OGH 12Os92/13s

OGH12Os92/13s17.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Oktober 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Sol und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Daniel K***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Jugendschöffengericht vom 21. Mai 2013, GZ 10 Hv 8/13v-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Daniel K***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 erster Fall StGB (ergänze: idF BGBl I 2004/15; 1./), der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 erster Fall StGB (ergänze: idF BGBl I 2001/130; 2./) und der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (3./) schuldig erkannt.

Danach hat er von Dezember 2003 bis Herbst 2004 in T***** in zumindest drei Angriffen

1./ Melanie A***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs genötigt, und zwar dadurch, dass er die Kinderzimmertür versperrte, von hinten seinen Penis in die Scheide der vor ihm am Boden knienden Melanie A***** einführte, während er ihre Hände auf ihrem Rücken zusammenhielt;

2./ durch die zu 1./ geschilderten Tathandlungen mit einer unmündigen Person, nämlich mit der am 15. Juni 1994 geborenen Melanie A*****, den Beischlaf unternommen;

3./ Melanie A***** durch die Äußerung, dass er sie umbringen oder „ihr sonst etwas antun“ werde, wenn sie jemanden von den zu 1./ geschilderten Tathandlungen erzählt, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Erstattung einer Strafanzeige wegen der sexuellen Übergriffe, genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Zu den Punkten 1./ und 2./ des Schuldspruchs haben die Tatrichter entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) die leugnende Verantwortung des Angeklagten berücksichtigt (US 8 f). Es ist kein Begründungsmangel, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und überhaupt alle Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzt (RIS-Justiz RS0098377). Die Angabe des Angeklagten, ab Anfang September 2004 aufgrund seiner Lehrstätte in Y***** „ortsabwesend“ gewesen zu sein, war im Übrigen schon im Hinblick auf den Tatzeitraum von Dezember 2003 bis Herbst 2004 nicht erörterungsbedürftig.

Soweit die Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) dem Erstgericht Widersprüchlichkeit der Urteilsbegründung vorwirft, weil einerseits ausgeführt würde, Melanie A***** hätte „plausible Blutungen durch den Übergriff“ beschrieben (US 11 f), während andererseits angenommen wurde, die Genannte hätte keine Verletzungen erlitten (US 12), unterlässt sie die gebotene Gesamtschau der Urteilsbegründung. Ein Widerspruch liegt nämlich nicht vor, weil das Schöffengericht die angeführten Blutungen nicht als Verletzung angesehen hat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 440).

Mit dem Vorbringen, bei der erstgerichtlichen Urteilsbegründung, es sei „bei lebensnaher Betrachtung auch nicht ungewöhnlich, dass keiner der Erwachsenen je Schreie gehört hat“ und wenig „verwunderlich, dass Annemarie A***** trotz ihrer Kontrollgänge keine jener geschlechtlichen Handlungen wahrnahm“, handle es sich um eine Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall), beschränkt sich die Kritik der Rüge prozessordnungswidrig bloß auf einzelne beweiswürdigende Erwägungen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 455).

Betreffend das Alter des Angeklagten und des Opfers zu den Tatzeitpunkten wirft der Rechtsmittelwerber dem Schöffengericht vor, die Aussage des Zeugen Dr. S***** aktenwidrig zu zitieren (Z 5 letzter Fall). Da er, worauf das Erstgericht hinweist (US 13), seine Gedächtnisprotokolle nach den Angaben der Mutter der Melanie A***** anfertigte, kann es jedoch dahinstehen, ob er mit Melanie A***** selbst überhaupt keinen Kontakt hatte oder ob sie sich ihm gegenüber verschlossen zeigte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 466).

Betreffend Punkt 3./ des Schuldspruchs stellt das Erstgericht fest, dass der Angeklagte „im Zuge der sexuellen Übergriffe“ Melanie A***** jeweils zu einer Unterlassung nötigte, nämlich zur Abstandnahme von der Erstattung einer Strafanzeige wegen der genannten sexuellen Übergriffe (US 5). Inwiefern diesbezüglich unklar (Z 5 erster Fall) sein sollte, zu welcher Unterlassung die Genannte genötigt wurde, bleibt offen. Soweit der Rechtsmittelwerber kritisiert, das Schöffengericht habe bei der Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite ausgeführt, eine lebensnahe Betrachtung lasse keinen anderen Rückschluss zu, als das der Angeklagte beabsichtigte, Melanie A***** durch die verwendeten Drohworte davon abzuhalten, eine Strafanzeige wegen der sexuellen Übergriffe zu erstatten bzw sich ihren Eltern und Geschwistern anzuvertrauen, ist ihm zu entgegnen, dass das Wort „bzw“ im gegebenen Zusammenhang bei verständiger Lesart als gleich bedeutend mit „und“ zu lesen ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Berufung wurde zwar ausgeführt, jedoch nicht innerhalb der in § 294 Abs 1 StPO vorgesehenen Frist angemeldet, weshalb auch diese von dem für die Entscheidung über beide Rechtsmittel zuständigen Obersten Gerichtshof (§§ 285 Abs 2, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO) zurückzuweisen war (RIS-Justiz RS0100243).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt mit Blick auf § 290 StPO anzumerken, dass die Subsumtion der Vergewaltigungen zu Schuldspruch 1./ unter § 201 Abs 1 StGB in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung (BGBl I 2004/15) verfehlt war, weil aufgrund des nicht exakt festzustellenden Tatzeitpunktes im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten die bis 30. April 2004 geltende Fassung des § 201 Abs 2 StGB (BGBl I 2001/130) anzuwenden gewesen wäre. Im Hinblick auf den Strafrahmen des § 206 Abs 1 StGB sieht sich der Oberste Gerichtshof jedoch mangels eines über die verfehlte Subsumtion hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht zu amtswegigem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO veranlasst.

Stichworte