OGH 12Os159/12t

OGH12Os159/12t7.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Strafsache gegen Günther S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 5. Mai 2012, GZ 25 Hv 47/11w-91, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Günther S***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe „in S*****

1./ in der Zeit vom 21. November 1994 bis 12. November 1996 mit seiner am 12. November 1982 geborenen, somit im Tatzeitraum unmündigen Schwester Juliane S***** den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, indem er in einer Vielzahl von Angriffen regelmäßig den Geschlechtsverkehr mit seiner Schwester vollzog, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung der unmündigen Person, nämlich eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung, zur Folge hatte,

2./ seine unter einer schweren seelischen Störung, verbunden mit einer Diskretions- bzw Dispositionsunfähigkeit im Relevanzbereich der Sexualität insbesondere im Hinblick auf Vater und Bruder leidende Schwester Juliane S*****, die demnach unfähig war, nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog, und zwar

a./ in der Zeit von 13. November 1996 bis 30. April 2004 in einer Vielzahl von Angriffen sowie

b./ in der Zeit von 1. Mai 2004 bis August 2006 in einer Vielzahl von Angriffen, sowie

3./ in der Zeit von 21. November 1994 bis etwa August 2006 durch die zu 1./ und 2./ geschilderten Tathandlungen mit seiner Schwester Juliane S***** den Beischlaf vollzogen“,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Hinsichtlich der zu den Punkten 1./ und 3./ des Urteilssatzes erfolgten - die Delikte nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und § 211 Abs 3 StGB betreffenden - Freisprüche stellte das Erstgericht - zusammengefasst wiedergegeben - fest, dass Günther S***** in der Zeit von 21. November 1994 bis zu seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung im Jahr 2005 mit seiner am 12. November 1982 geborenen - somit bis 12. November 1996 unmündigen - Schwester Juliane S***** vielfach den Geschlechtsverkehr vollzog. Dabei wusste der Angeklagte Günther S***** nicht und nahm auch nicht in Kauf, dass der Geschlechtsverkehr mit seiner noch nicht 14-jährigen Schwester etwas Verbotenes sein könnte; ebenso konnte er vor dem 14. Geburtstag seiner Schwester nicht erkennen, dass der sexuelle Verkehr mit ihr sie in Form einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung schädigen würde, er hielt eine solche Schädigung auch nicht für möglich und fand sich auch nicht damit ab. Erst ab einem unbekannten Zeitpunkt nach Vollendung seines 16. Lebensjahres wusste er und nahm in Kauf, dass er gerade mit seiner Schwester den Geschlechtsverkehr durchführte (zu ergänzen: und dies verboten war), er handelte jedoch trotzdem (US 3 f).

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft mit auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde die zu den Punkten 1./ und 3./ des Urteilssatzes erfolgten Freisprüche.

Diese verfehlt das Ziel.

Im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) wird - unter Hinweis auf Fabrizy, StGB10 § 206 Rz 8 - „angemerkt“, „dass ein strafbefreiender Irrtum über das Verbot des geschlechtlichen Umgangs mit Unmündigen nicht denkbar ist“. Daran anknüpfend - sowie unter weiterer Geltendmachung eines Feststellungsmangels in Bezug auf das Wissen des Angeklagten um das (implizit ohnedies konstatierte) Alter seiner Schwester - wird vorgebracht, dass „das Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB als erfüllt zu betrachten“ sei. Mit dieser lapidaren Behauptung wird allerdings eine materiell-rechtliche Nichtigkeit nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS-Justiz RS0116565; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).

Die Staatsanwaltschaft geht von der Vorwerfbarkeit des Verbotsirrtums iSd § 9 Abs 2 StGB aus, übersieht dabei aber, dass die Erkennbarkeit des Unrechts anhand eines „objektiv-subjektiven Doppelmaßstabes“ zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0089406, RS0089321; vgl auch Leukauf/Steininger, StGB³ § 9 Rz 11; Kienapfel/Höpfel/Kert AT14 Z 18 Rz 21; Höpfel in WK² § 9 Rz 12 f).

Das Erstgericht stellte auf der subjektiven Tatsachenebene - sich dabei insbesondere auf das Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Prim. Dr. Anton T***** stützend (US 4 f) - jedoch fest, dass der Angeklagte (der selber von seinem Vater sexuell missbraucht wurde, in einer Familie aufwuchs, in der keine Beziehungen zu anderen Verwandten oder Freunden gepflogen wurden, zum Einzelgänger wurde und sich monatelang tagsüber in seinem Zimmer einsperrte [US 2 f]) nicht wusste und auch nicht in Kauf nahm, dass der Geschlechtsverkehr mit seiner noch nicht 14-jährigen Schwester etwas Verbotenes sein könnte. Indem die Staatsanwaltschaft diese Konstatierung, aufgrund derer sich die Prüfung der Erkennbarkeit des Tatunrechts für den Durchschnittsmenschen erübrigt (RIS-Justiz RS0089406 [T1], vgl auch RS0089592; Fabrizy, StGB10 § 9 Rz 6), nicht beachtet, erweist sie sich als nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt. Denn bei Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes ist am gesamten wesentlichen Urteilssachverhalt festzuhalten, dieser mit dem darauf anzuwendenden Gesetz zu vergleichen und auf dieser Basis der Einwand zu entwickeln, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen sei (RIS-Justiz RS0117247; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584 f und 593). Die in Rede stehende Konstatierung zur subjektiven Tatseite wird aber unbekämpft gelassen.

Das weitere, auf das Vorliegen der fallbezogen - unter Berücksichtigung der andernfalls eingetretenen Verjährung und der sonst anzuwendenden Alterstoleranzklausel nach § 206 Abs 4 StGB - für eine Strafbarkeit notwendigen Qualifikation des § 206 Abs 3 erster Fall StGB bezogene Beschwerdevorbringen (Z 5 und 9 lit a) bedarf mit Blick darauf, dass - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - schon der Grundtatbestand nach § 206 Abs 1 StGB nicht erfüllt ist, keiner Erörterung.

Demgemäß versagt auch der abschließende Beschwerdeeinwand, wonach - mit Blick auf die (allerdings bloß laut Beschwerdebehauptung vorliegende) Strafbarkeit des Angeklagten nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB - das Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 3 StGB noch nicht verjährt sei.

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Stichworte