OGH 7Ob85/13w

OGH7Ob85/13w19.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** A***** F*****, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die viertbeklagte Partei Univ.-Prof. Dr. C*****, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 18.700 EUR sA und Feststellung, über die Revision der viertbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Jänner 2013, GZ 12 R 78/12x‑60, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 7. März 2012, GZ 17 Cg 64/10x-54 abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00085.13W.0619.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die viertbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 908,64 EUR (darin enthalten 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Haftung des viertbeklagten Anästhesisten für einen Sturz der Klägerin vom ‑ sehr schmalen ‑ Operationstisch.

Das Berufungsgericht änderte seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision mit Beschluss vom 14. 3. 2013 im Sinn des Antrags des Revisionswerbers ab, dem zuzustimmen sei, dass Rechtsprechung zu folgender Frage fehle: „Ob von einer schlüssigen Übertragung einer sich aus dem Behandlungsvertrag ergebenden vertraglichen Nebenpflicht des Operateurs, dafür Sorge zu tragen, dass der Patient nicht vom Operationstisch fällt, an den der Operation als Erfüllungsgehilfen beigezogenen Anästhesisten auszugehen ist, wenn der Operateur nach Beendigung der Operation den Operationssaal verlässt und der Anästhesist zusammen mit einem Operationsgehilfen beim noch auf dem Operationstisch liegenden Patienten zurückbleibt.“

Eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird damit nicht aufgezeigt.

Wie die Revisionsbeantwortung der Klägerin ‑ zu Recht ‑ geltend macht, folgt die Unzulässigkeit der Revision schon aus der Feststellung, dass der viertbeklagte Anästhesist die Vitalparameter der Patientin zu überwachen gehabt hätte, die Klägerin jedoch mit nur einem Pfleger für ca zwei bis drei Minuten allein ließ, um aus dem Aufwachzimmer ein mobiles Pulsoximeter zu holen; darüber hinaus steht nämlich noch Folgendes fest:

- Es ist grundsätzlich üblich, dass bis zum sog „Ausschleusen“ eines Patienten aus dem Operationssaal neben dem Pfleger oder Operationsgehilfen auch ein Arzt (ständig) beim Patienten bleibt. Standardmäßig nicht vorgesehen ist hingegen, dass der Patient während des Ausschleusens und der Überstellung in den Aufwachraum mittels Pulsoximeters überwacht wird.

- Im Fall der Klägerin verließ der drittbeklagte (operierende) Arzt nach Beendigung des erfolgreichen Eingriffs den Operationssaal und „überließ“ die (nur noch „relativ oberflächlich narkotisierte“) Patientin „der Obhut“ des Viertbeklagten und des Operationsgehilfen.

Von dieser Tatsachengrundlage ausgehend fehlt der bekämpften einzelfallbezogenen Vertragsauslegung die Qualität einer erheblichen Rechtsfrage, weil eine unvertretbare, vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung nicht vorliegt (RIS-Justiz RS0042936; RS0044358; RS0081754).

Die in der Zulassungsbegründung genannte Frage stellt sich schon deshalb nicht, weil ‑ entgegen dem Standpunkt der Revision ‑ nach den Feststellungen gar nicht daran zu zweifeln ist, dass der Viertbeklagte ohnehin (auch) damit beauftragt war, dafür Sorge zu tragen, dass die Klägerin beim Erwachen nicht vom Operationstisch fällt.

Beizupflichten ist der Klägerin daher auch, wenn sie dem Standpunkt des Revisionswerbers entgegentritt, er sei nur für das ordnungsgemäße „Aufwachen“ der Patientin zuständig gewesen; hätte er doch, wenn er die genannte Obsorgepflicht des Drittbeklagten nicht übernehmen wollte, diesen im konkreten (Einzel-)Fall auffordern müssen, weiter im Operationssaal zu bleiben.

Wie bereits das Berufungsgericht aufzeigte, kann sich nach der Rechtsprechung eine deliktische Haftung des Viertbeklagten als Erfüllungsgehilfe auch aus einer Handlungspflicht im Rahmen eines ihm erteilten Auftrags ergeben (RIS-Justiz RS0022481 [T7]). Auch dabei haben Ärzte nach § 1299 ABGB den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird (RIS-Justiz RS0038202; 4 Ob 241/12p). Die Behandlung muss entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen (RIS-Justiz RS0038202 [T3]; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.00 § 1299 Rz 6 mwN). Zur Betreuungspflicht des Arztes zählt auch, den Patienten vor sonstigen durch die Behandlung entstehenden Gefahren zu schützen; für eine unvorhersehbare Reaktionshandlung haftet er nicht ( Reischauer in Rummel ³, § 1299 ABGB Rz 27 mit Hinweis auf EvBl 1955/179 = 3 Ob 856/54 [wo der Oberste Gerichtshof bereits aufgezeigt hat, dass der behandelnde Arzt mit „ gewissen unwillkürlichen Reaktionshandlungen des Patienten rechnen muss “]).

Nach diesen Grundsätzen ist die Bejahung der Haftung des Viertbeklagten nicht zu beanstanden:

Steht doch nach der Aussage des Viertbeklagten fest, dass die Wirkung des von ihm zwecks „Entrelaxierung und Antagonisierung“ nach der Narkose verabreichten Medikaments ‑ insbesondere bei adipösen Patienten wie der Klägerin ‑ „extrem schwer“ einschätzbar ist. Daher kann von einer den Sorgfaltsverstoß ausschließenden „unvorhersehbaren Reaktionshandlung“ der Patientin (durch ihren Versuch, sich aufzusetzen, der in der Folge zum Sturz vom Operationstisch führte) keine Rede sein. Der beklagte Anästhesist musste vielmehr gerade hier mit unwillkürlichen Reaktionen der Klägerin beim Aufwachen rechnen, weshalb er sie ‑ wie es auch nach seinen eigenen Angaben „Standard“ ist ‑ (ununterbrochen) bis ins Aufwachzimmer zu begleiten gehabt hätte.

Da erhebliche Rechtsfragen nicht geltend gemacht werden und auch sonst nicht zu beantworten sind, ist die Revision zurückzuweisen. Dies bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision des Viertbeklagten hingewiesen.

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