OGH 12Os166/12x

OGH12Os166/12x11.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in den Strafsachen gegen Ferdi K***** wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 36 Hv 126/11y des Landesgerichts Innsbruck und weitere Verfahren, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des genannten Gerichts vom 3. Oktober 2011, GZ 36 Hv 126/11y-37, und weitere Beschlüsse erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I./ Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Oktober 2011, GZ 36 Hv 126/11y-37, verletzt das Gesetz in § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB.

II./ Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

1./ Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 20. November 2009, GZ 23 Hv 142/09b-48, wurde Ferdi K***** des Verbrechens des Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt, von der ein Teil von 16 Monaten gemäß § 43a Abs 3 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Aus dem unbedingten Teil dieser Freiheitsstrafe wurde der Verurteilte mit (am 4. Februar 2010 in Rechtskraft erwachsenem; ON 17 und 18 im Akt AZ 39 BE 4/10y) Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Vollzugsgericht vom 28. Jänner 2010, GZ 39 BE 4/10y-7, am 4. Februar 2010 - bei einem Strafrest von zwei Monaten und 20 Tagen - unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.

2./ Mit weiterem - in gekürzter Form ausgefertigtem - Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Oktober 2011, GZ 36 Hv 126/11y-37, wurde Ferdi K***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und hiefür zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde der Beschluss gefasst (S 3 in ON 37), einerseits gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der vom Landesgericht Innsbruck im Verfahren AZ 3 (richtig: 23) Hv 142/09b gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen sowie andererseits gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die dem Genannten mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Vollzugsgericht vom 28. Jänner 2010 zu AZ 39 BE 4/10y gewährte bedingte Entlassung zu widerrufen. Das Urteil und der Beschluss erwuchsen in Rechtskraft.

3./ Schließlich wurde Ferdi K***** mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 13. April 2012, GZ 23 Hv 27/12w-27, des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und hiefür zu zwölf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde der Beschluss gefasst, gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die im Verfahren AZ 23 Hv 142/09b des Landesgerichts Innsbruck - hinsichtlich eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe (im Ausmaß von 16 Monaten) - gewährte bedingte Strafnachsicht zu widerrufen.

Die gegen das vorbezeichnete Urteil ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten K***** wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 9. August 2012, GZ 12 Os 85/12k-4, gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückgewiesen; zur Entscheidung über die vom Genannten weiters erhobenen Rechtsmittel (Berufung und Beschwerde gegen den Beschluss auf Widerruf [teil-]bedingter Strafnachsicht) wurden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Der Berufung des Ferdi K***** wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. Oktober 2012, AZ 7 Bs 457/12g (ON 42), nicht Folge gegeben. Mit unter einem gefassten Beschluss sprach das Oberlandesgericht aus, dass der Beschwerde Folge gegeben, der angefochtene Widerrufsbeschluss aufgehoben und gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der im Verfahren AZ 23 Hv 142/09b des Landesgerichts Innsbruck gewährten bedingten Strafnachsicht (hinsichtlich des Strafteils von 16 Monaten) abgesehen, jedoch die Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert wird. Insoweit wurde zur Begründung wie folgt ausgeführt:

Nach § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB können die bedingte Nachsicht des Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Obwohl das Erstgericht auf diese Regelung hinwies (US 4), habe es dennoch die bedingte Nachsicht hinsichtlich des bedingt gewährten Strafteils von 16 Monaten widerrufen. Der bloß partielle Widerruf von Rechtswohltaten ein- und derselben Sanktion widerspreche dem gesetzlich vorgesehenen Ausschluss der eigenständigen Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest. Da § 51 Abs 1 StGB nur partiellen Widerruf verbiete bzw gemeinsamen Widerruf gebiete, sei jedoch - aus spezialpräventiven Gründen - gemäß § 494a Abs 6 StPO die Probezeit in Betreff des im Verfahren AZ 23 Hv 142/09b des Landesgerichts Innsbruck bedingt nachgesehenen Strafteils auf fünf Jahre zu verlängern gewesen.

Rechtliche Beurteilung

I./ Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Oktober 2011 steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß dem durch das Strafrechts- änderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109, eingefügten zweiten Satz des § 53 Abs 1 StGB dürfen die bedingte Nachsicht eines Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden (RIS-Justiz RS0125448).

Der mit Beschluss vom 3. Oktober 2011, GZ 36 Hv 126/11y-37, erfolgte Widerruf der bedingten Entlassung aus dem gemäß § 43a Abs 3 StGB nicht bedingt nachgesehenen Teil einer Freiheitsstrafe ist daher unzulässig, wenn zugleich - wie hier - in Ansehung des bedingt nachgesehenen Teils dieser mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 20. November 2011, GZ 23 Hv 142/09b-48, verhängten Strafe vom Widerruf abgesehen wird.

II./ Die Generalprokuratur bringt weiters vor:

„Der gemeinsam mit dem Urteil verkündete Beschluss vom 13. April 2012, GZ 23 Hv 27/12w-27, womit - bei aufrechtem Bestand des Widerrufs der bedingten Entlassung aus dem gemäß § 43a Abs 3 StGB nicht bedingt nachgesehenen Teil der Freiheitsstrafe - der Widerruf der dem Ferdi K***** im Verfahren AZ 23 Hv 142/09b gewährten bedingten Strafnachsicht (hinsichtlich eines Teiles der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten) beschlossen wurde, verstößt demnach - wie bereits vom Oberlandesgericht Innsbruck zutreffend erkannt und saniert wurde - in gleicher Weise gegen das Gesetz.

Aber auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. Oktober 2012, AZ 7 Bs 457/12g (ON 42), soweit damit - isoliert - die im Verfahren AZ 23 Hv 142/09b des Landesgerichts Innsbruck gesetzte Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Denn der Gesetzgeber lehnt - wie bereits dargelegt - bei nachfolgender Verurteilung eine eigenständige Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest in Bezug auf ein- und dieselbe Sanktion ab (§ 53 Abs 1 zweiter Satz StGB [eingefügt durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109]; RIS-Justiz RS0125448).

Da das Absehen vom Widerruf unter Verlängerung einer Probezeit (§ 53 Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2 und 6 StPO) nur in Betracht kommt, wenn die formellen Voraussetzungen für eine Widerrufsentscheidung (§ 53 Abs 1 StGB) vorliegen, stellt in solchen Konstellationen die in § 53 Abs 3 StGB vorgesehene Möglichkeit, bei nachfolgender Verurteilung 'die Probezeit' zu verlängern, auf ein einheitliches Schicksal von Strafteil und Strafrest (in Bezug auf ein- und dieselbe Sanktion) ab. Das Absehen vom Widerruf unter Probezeitverlängerung wäre daher nur in Ansehung beider Sanktionen zulässig gewesen, was aber fallaktuell infolge des mit Beschluss vom 3. Oktober 2011 - wenn auch rechtsirrig - erfolgten Widerrufs der bedingten Entlassung aus dem gemäß § 43a Abs 3 StGB nicht bedingt nachgesehenen Teil der Freiheitsstrafe gerade nicht mehr möglich war; die vorliegend durch das Oberlandesgericht Innsbruck angeordnete Verlängerung nur einer der beiden Probezeiten ist daher ausgeschlossen (vgl Jerabek in WK2 StGB § 53 Rz 4a und 16).“

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Anordnung des Gesetzes, wonach die bedingte Nachsicht des Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden dürfen (§ 53 Abs 1 zweiter Satz StGB), setzt begriffslogisch voraus, dass beide bedingten Nachsichten im Beurteilungszeitpunkt noch Bestand haben. Denn das hinter dieser Regelung stehende gesetzgeberische Konzept des Ausschlusses der - grundsätzlich (vgl Jerabek in WK² § 52 Rz 4a) - eigenständigen Behandlung von - bedingt nachgesehenem - Strafteil und - nach bedingter Entlassung verbliebenem - Strafrest will nur bloß partizielle Widerrufsentscheidung von bedingten Nachsichten ein- und derselben Sanktion bei identer Beurteilungsgrundlage verhindern. Das Gericht soll im Rahmen einer Gesamtverfügung eine einheitliche Entscheidung über die beiden Sanktionsteile treffen, die so ein gemeinsames Schicksal erfahren, und nicht in einem Beschluss divergierende Rechtsfolgen anordnen.

Ist aber - aus welchem Grund immer - zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nur noch eine bedingte Nachsicht offen, ist der Wortlaut der Bestimmung teleologisch so zu reduzieren, dass jene - bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen - isoliert widerrufen werden kann (15 Os 3/13z, 15 Os 4/13x, 15 Os 5/13v; vgl EBRV 302 BlgNR 23. GP 16).

Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 13. April 2012, GZ 23 Hv 27/12w-27, womit die im Verfahren AZ 23 Hv 142/09b, bedingte Nachsicht widerrufen wurde, war demnach - entgegen der Ansicht der Generalprokuratur und auch des Oberlandesgerichts Innsbruck - rechtsrichtig, weil wegen zuvor im Verfahren zu AZ 36 Hv 126/11y des Landesgerichts Innsbruck erfolgten Widerrufs der bedingten Entlassung nur noch eine Probezeit offen war.

Soweit die Generalprokuratur betreffend die durch das Oberlandesgericht Innsbruck erfolgte Verlängerung der Probezeit argumentiert, der Gesetzgeber lehne bei nachfolgender Verurteilung eine eigenständige Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest in Bezug auf ein- und dieselbe Sanktion ab (§ 53 Abs 1 zweiter Satz StGB), ist ihr Folgendes zu entgegnen:

Einerseits war nach dem bisher Gesagten die Aufhebung des im Verfahren des Landesgerichts Innsbruck zu AZ 23 Hv 27/12w erfolgten Widerrufsbeschlusses zu Unrecht ausgesprochen worden, andererseits war im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Oberlandesgericht (zufolge zuvor rechtsirrig im Verfahren AZ 36 Hv 126/11y des genannten Landesgerichts bloß erfolgten Widerrufs der bedingten Entlassung unter Absehen vom Widerruf der gewährten bedingten Nachsicht hinsichtlich ein- und derselben Sanktion) keine weitere Probezeit offen.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes daher zu verwerfen.

Betreffend den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Oktober 2011, GZ 36 Hv 126/11y-37, sah sich der Oberste Gerichtshof mit Blick auf den zu AZ 23 Hv 27/12w des genannten Landesgerichts gefassten Beschluss vom 13. April 2012, welchen das Oberlandesgericht Innsbruck rechtsirrig aufhob und zugleich vom Widerruf absah, zu einem Vorgehen nach § 292 letzter Satz StPO, nicht veranlasst.

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