OGH 11Os31/13p

OGH11Os31/13p4.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Niegl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mario U***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 12 HR 209/12p des Landesgerichts St. Pölten, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 1. Februar 2013, AZ 18 Bs 33/13d (ON 48 der HR-Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Mario U***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Untersuchungshaft über Mario U***** aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO fortgesetzt.

Danach besteht - gestützt auf die ausführlichen Angaben des Opfers in der kontradiktorisch durchgeführten Zeugenvernehmung (ON 25 der HR-Akten) - der rechtlich in Richtung des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB zu qualifizierende dringende Tatverdacht, der Beschuldigte habe in den Jahren 2002 bis 2009 in S***** und anderen Orten in Österreich mit seiner am 10. November 1993 geborenen Stieftochter Stephanie B***** wiederholt oralen, analen und vaginalen Geschlechtsverkehr unternommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde lässt über weite Strecken eine Ausrichtung an deren Anfechtungskriterien vermissen und erschöpft sich zum Teil in gegen die Mitglieder des Beschwerdesenats gerichtete Polemik, die einer sachlichen Erwiderung nicht zugänglich ist.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, an der angefochtenen Entscheidung hätten ausgeschlossene Richter teilgenommen, wendet sich inhaltlich gegen den Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, mit dem der Antrag des Mario U***** auf Ablehnung der Mitglieder des entscheidenden Senats des Oberlandesgerichts Wien abgewiesen wurde. Damit wird keine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung im Sinn des GRBG geltend gemacht.

Soweit der Beschwerdeführer die Unterlassung von Beweisaufnahmen im Ermittlungsverfahren kritisiert, ist er darauf zu verweisen, dass eine analoge Heranziehung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0122321; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 26).

Grundsätzlich können die bestimmten Tatsachen, aufgrund derer die in § 173 Abs 2 Z 3 StPO beschriebene Gefahr besteht, auch in den dem Beschuldigten angelasteten (wiederholten und fortgesetzten) Taten liegen, wenn diese von solcher Art sind, dass dadurch nicht lediglich die bloße Möglichkeit eines Rückfalls begründet wird (RIS-Justiz RS0108876, 11 Os 193/09f; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 49).

Zutreffend zeigt die Grundrechtsbeschwerde allerdings die fallbezogen unzureichende Begründung der Annahme des Vorliegens des Haftgrundes auf (RIS-Justiz RS0117806; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 49).

Die Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO (Prognosetat mit nicht bloß leichten Folgen bei Mehrheit von Anlasstaten) wurde - unter Berufung auf eine Vorentscheidung in dieser Sache - mit der Begründung bejaht, dass der Beschuldigte durch sein „über einen mehrjährigen Zeitraum mutmaßlich erfolgtes Triebbefriedigungsverhalten an einem ihm physisch wie psychisch unterlegenen Kind eine hochgradig abartige Triebhaftigkeit, die die Gefahr eines neuen, von ihm sichtlich nicht zu zügelnden Übergriffs an ihm unterlegenen Kindern birgt“, offenbart (BS 4).

Mit Blick darauf, dass die dem Beschuldigten zur Last gelegten Tathandlungen nach den Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts (BS 2 f) schon mehr als drei Jahre zurückliegen, wendet der Beschwerdeführer im Ergebnis zu Recht ein, dass allein der auf die Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht Bezug nehmende Hinweis auf dessen vom Beschwerdegericht angenommene hochgradig abartige und gegenüber ihm unterlegenen Kindern nicht zügelbare Triebhaftigkeit im Gegenstand keine ausreichende Grundlage für die rechtliche Annahme bietet, Mario U***** werde nunmehr neuerlich Delikte der ihm angelasteten Art begehen (vgl 11 Os 52/97).

Da die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Fortsetzung der Untersuchungshaft solcherart mit einem Begründungsmangel behaftet ist, war - wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte - in teilweiser Stattgebung der Grundrechtsbeschwerde, jedoch ohne Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, auszusprechen, dass Mario U***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Dem Haft- und Rechtsschutzrichter ist damit aufgetragen, unverzüglich von Amts wegen neuerlich (unter Berücksichtigung der aktuellen Gegebenheiten) über die Haft zu entscheiden (RIS-Justiz RS0112914).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

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