OGH 9ObA70/10z

OGH9ObA70/10z27.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E*****, Musikschuldirektor, *****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei H***** Musikschulverband, *****, vertreten durch Leeb & Weinwurm Rechtsanwälte GmbH, Neunkirchen, wegen Feststellung (Streitwert 30.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Februar 2010, GZ 9 Ra 123/09p-44, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. April 2009, GZ 6 Cga 13/07a-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit das Begehren auf Feststellung eines über den 30. 11. 2006 hinausreichenden Arbeitsverhätnisses abgewiesen wurde, aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 1. 1. 1953 geborene Kläger war zunächst als Musikschullehrer in T***** (Vereinsmusikschule) tätig. Am 30. 12. 1981 schloss er mit der „Musikschule P*****“ (s näheres unten) einen Dienstvertrag ab. Der Kläger unterbreitete später den Vorschlag, einen Musikschulverband, nämlich den „C***** Musikschulverband“, bestehend aus den Gemeinden ***** zu gründen. Tatsächlich wurde dieser Gemeindeverband auch gegründet, doch konnten sich die Gemeinden nie auf die Bestellung von Organen, insbesondere also des Verbandsvorstands und des Verbandsobmanns einigen, sodass dieser Gemeindeverband zwar auf dem Papier bestand, jedoch über kein vertretungsbefugtes Organ verfügte (s insbesondere § 9 Abs 5, § 10 NÖ Gemeindeverbandsgesetz). Dennoch führte der Kläger jahrelang die Geschäfte dieser Musikschule, indem er zunächst mit sich selbst einen Anstellungsvertrag „namens des Gemeindeverbands“ abschloss und die auf ein von ihm begründetes Girokonto zufließenden Förderungsgelder der Gemeinden und des Landes sowie die Beiträge der Eltern der Musikschüler verwaltete und sich auch sein eigenes Gehalt daraus anwies. Seit 8. 9. 1998 war der Kläger in einem Vertragsbedienstetenverhältnis zur Gemeinde P*****, die den Beschluss gefasst hatte, selbständig eine Musikschule zu führen. Parallel dazu hatten die anderen Gemeinden, nämlich ***** die nun Beklagte, nämlich den Gemeindeverband „H***** Musikschulverband *****“ gegründet. Am 29. 6. 2006 beschloss die Marktgemeinde P***** die Auflassung der heimischen Musikschule und den Beitritt zum „H***** Musikschulverband“. Musikschüler der Gemeinde P***** konnten weiter am bisherigen Ort und mit den bisherigen Instrumenten unterrichtet werden, ein Großteil der Lehrer ging ein neues Dienstverhältnis mit dem „H***** Musikschulverband“ ein. Gegenüber dem Kläger wurde zunächst eine Kündigung der Gemeinde P***** zum 30. 9. 2006 (diese ist nicht mehr verfahrensgegenständlich) und dann seitens der Beklagten zum 30. 11. 2006 ausgesprochen. Aufgrund der Auflassung der Musikschule P***** bestand keine Verwendung des Klägers mehr in seiner bisherigen Funktion als Musikschulleiter. Schon bevor die Auflösung der Musikschule P***** beschlossen worden war, suchte die Beklagte einen neuen Geigenlehrer, weil der bisherige sein Dienstverhältnis beenden wollte. Noch im Juni 2006, also vor Beschlussfassung durch die Gemeinde P*****, fixierte der beklagte Gemeindeverband mit einem neuen Geigenlehrer, der von einem bevorstehenden Betriebsübergang nicht informiert war, den Beginn dessen Dienstverhältnisses ab 1. September 2006. Wegen dieser Besetzung besteht bei der Beklagten nunmehr kein Bedarf mehr für einen Geigenlehrer. Auch der Kläger hatte ursprünglich dieses Fach unterrichtet und wäre zur Übernahme einer Lehrtätigkeit bereit.

Das Erstgericht gab dem auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses gerichteten Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass ein Betriebsübergang von der Gemeinde P***** auf den „H***** Musikschulverband“, also die Beklagte, stattgefunden habe. Wenngleich ein Ausnahmetatbestand im Sinne des Art 4 der Betriebsübergangsrichtlinie RL 2001/23/EG vorliege, wonach die Kündigung des Klägers aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen möglich gewesen wäre, sei die Kündigung des Klägers gemäß § 32 Abs 4 VBG 1948 iVm § 46 Abs 1 NÖ GVBG 1976 zu beurteilen. Diese Bestimmung sei als günstigere Bestimmung im Sinn der Art 8 der Betriebsübergangsrichtlinie zu werten. Wenngleich § 32 Abs 4 VBG 1948 wegen der dort als Kündigungsgrund vorgesehenen Organisationsänderung keine weitere Verwendungsmöglichkeit des Klägers begründe, komme diesem doch die Ausnahmebestimmung zugute, wonach er zum Ende der Kündigungsfrist jedenfalls das 50. Lebensjahr vollendet und bereits 10 Jahre im Dienstverhältnis zugebracht habe. Die Beklagte als Erwerberin sei an diese Bestimmung gebunden und daher zur Kündigung des Klägers nicht berechtigt gewesen.

Das Berufungsgericht änderte in Stattgebung der Berufung des Beklagten das angefochtene Urteil dahin ab, dass es feststellte, dass das Dienstverhältnis des Klägers nur bis zum 30. 11. 2006 aufrecht war (- insoweit ist die Berufungsentscheidung in Teilrechtskraft erwachsen -) und das Mehrbegehren der Feststellung eines über diesen Zeitraum hinausgehenden Dienstverhältnisses abwies. Es bejahte einen Betriebsübergang von der Gemeinde P***** auf die Beklagte und auch die Anwendbarkeit des § 32 Abs 4 VBG 1948 iVm § 46 NÖ GVBG. Nach der Zusammenlegung der Musikschulen bestehe kein Bedarf mehr an der vom Kläger bisher ausgeübten Funktion eines Musikschulleiters. Durch die Besetzung der Geigenlehrerstelle mit einer anderen Person könne der Kläger aber auch in dieser Position nicht eingesetzt werden. Damit liege aber eine Änderung der Organisation des Dienstes vor, die die Beklagte zur Kündigung des Klägers berechtigt habe. Für einen besonderen Kündigungsschutz des Klägers nach § 32 Abs 4 letzter Halbsatz VBG 1948 fehle es an der mindestens 10-jährigen Tätigkeit als Vertragsbediensteter. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil es an Rechtsprechung dazu fehle, wie sich § 32 Abs 4 VBG 1948 auf eine Erwerberkündigung nach Betriebsübergang auswirke.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren auf Feststellung eines über den 30. 11. 2006 hinausreichenden Bestandes des Dienstverhältnisses stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revision ist zulässig und im Umfang des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Den weiteren Erwägungen sind folgende maßgebliche gesetzliche Bestimmungen voranzustellen:

Rechtliche Beurteilung

Das NÖ Gemeinde-Vertragsbediensteten-Gesetz 1997 (GVBG) gilt gemäß § 1 Abs 1 für Personen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zu einer Gemeinde stehen (Vertragsbedienstete). Nach § 1 Abs 2 dieses Gesetzes gelten dessen Bestimmungen sinngemäß auch für Personen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zu einem Gemeindeverband stehen. Gemäß Abs 3 sind aber auf die in den Abs 1 und 2 genannten Personen die Bestimmungen dieses Gesetzes jedenfalls dann nicht anzuwenden, wenn … 3. Besondere dienstrechtliche Vorschriften bestehen … . Eine solche besondere dienstrechtliche Vorschrift existiert gemäß § 46 Abs 1 GVBG für die an den von den Gemeinden erhaltenen privaten Unterrichtsanstalten verwendeten Vertragslehrer. Auf das Dienstverhältnis dieser Personen ist das VBG 1948 sinngemäß anzuwenden. Darunter fallen auch Musikschullehrer mit einigen, hier nicht relevanten Ausnahmen.

Gemäß § 32 Abs 4 VBG 1948 kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis des Vertragsbediensteten auch wegen einer Änderung des Arbeitsumfangs, der Organisation des Dienstes oder der Arbeitsbedingungen kündigen, wenn eine Weiterbeschäftigung in einer seiner Einstufung entsprechenden Verwendung im Versetzungsbereich seiner Personalstelle nicht möglich ist, es sei denn, die Kündigungsfrist würde in einem Zeitpunkt enden, in dem er das 50. Lebensjahr vollendet und bereits 10 Jahre in diesem Dienstverhältnis zugebracht hat.

2. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass ein Betriebsübergang von der Marktgemeinde P***** auf den beklagten Gemeindeverband erfolgt ist und die Bestimmung des § 32 Abs 4 VBG 1948 anzuwenden ist. Strittig geblieben ist einerseits, ob die Kündigung des Klägers trotz des Betriebsübergangs zulässig war und ob ihm selbst im Falle der Berechtigung und Wirksamkeit der Kündigung die Schutzbestimmung der 10-jährigen Tätigkeit und der Vollendung des 50. Lebensjahrs zugute kommt.

3. Aus Zweckmäßigkeitsgründen ist vorweg auf den zuletzt genannten Kündigungsschutz einzugehen:

§ 32 Abs 4 VBG 1948 sieht ausdrücklich vor, dass bereits 10 Jahre „in diesem Dienstverhältnis zugebracht“ wurden. Bereits dadurch wird indiziert, dass nicht irgendwelche Vordienstzeiten dafür maßgeblich sind, sondern diejenigen, die als „Vertragsbediensteter“ zurückgelegt wurden. Diesem Verständnis trägt im Übrigen auch das NÖ GVBG 1976, auf dessen Grundsätze sich der Kläger beruft, ausdrücklich Rechnung: Für den Betriebsübergang (§ 2a GVBG) gilt nämlich, dass die davon betroffenen Arbeit- oder Dienstnehmer mit dem Zeitpunkt des Übergangs Vertragsbedienstete nach diesem Gesetz werden (§ 2a Abs 1). Auf eine solche 10-jährige Dienstzeit kann der Kläger aber nicht verweisen. Die Frage, ob und wie lange der Kläger in einem Dienstverhältnis zum Veräußerer, nämlich der Gemeinde P*****, stand, ist eine Rechtsfrage. Der Kläger kann sich daher auf keine angeblich anders lautenden „Feststellungen“ berufen. Die „Musikschule P*****“, bei welcher der Kläger ab 1. 1. 1990 wirkte, war nämlich kein Betrieb der Gemeinde P*****, sondern, wie aus Beilage ./3 eindeutig hervorgeht, Teil eines Vereins. Der Kläger war somit in der Zeit der Zugehörigkeit zu dieser Musikschule kein „Gemeindevertragsbediensteter“. Dasselbe trifft auf seine Tätigkeit für die „C*****-Musikschule“ zu, zumal mit diesem Gemeindeverband mangels Vorhandenseins von Organen nie ein wirksames Dienstverhältnis begründet werden konnte. Dabei kann sich der Kläger auch nicht auf die Duldung bzw Finanzierung durch die dahinter stehenden Gemeinden berufen, zumal nicht einmal behauptet wurde, dass die jeweils zuständigen Organe der Gemeinden allenfalls ein Dienstverhältnis namens der jeweiligen Gebietskörperschaft mit dem Kläger abgeschlossen hätten. Selbst wenn man in der Weiterbeschäftigung des Klägers ab 1998 durch die Gemeinde P***** einen Betriebsübergang sieht, kann dies das Erfordernis eines 10-jährigen Dienstverhältnisses als Vertragsbediensteter nicht begründen. Es bleibt daher nur die Zeit der Beschäftigung bei der Gemeinde P***** in der Zeit von 1998 bis 2006, womit jedoch kein 10 Jahre dauerndes Dienstverhältnis vorliegt.

4. Die Vorinstanzen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass die Betriebsübergangsrichtlinie RL 2001/23/EG mangels ausreichender Umsetzung (für den Betriebsübergang von einer Gemeinde auf einen Gemeindeverband) direkt anwendbar ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Gemäß Art 4 Z 1 Satz 1 der Richtlinie stellt der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw Betriebsteils als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Der Arbeitnehmer soll vor Kündigungen geschützt werden, die nur mit dem Übergang begründet werden (EuGH Rs 19/83). Allerdings steht diese Bestimmung etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen (- darauf zielt trotz der dienstrechtlichen Spezifika letztlich auch § 32 Abs 4 VBG 1948 ab -) nicht entgegen (Art 4 Z 1 2. Satz der RL).

5. Im vorliegenden Fall kann nicht übersehen werden, dass die Beklagte die Kündigung des Klägers in engem zeitlichen Naheverhältnis zum Betriebsübergang ausgesprochen hat. Wenngleich allein daraus noch nicht zwingend darauf zu schließen ist, dass der Grund für die Kündigung nur im Betriebsübergang liegt, so kommt doch dem zeitlichen Zusammenhang Indizcharakter zu (9 ObA 16/06b = SZ 2007/15 mwN). In diesem Zusammenhang kann auch nicht unbeachtet bleiben, dass zwar eine Verwendung des Klägers in einer Leitungsfunktion nicht mehr möglich war, aber erst im Juni 2006, also unmittelbar vor dem Betriebsübergang, eine Einigung der Beklagten mit dem Nachfolger auf der zu besetzenden Stelle eines Geigenlehrers erzielt wurde, somit für eine Funktion, die nach den Feststellungen auch der Kläger hätte bekleiden können. Auch diesem Umstand kann daher eine Indizwirkung in der Richtung nicht abgesprochen werden, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem Kläger ihre Ursache im Betriebsübergang hatte. Bei einem solchen Sachverhalt trifft den kündigenden Arbeitgeber (hier: den Erwerber) die Beweislast für die sachliche Entkräftung der Umgehungsvermutung, dass die Kündigung also nicht nur wegen des Übergangs erfolgte (SZ 2007/15 mwN), sondern trotz Bemühens um Integration in den neuen Betrieb unumgänglich war. Allein die Argumente, dass der neue Geigenlehrer von einem geplanten Betriebsübergang nichts wusste und im Zeitpunkt der Kündigung des Klägers die Geigenlehrerstelle „schon besetzt“ war, sind jedenfalls nicht ausreichend, die oben dargestellte Indizwirkung zu entkräften. Daher wird es im fortgesetzten Verfahren Sache der beweispflichtigen Beklagten sein, durch entsprechendes Vorbringen und Beweisanbote zu widerlegen, dass der Ausspruch der Kündigung des Klägers allein wegen des Betriebsübergangs erfolgte. Erst nach Ergänzung der Feststellungen - unter Beachtung der aufgezeigten Beweislast - wird dann eine abschließende Beurteilung der Zulässigkeit der Kündigung möglich sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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