OGH 7Ob62/13p

OGH7Ob62/13p17.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Bundesforste AG, Pummergasse 10-12, 3002 Purkersdorf, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1010 Wien, gegen die beklagte Partei E***** S*****, vertreten durch Dr. Rudolf Franzmayr, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wegen 16.287,22 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2013, GZ 4 R 6/13z-14, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 13. November 2012, GZ 8 Cg 85/12i-8, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts (unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung) wiederhergestellt wird.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.384 EUR (darin 1.296 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Fruchtgenussberechtigte einer Liegenschaft am *****see, die im Eigentum der Republik Österreich (des Bundes) steht und öffentliches Wassergut darstellt. Der Beklagte war vom 26. 5. 1999 bis zum 20. 12. 2010 Eigentümer eines unmittelbar angrenzenden Grundstücks.

Ende 1988 stellte die Republik Österreich (der Bund) beim Vermessungsamt V***** einen Antrag auf Umwandlung ihres dortigen Grundstücks von einem Grundsteuerkataster in einen Grenzkataster. Dazu wurde am 22. 10. 1991 an Ort und Stelle eine Grenzverhandlung (nach dem VermG) mit den Beteiligten abgehalten, bei der die Rechtsvorgänger des Beklagten den sich auf Grund der Behelfe ergebenden Grenzverlauf nicht anerkannten, sodass es zu keiner Einigung kam. Der Bevollmächtigte der Rechtsvorgänger wurde gemäß § 25 Abs 2 VermG aufgefordert, binnen sechs Wochen ein gerichtliches Verfahren zur Bereinigung des Grenzstreits anhängig zu machen. Da dies nicht geschah, verfügte das Vermessungsamt V***** mit Bescheid vom 30. 7. 2007 die Umwandlung des Grundstücks der Klägerin vom Grundsteuerkataster in den Grenzkataster. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel des Beklagten blieben erfolglos. Durch die Umwandlung wurde die Grenze in der Weise „festgeschrieben“, dass erhebliche (hier strittige) Teile des Grundstücks des Beklagten nun Teile des Grundstücks der Republik Österreich (des Bundes) sind.

Die Klägerin begehrt Benutzungsentgelte für die Jahre 2002 bis 2010 von insgesamt 16.287,22 EUR sA. Der Beklagte habe titellos und unredlich Grundstücksteile (darunter ein Uferstück und eine Bootshütte) der Klägerin benutzt. Die Grundstücksgrenze stehe seit dem Jahr 1991 rechtskräftig fest.

Der Beklagte hielt dem ‑ soweit noch von Bedeutung ‑ entgegen, dass die benützten Teile nach einer Stellungnahme des Verwalters des öffentlichen Wasserguts aus dem Jahr 1966 (anlässlich der Bauverhandlung zum Bau der Bootshütte) auf der „Privatparzelle“ lägen, deren Ausmaße in der Natur jenen der damaligen Katastermappe nicht entsprochen hätten. Die Bootshütte sei errichtet worden, ohne öffentliches Wassergut in Anspruch zu nehmen. Im Jahr 1991 sei den Einwendungen des Vertreters der damaligen Eigentümer gegen die Feststellung der Katastergrenze als tatsächliche Grenze nicht Rechnung getragen worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter rechtskräftiger Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens statt. Der Beklagte habe die näher bezeichneten Teilflächen des Nachbargrundstücks, dessen Grenze im Jahr 1991 gemäß § 25 Abs 5 VermG verbindlich festgelegt worden sei, von 26. 5. 1999 bis 20. 12. 2012 rechtsgrundlos benützt. Er habe der Klägerin das der Höhe nach unstrittige Benützungsentgelt zu zahlen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung auf. Es vertrat den Standpunkt, (erst) durch den rechtskräftigen Umwandlungsbescheid seien Teile des Grundstücks des Beklagten zu Teilen des Grundstücks der Klägerin geworden. Mangels Feststellung der ursprünglichen Grenze (jene im Grundsteuerkataster sei unverbindlich) sei jedoch nicht ersichtlich, ob dadurch eine Änderung der Eigentumsverhältnisse stattgefunden habe. Nach Feststellung der ursprünglichen Grenze (und damit auch einer allfälligen Änderung der Eigentumsverhältnisse) sei der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs festzustellen, wofür ‑ entsprechend dem Eintragungsgrundsatz ‑ das Einlangen des Gesuchs auf Verbücherung maßgebend sei. Sofern der Beklagte vor einer allfälligen Änderung der Eigentumsverhältnisse sein eigenes Grundstück benützt habe, stünde der Klägerin erst nach diesem Zeitpunkt ein Benützungsentgelt zu. Die Aufhebung vermeide eine Überraschungsentscheidung.

Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss sei zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage aufgefunden worden sei, ob die Änderung der Eigentumsverhältnisse durch eine Grenzverhandlung nach dem VermG ‑ sofern es zu keiner Einigung der Parteien über den Grenzverlauf gekommen sei ‑ mit dem Einlangen des Gesuchs auf Verbücherung oder schon mit Rechtskraft des Umwandlungsbescheids eintrete.

Dagegen richtet sich der Rekursder Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden.

In seiner Rekursbeantwortung beantragt der Beklagte, dem Rekurs der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Die Rekurswerberin hält an ihrem Standpunkt fest, die Grenze sei mit der Grenzverhandlung im Jahr 1991 - nach Verstreichen der Präklusivfrist von sechs Wochen - rechtlich bindend festgesetzt worden, weil § 25 Abs 5 VermG die Zustimmung des Seeanrainers zu der vom See-Eigentümer behaupteten Grenze fingiere. Auch dieser gesetzlichen Fiktion komme ‑ wie einer Einigung der Eigentümer über den Verlauf der Grenze ‑ konstitutive Wirkung für den Grenzverlauf zu (Burtscher/Holler, Das österreichische VermessungsrechtAnm 14 zu § 25 VermG).

Die Rekursbeantwortung beruft sich hingegen weiterhin darauf, dass „ein aus dem Jahr 1966 stammendes Anerkenntnis des seinerzeitigen Verwalters des öffentlichen Wasserguts anlässlich einer Bauverhandlung betreffend eines bestimmten Grenzverlaufs“ vorliege und diese Grenze jener im Grundsteuerkataster nicht entsprochen habe. Die Klägerin habe sich lediglich darauf berufen, eine solche Behauptung wäre nur im Rahmen eines gerichtlichen Grenzstreits relevant gewesen. Um jene Fläche zu bestimmen, hinsichtlich der nach Ansicht des Berufungsgerichts (allenfalls) eine Änderung der Eigentumsverhältnisse erfolgt sei, hätte diese ursprüngliche Grenze aber festgestellt werden müssen.

Dazu wurde erwogen:

Wie zu 1 Ob 173/08k handelt es sich auch im vorliegenden Fall um einen Rechtsstreit im Zusammenhang mit der Umwandlung des Grundsteuerkatasters in einen Grenzkataster nach dem VermG. Nach den EB zum Stammgesetz (508 BlgNR 11. GP, 13) sollte die Landvermessung neu geordnet werden und der neue Kataster neben seiner bisherigen Aufgabe, der Finanzverwaltung die Grundlagen der Einheitsbewertung zu liefern, auch der Sicherung der Grundstücksgrenzen dienen. Die besondere Bedeutung des Grenzkatasters liegt darin, dass er unter anderem zum verbindlichen Nachweis der Grenzen der Grundstücke bestimmt ist und ein auf die in der Natur ersichtlichen Grenzen eines Grundstücks gegründeter Anspruch demjenigen nicht mehr entgegengesetzt werden kann, der ein Recht im Vertrauen auf die im Grenzkataster enthaltenen Grenzen erworben hat (1 Ob 193/98h mwN).

Einigen sich bei einer nach den Bestimmungen des VermG durchzuführenden Grenzverhandlung die Eigentümer benachbarter Grundstücke nicht über den Grenzverlauf, so ist nach § 25 Abs 2 VermG der Eigentümer, der behauptet, dass die Grenze nicht mit dem sich auf Grund der Behelfe ergebenden Grenzverlauf übereinstimmt, aufzufordern, binnen sechs Wochen ein für die Bereinigung des Grenzstreits bestimmtes gerichtliches Verfahren (durch Einbringen einer Eigentumsklage oder eines Antrags auf Grenzberichtigung nach den §§ 850 ff ABGB) anhängig zu machen (1 Ob 173/08k; mit Hinweis auf Pregesbauer, Vermessungsrecht, 52). Die Aufforderung, binnen sechs Wochen ein für die Bereinigung des Grenzstreits bestimmtes gerichtliches Verfahren anhängig zu machen, ist ein anfechtbarer Bescheid; die Frist beginnt erst mit dessen Rechtskraft zu laufen (RIS-Justiz RS0079909; 3 Ob 150/11x).

Bleibt der solcherart aufgeforderte Eigentümer untätig, so ist er nach § 25 Abs 5 VermG als dem von den übrigen beteiligten Eigentümern in der Grenzverhandlung angegebenen Grenzverlauf oder, wenn eine den Grenzverlauf festsetzende außerstreitige gerichtliche Entscheidung vorliegt, als dem Inhalt dieser Entscheidung zustimmend anzusehen. Das Unterlassen der rechtzeitigen Antragstellung bzw Klagsführung schafft die unwiderlegbare Fiktion der Zustimmung und hat zur Folge, dass die Voraussetzungen für die Feststellung der Grenze durch das Gericht weggefallen sind (1 Ob 173/08k; 1 Ob 12/94; RIS-Justiz RS0079920).

In der Einigung, die Grenze gemäß dem Stand der Katastralmappe festzustellen und zu vermarken, liegt nach ständiger Rechtsprechung eine Vereinbarung über strittige Rechte an bestimmten Grundteilen, die als ein Vergleich im Sinn des § 1380 ABGB anzusehen ist (6 Ob 256/10f; 1 Ob 193/98h; RIS-Justiz RS0013881). Eine vergleichsweise vorgenommene Festlegung der Grenze hat unmittelbar Bedeutung für die Eigentumsverhältnisse, sodass lediglich zu prüfen ist, ob ein wirklicher Streit über die Grenze vorlag oder die Parteien nur eine Eigentumsübertragung verschleiern wollten (RIS-Justiz RS0013881 [T2]; Twaroch, Kataster- und Vermessungsrecht² [2012] § 25 VermG Anm 18 Abs 2; Parapatits in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.01 [Dezember 2011] § 850 Rz 11 mwN in FN 38).

Insoweit hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 6 Ob 256/10f (JBl 2011, 645 [zust Holzner] und immolex 2012/52, 157 [zust Klein]) der Auffassung von Twaroch (Grundstücksgrenzen und Kataster, NZ 1994, 54 [59 f]; sowie Kataster- und Vermessungsrecht § 25 VermG Anm 18) angeschlossen und darauf verwiesen, dass die Neufestsetzung der strittigen Grenze zwischen verschiedenen Grundeigentümern zweifellos auch der Festlegung des Umfangs ihres jeweiligen Eigentumsrechts diene. Die gegenteilige Auffassung von Angst (Die zivil- und vermessungsrechtliche Bedeutung der Festlegung der Grundstücksgrenzen im Zuge von Grundstücksvermessungen, NZ 2010/49, 193 [197]) wurde hingegen mit der Begründung abgelehnt, sie würde dazu führen, dass die Festlegung einer „Grenze“ ohne sachenrechtliche Auswirkung bliebe. Diese Auffassung trüge nicht nur der Funktion der Grenze nicht Rechnung, sondern würde einer derartigen Grenzfestlegung auch weitgehend die Bereinigungswirkung nehmen; müsste doch dann in einem weiteren (nach Ansicht des Berufungsgerichts auch hier gebotenen) Schritt eine Ab- und Zuschreibung erfolgen. Zur Ermittlung des Umfangs der betroffenen Flächen (Trennstücke) wäre dann die Anführung auch der „ursprünglichen“ Grenze erforderlich, die in derartigen Fällen vielfach nicht bekannt oder eben ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ gerade strittig sei; wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, könnte dabei auf die ursprüngliche Grenze im Grundsteuerkataster nicht zurückgegriffen werden, weil die dort aufscheinende Grenze (anders als bei in den Grenzkataster aufgenommenen Liegenschaften) nicht verbindlich ist (6 Ob 256/10f mwN).

Nach der Bestimmung des (weiterhin in der Stammfassung geltenden) § 25 Abs 2 und 5 VermG greift die dort normierte Zustimmungsfiktion immer dann, wenn ein Grundeigentümer ‑ wie hier ‑ nicht fristgerecht das Gericht anruft (RIS-Justiz RS0079920 [T1]). Dass ein solcher Fall genauso behandelt werden muss wie die eben erörterten vergleichsweisen Grenzfestlegungen, denen nach der zitierten Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0013881 [T2]) unmittelbare Bedeutung für die Eigentumsverhältnisse zukommt, liegt auf der Hand. Bereits nach Fristablauf standen die Eigentumsverhältnisse an der fraglichen Grenze somit im Sinn der unwiderlegbar fingierten Zustimmung ‑ mit unmittelbarer (sachenrechtlicher) Wirkung auf das Eigentumsrecht ‑ fest, ohne dass es auf eine Ersichtlichmachung im Grenzkataster, eine Verbücherung oder den Bescheid einer Behörde ankam.

Die wegen „allfälliger“ (späterer) Änderung der Eigentumsverhältnisse geforderten weiteren Feststellungen zum tatsächlichen Verlauf der ursprünglichen Grenze und zum Zeitpunkt eines Eigentumsübergangs sind also schon deshalb entbehrlich, weil im vorliegenden Fall ‑ entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ‑ eine Eigentumsübertragung gar nicht vorzunehmen war:

Durch die Zustimmungsfiktion des § 25 Abs 5 VermG wurde der strittige Grenzverlauf geklärt und zwischen den Eigentümern der beiden Liegenschaften, zu denen die angrenzenden Grundstücke gehören, eine (neue) Grenze festgelegt. Einer dem Eintragungsgrundsatz (vgl Hinteregger in Schwimann/Kodek [Hrsg], ABGB II4 § 431 Rz 1 ff) entsprechenden Einverleibung ‑ als die Übergabe ersetzender Modus eines (hier gar nicht vorzunehmenden) abgeleiteten Eigentumserwerbs (vgl Hinteregger aaO § 431 Rz 4; Illedits in Schwimann [Hrsg] Taschenkommentar ABGB4 [2012] § 431 Rz 1) ‑ bedurfte es dabei nicht.

Darauf, welche Grenzen zuvor bestanden (oder nach dem Vorbringen des Beklagten im Jahr 1966 anerkannt waren), kommt es nicht an. Für die entscheidende Frage, ob das Grundstück der fruchtgenussberechtigten Klägerin vom Beklagten titellos benutzt wurde, ist vielmehr allein die unwiderlegbare Zustimmungsfiktion des § 25 Abs 5 VermG maßgebend, durch die der Grenzverlauf bereits im Jahr 1991 neu in konstitutiver Weise festgelegt wurde (vgl auch VwGH 91/06/0033 sowie Twaroch, Kataster- und Vermessungsrecht² [2012] § 25 VermG Anm 20 [jeweils zur einvernehmlichen Festlegung der Grenzen in einer Grenzverhandlung]).

Auch auf die Vertretungsfähigkeit der seinerzeit einschreitenden Bevollmächtigten ist nicht weiter einzugehen; der Beklagte hat nämlich weder den Beginn und (ungenützten) Ablauf der sechswöchigen Frist des § 25 Abs 5 VermG noch die Höhe des Benützungsentgelts (substantiiert) bestritten. Festgestellt und zuerkannt wurde ein angemessenes ortsübliches Benützungsentgelt, das auch ein redlicher Besitzer zu leisten hat (RIS-Justiz RS0010191). Schon das Erstgericht hat zutreffend auf die unstrittige Höhe des Benützungsentgelts verwiesen, wozu die Berufung und die Rekursbeantwortung des Beklagten keine Ausführungen enthalten.

Da der Oberste Gerichtshof im Umfang der Aufhebung durch das Berufungsgericht in der Sache selbst erkennen kann, wenn die Streitsache ‑ wie hier ‑ zur Entscheidung reif ist (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO), ist in Stattgebung des Rekurses der Klägerin das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich der Kosten der Klägerin im Berufungs- und Rekursverfahren gründet sich auf die §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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