OGH 9ObA96/12a

OGH9ObA96/12a21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** S*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei ***** Musikschulverband *****, vertreten durch Leeb & Weinwurm Rechtsanwälte GmbH in Neunkirchen, wegen Feststellung (Streitwert 30.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Mai 2012, GZ 9 Ra 50/12g‑60, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 26. September 2011, GZ 6 Cga 13/07a‑56, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.680,84 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 280,14 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) unzulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

1. In der Vorentscheidung 9 ObA 70/10z trug der erkennende Senat den Vorinstanzen auf zu klären, ob die Kündigung des Klägers trotz des Betriebsübergangs zulässig war. Art 4 Z 1 Satz 2 der RL 2001/23/EG stehe zwar einer etwaigen Kündigung aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigungen mit sich bringen, nicht entgegen. Grundsätzlich stelle aber der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens‑ bzw Betriebsteils als solcher auch für den Erwerber gemäß Art 4 Z 1 Satz 1 RL keinen Grund zur Kündigung dar. Der Arbeitnehmer soll vor nachträglichen Kündigungen geschützt werden, die nur mit dem Betriebsübergang begründet werden (Binder, AVRAG² § 3 Rz 85 f ua). Der Ausspruch der gegenständlichen Kündigung im zeitlichen Naheverhältnis zum Betriebsübergang und der Umstand, dass der Beklagte unmittelbar vor dem Betriebsübergang einen neuen Violinlehrer aufgenommen hat, somit eine Funktion besetzt hat, die auch der Kläger hätte bekleiden können, begründet eine Indizwirkung dafür, dass die Kündigung des Klägers ihre Ursache im Betriebsübergang gehabt hat. Bei einem solchen Sachverhalt trifft den Beklagten als kündigenden Arbeitgeber die Beweislast für die sachliche Entkräftung der Umgehungsvermutung, dass die Kündigung nicht nur wegen des Betriebsübergangs erfolgte (9 ObA 70/10z).

Die Beurteilung der Frage, ob eine Kündigung nur wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen wurde und daher unwirksam ist, kann immer nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls erfolgen und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (vgl 9 ObA 142/09m ua). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es dem Beklagten nicht gelungen ist, die Indizwirkung zu widerlegen, dass die Kündigung nur wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen worden ist, ist vertretbar.

2. Der Beklagte hat vorgebracht, der Kläger hätte keine Bemühungen gesetzt, sich bei ihm zu integrieren. Der Beklagte übergeht damit jedoch, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers infolge des Betriebsübergangs auf ihn übergangen war, sodass es in erster Linie Sache des Beklagten war, den neuen Gegebenheiten aufgrund des Betriebsübergangs in der Praxis Rechnung zu tragen. Dazu hätte unter anderem gehört, vor einem Ausspruch der Kündigung das Gespräch mit dem Kläger zu suchen, mit dem es ‑ schon nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten ‑ zahlreiche Punkte betreffend seine zukünftige Arbeitstätigkeit zu besprechen gegeben habe.

Darauf, dass der Beklagte ‑ dessen Musikschulleiterin nach den Feststellungen durchaus auch eigeninitiativ Kontakt mit anderen Lehrkräften der übergegangenen Musikschule aufgenommen und mit diesen Gespräche geführt hat ‑ auch im dritten Rechtsgang nicht überzeugend dargelegt hat, dass er sich um eine Integration des Klägers ‑ vor dem Ausspruch der Kündigung ‑ bemüht hätte, hat das Berufungsgericht hingewiesen. Umgekehrt hat der Kläger erst nach dem Ausspruch der Kündigung von der Leiterin der Musikschule des Beklagten erfahren, dass er sich mit dem Obmann des Beklagten in Verbindung setzen müsse, weil nur dieser befugt sei, ihm eine Zusage hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses zu machen. Genau darin kommt aber das grundlegende Fehlverständnis auf Beklagtenseite zum Ausdruck, dass es Sache des Klägers gewesen wäre, sich um den Abschluss eines neuen Dienstverhältnisses mit dem Beklagten zu bemühen.

3. Der Beklagte stellt nicht in Frage, dass er nach den Feststellungen die Zusicherung gegeben hat, die bisherigen Schüler der übergegangenen Musikschule nach dem Betriebsübergang weiter zu betreuen. Dazu hätten jedenfalls potentiell auch 17 vom Kläger vor dem Betriebsübergang unterrichtete Violinschüler gehört. Unabhängig von der Frage, ob diese Schüler vom Kläger tatsächlich „mitgenommen“ worden wären, war daher der Beklagte infolge seiner Zusicherung grundsätzlich dazu verpflichtet, für einen weiteren Violinunterricht der neuen Schüler zu sorgen. Dazu hätte sich der Beklagte des infolge Betriebsübergangs bei ihm beschäftigten Klägers bedienen können. Wirtschaftliche, technische oder organisatorische Gründe im Sinn des Art 4 Abs 1 Satz 2 RL, die schon die bei der ersten Behauptung des Betriebsübergangs ausgesprochene Kündigung des Klägers gerechtfertigt hätten, sind nach der Lage des Falls nicht zu erkennen. Mit dem bloßen Hinweis auf seine Statuten kann der Beklagte die Unzulässigkeit einer Kündigung, die bloß aufgrund des Betriebsübergangs erfolgt, ebenfalls nicht rechtfertigen.

4. Auf einen Sachverhalt, der sich nach Ausspruch der Kündigung verwirklicht hat, kann es hier auch nicht ankommen. Der Beklagte musste vor dem Ausspruch der Kündigung grundsätzlich davon ausgehen, dass die Schüler der übergangenen Musikschule von ihm weiter zu betreuen sein werden. Auf die Frage, ob es dem Kläger tatsächlich gelungen wäre, seine Schüler zum Beklagten „mitzunehmen“, kommt es daher nicht an, weshalb auch die diesbezüglichen Überlegungen, ob insoweit ein vom Beklagten nicht bestrittenes Vorbringen des Klägers vorliegt, dahingestellt bleiben können. Der Beklagte hat nämlich die weitere Entwicklung gar nicht abgewartet, sondern den vom Kläger geltend gemachten Betriebsübergang vorbeugend bestritten, und für den Fall, dass doch ein Betriebsübergang erfolgt sein soll, die sofortige Kündigung des Klägers ausgesprochen. Auf nachträgliche hypothetische Überlegungen, dass eine betriebsbedingte Kündigung auch dann erforderlich sein könne, wenn zusätzliche Schüler zugeführt werden, kann es daher nicht ankommen. Aus Spekulationen, ob der Kläger aufgrund anderer Lehrverpflichtungen in der Lage gewesen wäre, seine Arbeitsverpflichtung beim Beklagten zu erfüllen, ist nachträglich ebenfalls nichts zu gewinnen. Der Beklagte hat sich durch den übereilten Kündigungsausspruch gar nicht auf diese Frage eingelassen.

Zusammenfassend ist es dem Beklagten nicht gelungen, Rechtfertigungsgründe für die ausgesprochene Kündigung des Klägers darzulegen, deren enges zeitliches Naheverhältnis zum Betriebsübergang darauf hindeutete, dass der Grund für die gegenständliche Kündigung nur im Betriebsübergang lag (9 ObA 70/10z). Diese Indizwirkung konnte vom Beklagten nicht entkräftet werden.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat zutreffend auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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