OGH 4Ob231/12t

OGH4Ob231/12t12.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Gugerbauer & Partner Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung, 25.000 EUR sA, Feststellung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 21.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 31. Oktober 2012, GZ 5 R 183/12i-19, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß

§§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist eines von acht Unternehmen, die im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz als Verrechnungsstelle für Grundbuchs- und Firmenbuchauszüge tätig sind.

Die Beklagte entwickelt und vertreibt anwenderspezifische Software für Rechtsanwaltskanzleien und bietet in Konkurrenz zu 17 weiteren vergleichbaren Produkten von Mitbewerbern eine Kanzleisoftware an, die Grundbuchsabfragen direkt (also ohne Zwischenschritt über ein anderes Programm) integrieren und weiterverarbeiten kann. Seit Umstellung auf das „Grundbuch neu“ im Mai 2012 besteht diese Möglichkeit einer direkten Implementierung und Weiterverarbeitung mit der Software der Beklagten nur im Fall der Abfrage über einen einzigen Mitbewerber der Kägerin, weil die Beklagte für ihre Kanzleisoftware eine Schnittstelle allein für diese Verrechnungsstelle programmiert hat.

1. Die Klägerin hat den geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung der Bewerbung, des Vertriebs, der Lizenzierung und/oder der Installation der von ihr entwickelten, vertriebenen und lizenzierten Kanzleisoftware für Rechtsanwaltskanzleien mit Modul zur Abwicklung des Web-ERV ohne Einbindung der Schnittstelle der Klägerin als vom BMJ autorisierter Verrechnungsstelle für den Import von digitalen Grundbuchsauszügen auch auf einen Verstoß der Beklagten gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot (Behinderungsmissbrauch gemäß § 5 Abs 1 Z 3 KartG) gestützt und eine marktbeherrschende Stellung der Beklagten gemäß § 4 Abs 3 KartG behauptet.

2. Das Rekursgericht hat den Beschluss des Erstgerichts bestätigt, mit dem der Sicherungsantrag abgewiesen worden ist. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung könne insbesondere in der Benachteiligung von Vertragspartnern im Wettbewerb durch Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen bestehen (§ 5 Abs 1 Z 3 KartG). Die Verhaltenspflichten nach § 5 KartG träfen nur marktbeherrschende Unternehmen. Als marktbeherrschend gelte gemäß § 4 Abs 3 KartG auch ein Unternehmer, der eine im Verhältnis zu seinen Abnehmern oder Lieferanten überragende Marktstellung habe; eine solche liege insbesondere vor, wenn diese zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angewiesen seien. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, bestünden doch neben der Beklagten 17 weitere Softwareanbieter bzw -produkte; auch seien im Inland bei 5794 tätigen Rechtsanwälten nur 501 ERV-Codes für Kunden der Beklagten registriert, und die Klägerin sei als eines von acht Unternehmen am Markt, die Dienste als Übermittlungs- und Verrechnungsstellen anbieten, objektiv nicht auf eine Vertragsbeziehung mit der Beklagten angewiesen. Dass die Klägerin - auf Basis einer losen Provisionsvereinbarung - bisher nahezu ausschließlich mit der Beklagten als Anbieterin für Kanzleisoftware für Rechtsanwälte zusammengearbeitet habe und durch die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, in Hinkunft primär mit einer Mitbewerberin der Klägerin zusammenzuarbeiten, ihrer Behauptung nach in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sei, sei Ausfluss des Wettbewerbs und nicht schon auf missbräuchliches Verhalten der Beklagten zurückzuführen. Das angestrebte Verbot käme einem Kontrahierungszwang gleich. Kartellrechtlich wäre ein (marktbeherrschendes) Unternehmen nur dann dazu verpflichtet, seine Anlagen und Einrichtungen für Wettbewerber zu öffnen, wenn der Mitbewerber ohne Nutzung dieser Anlagen nicht in der Lage wäre, auf dem Markt in Erscheinung zu treten. Eine Zugangsverweigerung sei nur dann missbräuchlich, wenn dieses Verhalten geeignet sei, jeglichen Wettbewerb auf dem sachlich relevanten Markt auszuschalten, und wenn es nicht gerechtfertigt sei. Hier könne von einem Ausschalten des sachlich relevanten Markts keine Rede sein, weil es der Klägerin freistehe, mit anderen Softwareanbietern zu kooperieren.

Rechtliche Beurteilung

3.1. Diese Entscheidung weicht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nicht ab.

3.2. Zentrales Element der Marktbeherrschung ist die Abgrenzung des relevanten Markts sowohl in sachlicher als auch in räumlicher, gegebenenfalls auch in zeitlicher Hinsicht, um überhaupt prüfen zu können, ob ein Unternehmen keinem oder nur unwesentlichem Wettbewerb ausgesetzt ist (16 Ok 4/08).

3.3. Marktbeherrschung nach § 4 KartG 2005 ist anzunehmen, wenn ein Unternehmer, sei es als Anbieter oder Nachfrager, keinem oder nur unwesentlichem Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu anderen Wettbewerbern überragende Marktstellung inne hat, wobei das Gesetz insbesondere auf Finanzkraft, Beziehungen zu anderen Unternehmern, Zugangsmöglichkeiten zu Beschaffungs- und Absatzmärkten, sowie Umstände verweist, die den Marktzutritt für andere Unternehmer beschränken (RIS-Justiz RS0119451 [T1]). Ein marktbeherrschendes Unternehmen ist in der Lage, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, in dem es die Möglichkeit hat, sich in nennenswertem Umfang unabhängig von seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und von den Verbrauchern zu verhalten (16 Ok 4/08 = RIS-Justiz RS0114135 [T1]).

3.4. Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liegt dann vor, wenn ein den anderen Marktteilnehmern wirtschaftlich überlegener Unternehmer auf das Marktgeschehen in einer Weise Einfluss nimmt, die geeignet ist, negative Auswirkungen auf die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse zu entfalten (16 Ok 3/01 - Hausbrieffachanlagen; 16 Ok 11/04 -„TikTak-Tarif“; 16 Ok 13/08 - Kombi-Paket); dabei genügt die objektive Eignung des Verhaltens (RIS-Justiz RS0119533 [T5]).

3.5. Die Verweigerung des Zugangs zu Anlagen und Einrichtungen eines Wettbewerbers ist nur dann missbräuchlich, wenn sie sachlich nicht gerechtfertigt ist und dadurch die Gefahr besteht, jeglichen Wettbewerb auf dem sachlich relevanten Markt auszuschalten (vgl 4 Ob 191/09f; RIS-Justiz RS0126128).

4.1. Nach nationaler und europäischer Rechtsprechung ist Marktbeherrschung von Unternehmen aufgrund einer wertenden Gesamtschau mehrerer Faktoren zu beurteilen (EuGH Rs 27/76 - United Brands Rn 63, 66; Rs C-250/92 - DLG Rn 47). Von besonderer Bedeutung ist dabei die Größe des Marktanteils (RIS-Justiz RS0110206).

4.2. Zur marktbeherrschenden Stellung der Beklagten hat die Klägerin nur vorgebracht, es bestehe eine „Monopolsituation“, weil Kunden der Beklagten, wenn sie Grundbuchsauszüge direkt in ihre Anwendersoftware importieren wollten, auf das Angebot einer einzigen Verrechnungsstelle angewiesen seien; zwar bestünden auch andere Wege zum selben Ziel als über eine programmierte Schnittstelle, diese seien aber „deutlich umständlicher“. Zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile sei die Klägerin auf die Geschäftsbeziehung zur Beklagten angewiesen.

4.3. Angesichts dieses Vorbringens und der Feststellungen zur Marktabgrenzung durch die Tatsacheninstanzen ist das Rekursgericht in vertretbarer Auslegung des § 4 Abs 3 KartG davon ausgegangen, dass die Beklagte im (Vertikal-)Verhältnis zu ihren Abnehmern oder Lieferanten keine überragende Marktstellung besitzt.

5. Eine lauterkeitswidrige unsachliche Beeinflussung von Kunden der Klägerin durch die Beklagte hat das Rekursgericht nach den Umständen des Einzelfalls in Einklang mit den Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung verneint.

Stichworte