OGH 6Ob51/13p

OGH6Ob51/13p8.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. P***** H*****, gegen die beklagte Partei Ing. G***** P*****, vertreten durch Mag. Bernhard Scharmüller, Rechtsanwalt in Linz, wegen 110.178,99 EUR sA, über den Rekurs und die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. Jänner 2013, GZ 3 R 180/12d‑46, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 2. August 2012, GZ 5 Cg 26/10h‑41, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs und der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts, die in ihrem Punkt 1 als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird im Übrigen, also mit Ausnahme des unbekämpft vom Berufungsgericht zurückgewiesenen Betrags von 4.716,47 EUR, dahingehend abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.000,96 EUR (darin 500,16 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungs-verfahrens sowie die mit 8.404,60 EUR (darin 428,10 EUR USt und 5.836 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisions‑ und Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte im Verfahren 5 Cg 51/99v des Landesgerichts Korneuburg vom dortigen Beklagten als Verkäufer und Errichter eines Wintergartens die Bezahlung von 400.000 ATS aus dem Titel des Schadenersatzes und der Gewährleistung. Der Wintergarten weise mangelhafte Wärmedämmwerte auf; der Kläger sei auch nicht über die zu geringen k‑Werte des Wintergartens aufgeklärt worden. Der geltend gemachte Betrag von 400.000 ATS würde den Mindestaufwand für den Austausch des Glases zum Erreichen eines höheren Dämmwerts darstellen.

Der nunmehrige Beklagte wurde in diesem Verfahren im zweiten Rechtsgang als zweiter Sachverständiger bestellt. Er erstattete ein schriftliches Gutachten, eine schriftliche Gutachtensergänzung und eine mündliche Gutachtenserörterung. Mit Urteil vom 31. 10. 2006 wies das Landesgericht Korneuburg das Klagebegehren ab. Diese Entscheidung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 21. 12. 2007 bestätigt. Der Kläger wurde zum Kostenersatz von 22.269,82 EUR verpflichtet.

Der Kläger bringt vor, das vom Beklagten erstattete Gutachten sei unrichtig. Aufgrund dieses unrichtigen Gutachtens habe er den Vorprozess verloren und Prozesskosten von 22.269,82 EUR zu ersetzen gehabt; seine eigenen Prozesskosten hätten 46.734,73 EUR ausgemacht.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren. Sein Gutachten sei richtig. Er habe sein Gutachten entsprechend dem richterlichen Auftrag ausgehend von der Bestandsaufnahme des Sachverständigen DI R***** R***** erstattet. Darauf habe er in seinem Gutachten auch mehrfach hingewiesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beklagte wurde im Vorprozess zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstattung eines Gutachtens zu folgenden Fragen beauftragt:

„1. Welche Leistung erbringt die Heizung in dem Wintergarten?

2. Ist mit der vorhandenen Heizung und Verglasung Frostfreiheit zu erzielen?

3. Wenn dies nicht der Fall ist, welche Verglasung wäre zur Erzielung der Frostfreiheit erforderlich und was würde die Änderung der Verglasung kosten?“

Am 25. 8. 2005 meldete sich der Beklagte beim Verhandlungsrichter und erörterte mit ihm die Frage der Heizleistung. Der Beklagte erkundigte sich beim Verhandlungsrichter, ob er das Gutachten auf Basis einer Befundaufnahme, die DI R***** R***** am 18. Jänner 2002 gemacht hatte, erstellen solle und ob die jeweilige Ö‑NORM auch ohne Vereinbarung anzuwenden sei, wenn sie den Stand der Technik darstelle. Beide Fragen wurden vom Richter bejaht.

Ausgehend von dem Vorbefund des DI R***** R***** errechnete der Beklagte, dass die Fußbodenheizung eine Heizleistung von 3.145 Watt erbringe. Mit dieser Heizung und der vorhandenen Verglasung ließe sich im Wintergarten Frostfreiheit erzielen. In der mündlichen Verhandlung präzisierte der Beklagte, die Frostfreiheit sei knapp gegeben, und zwar bei Betrieb der Heizung ohne Nachtabsenkung.

Die gutachterlichen Schlüsse des Beklagten sind ausgehend von den dabei zugrunde gelegten Befunddaten richtig. Für den Beklagten bestanden keine Umstände, die Kompetenz des Vorgutachters anzuzweifeln.

Tatsächlich erforderte der Wintergarten jedoch eine Wärmeleistung von 4.100 Watt. Diese wird von der Fußbodenheizung im Wintergarten nicht erreicht. Um die erforderliche höhere Vorlauftemperatur der Fußbodenheizung zu erreichen, müssten ca 3.500 EUR exkl USt investiert werden. Eine andere Möglichkeit wäre, zusätzliche, von der Fußbodenheizung unabhängige Heizquellen zu schaffen.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, der Beklagte habe ausgehend von den Daten des Vorbefundes seine gutachterlichen Schlüsse richtig gezogen. Fraglich sei nur, ob der Beklagte diese Daten übernehmen hätte dürfen. Dass hinsichtlich der Raumtemperatur an einer Stelle von 17° C und an einer anderen Stelle von 10,3° C die Rede sei, habe der Beklagte richtig als Schreibfehler qualifizieren können. Dieser offensichtliche Schreibfehler habe nicht dazu geführt, dass der Beklagte die erhobenen Daten hätte anzweifeln müssen.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung das Urteil des Erstgerichts hinsichtlich der Nebenforderung von 4.716,47 EUR auf und wies die Klage insoweit wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Hinsichtlich eines Betrags von 4.328,50 EUR änderte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts im klagsstattgebenden Sinn ab. Hinsichtlich des Mehrbegehrens trug es dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Nach Verwerfung einer Beweis‑ und Mängelrüge erwog es in rechtlicher Sicht, die Kernaussage des Beklagten, die vorhandene Heizung sei geeignet, im Wintergarten des Klägers Frostfreiheit zu gewähren, sei objektiv unrichtig. Der Beklagte hätte nicht die Ergebnisse des Vorbefundes zugrunde legen dürfen. Auch der Gerichtsauftrag, der auf Erstattung von „Befund und Gutachten durch eine Besichtigung an Ort und Stelle“ gelautet habe, entbinde den Beklagten nicht von seiner Verantwortung für den Befund. Der Beklagte hätte die unklare Angabe hinsichtlich der Raumlufttemperatur mit den Parteien und dem Verhandlungsrichter erörtern müssen.

Als bestellter Sachverständiger hafte der Beklagte dem Kläger persönlich und unmittelbar für den durch sein im Vorprozess abgegebenes unrichtiges Gutachten verursachten Schaden. Die frustrierte Sachverständigengebühr könne der Kläger vom Beklagten nach den Regeln des Schadenersatzes zurückverlangen.

Für die Folgeschäden des unrichtigen Gutachtens sei entscheidend, welchen Einfluss ein sachlich richtiges Gutachten auf die Entscheidung des Vorprozesses gehabt hätte. Entscheidend sei der hypothetische Prozessausgang des Vorprozesses bei Vorliegen eines richtigen Gutachtens. Dazu habe das Erstgericht aber noch keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

Die ordentliche Revision und der Rekurs seien zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht abschließend beurteilt habe, ob der gerichtlich bestellte Sachverständige deliktisch nach § 1295 Abs 1 oder Abs 2 ABGB oder nach § 1311 Satz 2 ABGB oder nach Vertragsgrundsätzen hafte. Dies sei für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB bedeutsam. Bei bloß deliktischer Haftung stelle sich ferner die vom Obersten Gerichtshof noch nicht geklärte Frage, ob der Sachverständige unabhängig vom hypothetischen Prozessausgang die für sein unrichtiges Gutachten bestimmte Gebühr zu ersetzen habe.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Rekurs und die Revision sind aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie sind auch berechtigt.

1. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger, der im Zivilprozess ein unrichtiges Gutachten erstattet, haftet den Parteien gegenüber persönlich und unmittelbar nach §§ 1295, 1299 ABGB für den dadurch verursachten Schaden (RIS‑Justiz RS0026319 [T5]). Ob einer Prozesspartei durch ein solches schuldhaftes Fehlverhalten des Sachverständigen ein Schaden entstanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die Entscheidung im Vorprozess für die Partei günstiger ausgefallen wäre, wenn der Sachverständige dort ein in allen von ihm begutachteten Fragen richtiges Gutachten abgegeben hätte (RIS‑Justiz RS0026360 [T10]).

2. Aufgabe des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist es, selbst den Gutachtensauftrag kritisch zu hinterfragen, seine Terminologie klarzustellen und den Beurteilungsgegenstand eindeutig abzugrenzen. Es ist auch seine Aufgabe, allenfalls notwendige weitere Unterlagen beizuschaffen und die allfällige Durchführung eines Ortsaugenscheins oder von Beweisaufnahmen anzuregen, die zur Durchführung des Gutachtensauftrags notwendig sind. Tut er dies nicht, begründet dies ein Verschulden (RIS‑Justiz RS0124313). Es ist Aufgabe des Sachverständigen, aufgrund der einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gerichtsauftrag jeweils maßgebenden strittigen Tatfragen am besten eignet (RIS‑Justiz RS0119439 [T2]).

3. Nach den Feststellungen des Erstgerichts liegt aber gerade kein Fehler des Beklagten vor. Dieser hielt mit dem Erstgericht Rücksprache und klärte, dass er bei seinem Gutachten von den von DI R***** R***** erhobenen Daten ausgehen dürfe. Dass die vom Beklagten gewählte Methode unrichtig oder ungeeignet war hat das Erstgericht nicht festgestellt. Aus dem bloßen Umstand, dass im Vorbefund ein Schreibfehler enthalten war, den der Beklagte nach den Feststellungen des Erstgerichts zutreffend korrigierte, kann entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht abgeleitet werden, dass der Vorbefund „widersprüchliche Daten“ enthalten hätte. Damit liegt aber in Wahrheit kein Sorgfaltsverstoß des Beklagten vor.

Aus diesem Grund erübrigen sich die vom Berufungsgericht aufgetragenen weiteren Feststellungen zum hypothetischen Prozessausgang. Vielmehr war die Angelegenheit bereits im Sinne des § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO spruchreif, sodass die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war. Lediglich hinsichtlich der wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesenen Nebengebühren hatte es bei der unbekämpft gebliebenen Zurückweisung durch das Berufungsgericht sein Bewenden.

4. Aufgrund der Abänderung der Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz war auch die Kostenentscheidung hinsichtlich des Berufungs‑ und Revisions‑ sowie Rekursverfahrens neu zu fassen. Diese gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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