und 359 statt; das Mehrbegehren wies es ab.
Dabei erwog es in rechtlicher Sicht, die Klägerin habe an der gemeinsamen Ehewohnung ein dringendes Wohnbedürfnis. Gemäß § 97 ABGB habe der Beklagte alles zu unterlassen, damit die auf die Wohnung angewiesene Klägerin diese nicht verliere. Auch wenn die potentiellen Käufer das Benutzungsrecht der Klägerin an der Ehewohnung anerkennen würden, könne aufgrund der noch ausständigen grundverkehrsbehördlichen Genehmigung nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass der Beklagte die Liegenschaft nicht doch an Dritte veräußern werde, wodurch das Wohnrecht der Klägerin gefährdet wäre. Dem Beklagten sei ein Erhalten der Wohnung auch iSd § 97 Satz 2 ABGB zumutbar. Die übrigen Flächen seien land‑ und forstwirtschaftlich genutzte Flächen und würden daher nicht den Schutz des § 97 ABGB genießen.
Die Klägerin bekämpfte diese Entscheidung lediglich hinsichtlich der Grundstücke 357 und 353/1.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Am Grundstück 353/1, das prinzipiell von § 97 ABGB umfasst sei, könne auch im Fall einer allfälligen Veräußerung des Hälfteanteils des Beklagten jedenfalls eine stillschweigende Begründung einer Dienstbarkeit zugunsten der Klägerin angenommen werden, zumal das Vorhandensein des streitgegenständlichen Weges jedenfalls offenkundig sei. Im Rahmen einer Gesamtabwägung sei es der Klägerin zumutbar, sich unter Berufung auf die Theorie der stillschweigenden Dienstbarkeitsbestellung prozessual gegen Dritte zur Wehr zu setzen. Hinsichtlich des Gartens sei auszuführen, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen bereits auf dem Grundstück Nr 359 über eine Gartenfläche verfüge; eine allfällige weitere Gartenfläche sei keinesfalls vom Anwendungsbereich des § 97 ABGB umfasst.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige nicht 5.000 EUR; die Revision sei jedenfalls unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
1.1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof an den Zulässigkeitsausspruch des Gerichts zweiter Instanz nicht gebunden ist. Dies gilt schon dann nicht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, umso weniger dann, wenn dies nicht der Fall ist (RIS‑Justiz RS0114163).
1.2. Nach § 502 Abs 2 ZPO ist zwar die Revision jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld oder Geldeswert 5.000 EUR nicht übersteigt, doch gilt diese Vorschrift gemäß § 502 Abs 5 Z 1 ZPO nicht für die in § 49 Abs 2 Z 2b JN bezeichneten Streitigkeiten. Darunter fallen die („anderen“) aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden Streitigkeiten, die nach § 49 Abs 2 Z 2b JN ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands vor die Bezirksgerichte gehören. Bei dem Prozess, in welchem sich die Klägerin auf ihren Anspruch nach § 97 ABGB stützt, handelt es sich um eine solche Streitigkeit aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten (3 Ob 541/91; EFSlg 39.082; EFSlg 94.349; Klauser/Kodek , JN‑ZPO 17 § 502 ZPO E 196). Die von der Klägerin erhobene Revision ist daher nicht jedenfalls unzulässig.
2. Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt:
2.1. Durch die Benützung einer Wohnung, in der das dringende Wohnbedürfnis eines Ehegatten befriedigt wird, erwirbt dieser einen familienrechtlichen, durch § 97 ABGB gesicherten Anspruch auf Erhaltung der Wohnmöglichkeit gegen den anderen Ehegatten (RIS‑Justiz RS0049431).
2.2. § 97 ABGB schützt den nicht verfügungsberechtigten Ehegatten jedoch nur so weit, als dieser auf die Wohnung, die der Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient, angewiesen ist. Der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte muss zwar sein Wohnbedürfnis räumlich nicht auf das Allernotwendigste beschränken; gemeint mit dieser Regelung ist vielmehr das tatsächliche Bedürfnis an der ‑ in Ermangelung einer anderen ‑ tatsächlich benützten Wohnung im gegebenen Umfang. Dem betroffenen Ehegatten soll jene Wohnmöglichkeit erhalten bleiben, die ihm bisher zur Deckung der den Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnissen diente und die er weiter benötigt; soweit aber die Liegenschaft den Wohnbedürfnissen eines Ehegatten nicht gedient hat, ist die Vornahme einer Benützungsregelung auch bei aufrechter Ehe durchaus möglich (RIS‑Justiz RS0009663).
2.3. Die Unterlassungspflichten und Beistandspflichten nach § 97 ABGB sind als Ausnormung der spezifischen Beistandspflicht des verfügungsberechtigten Ehegatten zu sehen, das qualifizierte Interesse des anderen an der Wohnung zu wahren (RIS‑Justiz RS0009534 [T8]).
3.1. Ein Zufahrtsweg ist vom Schutzbereich des § 97 ABGB jedenfalls dann umfasst, wenn dieser Zugang essentielle Voraussetzung für die Nutzung einer Wohnmöglichkeit darstellt. Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich aber lediglich, dass ein Zufahrtsweg auf dem Grundstück Nr 359 vorhanden ist. Es fehlen jedoch Feststellungen dazu, inwieweit auch ein Weg auf dem Grundstück Nr 357 vorhanden ist, von der Klägerin tatsächlich genutzt wird bzw für die Nutzung der Wohnmöglichkeit notwendig oder auch nur zweckmäßig ist.
3.2. Es widerspreche dem Schutzzweck des § 97 ABGB, die Klägerin für die Durchsetzung ihrer bislang gesicherten Ansprüche auf den Rechtsweg gegenüber einem Dritten zu verweisen. Einerseits ist die vom Berufungsgericht angenommene Offenkundigkeit bzw Sichtbarkeit des Weges über das Grundstück Nr 353/1 von den Feststellungen des Erstgerichts nicht gedeckt. Auch ist keineswegs gewährleistet, dass die Klägerin in einem hypothetischen Verfahren gegen einen Erwerber des Grundstücks ihre Rechtsposition auch behaupten könnte. Ein verständiger und vorsorgender Benützer (vgl 4 Ob 503/94) würde die vom Beklagten beabsichtigte Änderung der Rechtsstellung daher nicht vornehmen. Die Klägerin dem Risiko eines derartigen Rechtsstreits auszusetzen, widerspricht dem Schutzgedanken des § 97 ABGB.
4.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist auch der zum Haus gehörige Garten als Teil der Ehewohnung aufzufassen, wenn er den Bedürfnissen der Ehegatten gedient hat und sich im Rahmen eines gewöhnlichen Hausgartens hält (RIS‑Justiz RS0009539). Bisher fehlen jedoch Feststellungen über das Ausmaß der Gärten auf den Grundstücken Nr 359 sowie 357 sowie deren Benutzung durch die Klägerin. Daher lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob sich tatsächlich auf dem Grundstück 357 ein Garten befindet und ob dieser in den Anwendungsbereich des § 97 ABGB fällt.
4.2. Der Argumentation des Berufungsgerichts, das Vorhandensein eines Gartens auf dem Grundstück Nr 359 schließe jedenfalls aus, dass auch ein zweiter, womöglich verbundener ‑ Garten ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 97 ABGB umfasst sein könnte, ist in dieser Form nicht zu folgen. Entscheidend ist nicht die ‑ oft von historischen Zufälligkeiten abhängige ‑ Grundstücksbezeichnung, sondern die tatsächlichen Gegebenheiten in der Natur. Zu diesen fehlen jedoch nähere Feststellungen.
5. Da die bisher getroffenen Feststellungen zur abschließenden rechtlichen Beurteilung nicht ausreichen, war dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Erst auf Grundlage der zu treffenden ergänzenden Feststellungen wird verlässlich zu beurteilen sein, ob und inwieweit die noch strittigen Liegenschaftsteile gegebenenfalls von § 97 ABGB erfasst sind.
6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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