OGH 2Ob158/12t

OGH2Ob158/12t24.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz S*****, vertreten durch Mag. Dieter Koch, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei D***** AG, *****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 75.393,10 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 25. Juli 2012, GZ 2 R 118/12h-13, womit der Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 8. Juni 2012, GZ 7 Cg 189/11i-9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.067,12 EUR (darin 344,52 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger war seit 1972 in Deutschland beschäftigt und wohnte dort mit seiner Familie. Im Jahr 2003 kaufte er ein bereits zuvor im Familieneigentum stehendes Haus in Österreich und war ab April 2003 durchgehend dort gemeldet. Wenn er ab dem Jahr 2007 regelmäßig nach Österreich fuhr, diente dies hauptsächlich dem Zweck, Arbeiten an seinem Haus zu verrichten.

Im Dezember 2007 suchte ein Mann den Kläger an seinem Wohnort in Deutschland auf und stellte sich als Versicherungs- und Finanzmakler sowie als Mitarbeiter der Rechtsvorgängerin der nunmehrigen Beklagten vor. Aufgrund dieser Beratung zeichnete der Kläger teilweise fremdfinanzierte Fondspolizzen einer in Luxemburg ansässigen Gesellschaft. Der Berater empfahl dem Kläger, die Fremdfinanzierung über die Filiale einer österreichischen Bank in Innsbruck durchzuführen, weil er den dortigen Filialleiter kannte und er dem Kläger erklärte, dass eine Finanzierung über eine österreichische Bank leichter und einfacher sei. Der in weiterer Folge vom Kläger bei dieser österreichischen Bank aufgenommene Fremdwährungskredit in Schweizer Franken wurde auch auf seiner Liegenschaft in Österreich sichergestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger kein Konto in Österreich, sondern nur ein solches in Deutschland. Im September 2009 gab der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland auf und zog gänzlich nach Österreich.

Der Kläger klagt die Beklagte auf Zahlung, in eventu auf Feststellung, mit der Behauptung, er sei falsch beraten worden und habe dadurch einen Schaden in Klagshöhe erlitten. Er sei österreichischer Staatsbürger und Verbraucher und habe seinen Wohnsitz seit 2003 im Sprengel des Erstgerichts begründet. Die Beklagte habe ihre Tätigkeit auf Österreich auch dadurch ausgerichtet, dass sie ihre Leistung durch die Zurverfügungstellung des Kredits in Österreich mit Sicherstellung auf der in Österreich gelegenen Liegenschaft des Klägers bewirkt habe. Deshalb sei die Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO gegeben.

Die Beklagte erhob die Einrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit. Der Kläger habe in sämtlichen von ihm unterfertigten Formularen seinen in Deutschland gelegenen Wohnsitz und ein deutsches Bankkonto angegeben. Sie habe mit den gegenständlichen Versicherungsverträgen in Österreich keine Tätigkeit entfaltet. Die Voraussetzungen nach Art 15 und 16 EuGVVO lägen nicht vor.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzuständigkeit zurück. Eine Zuständigkeit gemäß Art 15 und 16 EuGVVO liege nicht vor.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Eine von der Beklagten oder vom Berater ausgehende absatzfördernde Handlung in Österreich lasse sich weder dem Klagsvorbringen noch den Feststellungen konkret entnehmen. Dass die Lebensversicherungsverträge über das Fremdwährungskreditkonto in Innsbruck abgewickelt worden seien, behaupte der Kläger nicht. Die Beklagte habe somit keine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet, sodass die Zuständigkeit österreichischer Gerichte gemäß Art 15 Abs 1 lit c zweite Alternative EuGVVO nicht vorliege.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Rechtsfrage fehle, ob im Zuge eines im Ausland geschlossenen Vermögensberatungsvertrags die Vermittlung einer finanzierenden Bank, die im Hoheitsgebiet des Wohnsitzes des Verbrauchers ihren Sitz hat, den Begriff der „Ausrichtung“ der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit iSd Art 15 Abs 1 lit c zweite Alternative EuGVVO erfülle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Gemeinschaftsrechts ab, so ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Nachprüfung dessen Anwendung auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief (RIS-Justiz RS0117100).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs enthält der hier zu prüfende Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO eine Abweichung sowohl von der allgemeinen Zuständigkeitsregel des Art 2 Abs 1 EuGVVO, nach der die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, als auch von der besonderen Zuständigkeitsregel des Art 5 Nr 1 EuGVVO für Verträge oder Ansprüche aus Verträgen, nach der das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Daraus folgt, dass diese Abweichung zwangsläufig eng ausgelegt werden muss, da eine Abweichung oder Ausnahme von einer allgemeinen Regel eng auszulegen ist (EuGH 6. 9. 2012, C-190/11, Mühlleitner/Yusufi, Rz 26 f).

Weiters hat der Europäische Gerichtshof (im Zusammenhang mit einer im Staat des Verbrauchers aufrufbaren Webseite eines Gewerbetreibenden) ausgesprochen, dass für die Anwendbarkeit des Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO der Gewerbetreibende seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben muss, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen. Es ist deshalb im Fall eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem bestimmten Verbraucher zu ermitteln, ob vor dem möglichen Vertragsschluss mit diesem Verbraucher Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Gewerbetreibende Geschäfte mit Verbrauchern tätigen wollte, die in anderen Mitgliedstaaten wohnhaft sind, darunter in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der fragliche Verbraucher seinen Wohnsitz hat, und zwar in dem Sinne, dass der Gewerbetreibende zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit war (EuGH 7. 12. 2010, verbundene Rechtssachen C-585/08 und C-144/09, Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller, Rz 75 f).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, kann von einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden gravierenden Fehlbeurteilung des Rekursgerichts keine Rede sein: In der Empfehlung des Abschlusses eines Hilfsgeschäfts (Kreditvertrag) zwischen einem in einem Mitgliedstaat (Deutschland) wohnhaften Verbraucher und einem in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Dritten (Bank in Innsbruck) - also nicht dem Gewerbetreibenden - wird nicht schon die Bereitschaft des Gewerbetreibenden ausgedrückt, er selbst wolle mit im anderen Mitgliedstaat (Österreich) wohnhaften Verbrauchern Geschäfte tätigen.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass vom „Ausrichten“ iSd Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO alle auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichteten absatzfördernden Handlungen erfasst sind, so reicht für die zu fordernde Zielgerichtetheit der Tätigkeit des Unternehmens ein bloßes „doing business“ nicht aus. Das einmalige Versenden von Katalogen an Einzelpersonen genügt ebenso wenig wie eine Empfehlung durch Bekannte oder das Bereithalten von Formularen des späteren Vertragspartners zur Ausfüllung durch den vom Verbraucher eingeschalteten Vermittler (1 Ob 158/09f mwN = RIS-Justiz RS0125252).

Im vorliegenden Fall ist die Verneinung einer auf Österreich ausgerichteten absatzfördernden Handlung der Beklagten durchaus vertretbar: Inwiefern Verbraucher mit Wohnsitz in Österreich dadurch zu einem Geschäft mit der Beklagten motiviert werden sollen, dass ein der Beklagten zurechenbarer Berater im Ausland einem dort wohnhaften Kunden den Abschluss eines Kreditvertrags mit einer in Österreich ansässigen Bank als Hilfsgeschäft zu einer Vermögensveranlagung empfiehlt, ist nicht ersichtlich.

Auch der Kläger zeigt in seinem Rechtsmittel keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage auf:

Dass der Kläger österreichischer Staatsbürger ist, ein Wohnhaus in Österreich hatte und hat und auf einer in Österreich gelegenen Liegenschaft der (nicht von der Beklagten gewährte) Kredit sichergestellt wurde, ist nach dem insofern klaren Wortlaut von Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO irrelevant.

Auch die Frage, ob nur einzelne oder alle „Erfüllungshandlungen“ im Wohnsitzstaat des Verbrauchers zu setzen sind, ist hier für die Auslegung des Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO nicht bedeutsam.

Ob der Kläger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einen (weiteren) Wohnsitz in Österreich hatte oder ob es für die Zuständigkeit österreichischer Gerichte ausreicht, dass der Wohnsitz im Zeitpunkt der Klagseinbringung in Österreich gegeben war, ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO ebenfalls irrelevant.

Der in der vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidung 2 Ob 206/04i = EvBl 2005/69 beurteilte Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dort besuchte der Geschäftsführer des klagenden österreichischen Unternehmens, das seit 30 Jahren auch Planungsleistungen für Bauprojekte in Deutschland erbrachte, den beklagten Verbraucher in dessen Wohnhaus in Deutschland, wo die Auftragserteilung erfolgte und die Bauarbeiten stattfinden sollten. Das Ausrichten der gewerblichen Tätigkeit der klagenden Partei auf Deutschland wurde bejaht.

Im vorliegenden Fall fehlt es an vergleichbaren auf Österreich ausgerichteten Handlungen der Beklagten.

Eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art 267 AEUV einzuholen, ist in Hinblick auf dessen oben zitierte Judikatur nicht geboten (vgl RIS-Justiz RS0075861).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

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