OGH 15Os132/12v

OGH15Os132/12v16.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Meier als Schriftführerin in der Rechtshilfesache gegen Alfred S***** und andere wegen Beihilfe zum Betrug nach §§ 263 Abs 1 und 3 zweiter Satz, 53 dStGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 22. September 2011, AZ 7 Bs 296/11w, im Verfahren AZ 32 HSt 88/11s der Staatsanwaltschaft Salzburg, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler sowie des Beteiligtenvertreters Dr. Hegen zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 22. September 2011, AZ 7 Bs 296/11w, verletzt in seiner Begründung Art 2 Abs 1 des Protokolls ‑ vom Rat gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union erstellt ‑ zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union samt Erklärungen, BGBl III 2005/6 iVm §§ 109 Z 3 lit a und b, 116 Abs 1 (idF BGBl 2010/108) StPO.

Text

Gründe:

Mit ‑ am 16. August 2011 ergänztem (ON 4) ‑ Rechtshilfeersuchen vom 17. Mai 2011, AZ 540 ARH 155/11 (ON 2), ersuchte die Staatsanwaltschaft Görlitz, Freistaat Sachsen, in der Strafsache gegen Alfred S***** und andere wegen des Verdachts des Betrugs nach §§ 263 Abs 1 und 3 zweiter Satz, 53 dStGB als Mittäter nach § 25 Abs 2 dStGB oder als Gehilfe nach § 27 dStGB die österreichischen Behörden um die Öffnung mehrerer näher bezeichneter Konten, darunter eines des Alfred S***** bei der „d*****“ sowie um Übermittlung von Bankauskünften für den Zeitraum von 1. Jänner 2005 bis zum Tag des Eingangs des Rechtshilfeersuchens, welches am 27. Mai 2011 im Bundesministerium für Justiz einlangte und von diesem an die für die Rechtshilfe jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet wurde.

Zur Begründung führte die ersuchende Staatsanwaltschaft aus, dass gegen Oliver E***** Ermittlungen wegen Betrugs nach §§ 263 Abs 1 und 3 Satz 2, 53 dStGB geführt worden seien. Der Genannte soll in (im Rechtshilfeersuchen durch jeweilige Nennung von Anlegern, Depotnummern, Vertragsdatum, Erstzahlungsdatum, 3.000 Euro jedenfalls, teils auch 50.000 Euro übersteigendem Betrag, Rückzahlungsbetrag und Restschadensbetrag konkret angeführten) 360 Fällen seit spätestens Anfang 2006 Anlegergelder im Wissen, dass er diese nicht absprachegemäß in renditestarke und sichere Anlagen investieren werde, übernommen haben. Eine Realisierung der von ihm erkannten Gefahr, den Renditeversprechungen gegenüber den Anlegern nicht gerecht werden zu können, habe er gebilligt und ‑ seiner Absicht entsprechend ‑ aufgrund täuschungsbedingter Irrtümer und darauf beruhender, einen Schaden bewirkender Verfügungen der Geschädigten Anlagebeträge von insgesamt 7.313.921,53 Euro erlangt. Eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für die von ihm betriebenen Einlagegeschäfte im Sinn des deutschen Kreditwesengesetzes habe er weder beantragt noch erteilt bekommen, wobei er aufgrund seiner Ausbildung wusste, dass er eine solche benötigt hätte.

Der Beschuldigte Alfred S***** habe ‑ ebenso wie vier weitere namentlich genannte Personen ‑ als Mittäter gemäß § 25 Abs 2 dStGB oder als Gehilfe gemäß § 27 dStGB gehandelt, indem er ‑ trotz Kenntnis der fehlenden Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zum Betreiben von Bankgeschäften und der nicht vereinbarungsgemäßen Veranlagung erlangter Gelder ‑ Anleger an Oliver E***** vermittelt und hiefür Provisionen bezogen habe.

Die vom Rechtshilfeersuchen umfassten Konten sollen zur Begehung solcher Straftaten genutzt worden sein, sodass zur Erhebung der finanziellen Verhältnisse und des Geldverkehrs der Beschuldigten Beweis durch Auskünfte des Kreditinstituts erforderlich sei (ON 2, 4).

Die Staatsanwaltschaft Salzburg ordnete zu AZ 32 HSt 88/11s mit gerichtlicher Bewilligung vom 23. August 2011, AZ 28 HR 237/11k, gemäß §§ 109 Z 3 lit a und b, 116 Abs 1 und 2 Z 1 StPO die beantragte Auskunft über das auf Alfred S***** lautende Bankkonto und dessen Bankgeschäfte für den Zeitraum von 1. Jänner 2005 bis 8. Juni 2011 an, wiederholte zur Begründung den im Rechtshilfeersuchen geschilderten, dem Verbrechen des „gewerbsmäßigen Betrugs“ als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 3 und 148 zweiter Fall StGB subsumierten Tatverdacht und führte unter Bezugnahme auf die deutschen Erhebungen aus, dass Alfred S***** über das gegenständliche Konto verfüge und der Verdacht bestehe, dass es von ihm und anderen Beschuldigten zur Begehung von Straftaten genutzt werde, sodass zur Aufklärung der Straftat Beweis zu erheben sei (ON 5).

Gegen den genannten Beschluss vom 23. August 2011 richtete sich die auf § 116 Abs 6 StPO gestützte Beschwerde der „d*****“, die die Unterlassung einer Übermittlung des Rechtshilfeersuchens sowie des Beschlagnahmebefehls der ausländischen Behörde kritisiert und den Tatverdacht hinsichtlich Alfred S***** als unzureichend begründet erachtet, weil nicht ausgeführt sei, aufgrund welcher bestimmter Tatsachen anzunehmen sei, dass durch die Kontoöffnung Beweise sichergestellt werden können, die für die Aufklärung der Straftat dienlich wären (ON 7 S 5 ff). Letztlich wird der Zeitraum der Auskunftserteilung als jedenfalls überschießend kritisiert, soweit er auch das Jahr 2005 betrifft.

Das Oberlandesgericht Linz gab dieser Beschwerde mit Beschluss vom 22. September 2011, AZ 7 Bs 296/11w (ON 9 im HSt-Akt), Folge und wies den Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg auf gerichtliche Bewilligung der Anordnung der Auskunftserteilung über Bankkonto und Bankgeschäfte ab. In seiner Begründung führt es aus, es habe zwar nicht der geforderten Übersendung des Rechtshilfeersuchens bedurft, jedoch sei der Tatverdacht hinsichtlich des Beschuldigten Alfred S***** nicht ausreichend konkretisiert. Zwar hätten die deutschen Behörden ihre Ausführungen zum Tatverdacht (ON 2) dahingehend ergänzt (ON 4), dass Alfred S***** zu den strafbaren Handlungen des Oliver E***** Hilfe geleistet habe, indem er trotz Kenntnis der nicht vereinbarungsgemäßen Verwendung von Anlegergeldern Anleger vermittelt und Provisionen erhalten habe; es fehle jedoch an Angaben zum Tatzeitpunkt und eine Darstellung, in welchem Umfang Alfred S***** an den inkriminierten 360 Fakten des Oliver E***** beteiligt gewesen sei. Ebensowenig sei angeführt worden, durch welche Beweismittel Alfred S***** belastet werde oder welche Indizien für seine Beihilfe zum Oliver E***** angelasteten Betrug sprächen (ON 9 S 3). Eine Tatbegehung schon im Jahr 2005 lasse sich bereits aus den Angaben der deutschen Behörden nicht ableiten.

Auf den Einwand, es mangle an der Anführung bestimmter Tatsachen, aufgrund derer anzunehmen ist, dass durch die Auskunft Beweismittel sichergestellt werden können, soweit dies für die Aufklärung der Straftat erforderlich ist, ging das Beschwerdegericht nicht ein.

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht der genannte Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen zur Durchführung von Auskunftsersuchen zu Bankgeschäften im Rechtshilfeweg zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich regelt Art 2 des „Protokolls ‑ vom Rat gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union erstellt ‑ zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union samt Erklärungen“, BGBl III 2005/66. Danach hat über einen Antrag des ersuchenden Mitgliedstaats, der anzugeben hat, warum die erbetenen Auskünfte für die Aufklärung der Straftat wichtig seien, der ersuchte Staat die Angaben über bestimmte Bankkonten und über Bankgeschäfte, die während eines bestimmten Zeitraums im Zusammenhang mit einem oder mehreren in dem Ersuchen angegebenen Bankkonten getätigt wurden, einschließlich der Angaben über sämtliche Überweisungs- und Empfängerkonten zu übermitteln, sofern die kontoführende Bank über die diesbezüglichen Informationen verfügt. Einschränkungen dieser Auskunftspflicht sind nur im Falle eines ‑ von Österreich erklärten ‑ Vorbehalts möglich; danach hat Österreich die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens um Auskunft über Bankkonten und zu Bankgeschäften an die auch nach nationalem Recht erforderlichen Bedingungen für eine Durchsuchung oder Beschlagnahme geknüpft, der Sache nach somit an jene des § 116 StPO als lex specialis für eine Auskunft über Informationen, die dem Bankgeheimnis unterliegen (vgl Sommer/Hirsch in Dellinger, BWG § 38 Rz 182; Flora, WK-StPO § 116 Rz 4 f). Weitergehende Einschränkungen der Auskunftspflicht sieht der vorliegende Vertrag nicht vor.

Gemäß § 116 Abs 1 StPO idF BGBl I 2010/108 ist die Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte zulässig, wenn sie zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat oder eines Vergehens, das in die Zuständigkeit des Landesgerichts fällt (§ 31 Abs 2 bis 4 StPO), erforderlich erscheint; seit 1. September 2012 auch zur Aufklärung der Voraussetzungen einer Auskunft nach § 116 Abs 2 Z 2 StPO in Verfahren wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat „für die im Hauptverfahren das Landesgericht zuständig wäre“ (BGBl I 2012/35).

Um eine sinngemäße Umstellung zur Beurteilung der Zulässigkeit der Rechtshilfe zu ermöglichen, müssen der Sachverhalt und die Straftat, die dem ausländischen Verfahren zu Grunde liegen, im Ersuchen ausreichend konkret beschrieben sein.

Das Beschwerdegericht hat die Annahme mangelnder Konkretisierung des in der Bewilligung dem Verbrechen des „gewerbsmäßigen Betrugs“ (gewerbsmäßig schweren Betrugs) als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 3 und 148 zweiter Fall StGB subsumierten, aufzuklärenden Tatverdachts auf das Fehlen von Angaben zu den Tatzeitpunkten und einer „Darstellung, in welchem Umfang Alfred S***** an den inkriminierten 360 Fakten des Oliver E***** beteiligt gewesen sein soll“, gestützt. Damit hat es aber im Ergebnis die begehrte Rechtshilfe mit einer Begründung abgelehnt, die keine die Rechtshilfe ausschließenden Umstände betrifft. Infolge Zulässigkeit einer Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte zur Aufklärung jeder vorsätzlich begangenen Straftat kommt für die Frage des durch die Auskunft aufzuklärenden Tatverdachts dem Umfang der Beteiligung an den inkriminierten 360 Fakten des Oliver E***** (ON 9 S 3) nämlich ebenso wenig Bedeutung zu wie den nicht tatbestandsessentiellen (§§ 146 ff StGB) Tatzeitpunkten.

Der kontinentaleuropäischen Rechtstradition entsprechend ist nicht nur das Auslieferungsverfahren, sondern auch die Rechtshilfe ganz allgemein vom formellen Prüfungsprinzip beherrscht, das heißt die Behörden im ersuchten Staat haben grundsätzlich vom Sachverhalt auszugehen, wie er im Rechtshilfeersuchen dargestellt wird, um der endgültigen Klärung des Sachverhalts im ersuchenden Staat nicht vorzugreifen; die Anführung und Vorlage der für den Tatverdacht sprechenden Beweise wird grundsätzlich nicht verlangt. Eine Überprüfung dieses Sachverhalts findet nur bei dagegen bestehenden erheblichen Bedenken statt (vgl § 33 Abs 2 ARHG). Der für die Durchführung von Zwangsmaßnahmen (hier: § 116 StPO) aufgrund eines Rechtshilfeersuchens erforderliche Verdacht einer Straftat wird bei Vorliegen schlüssiger Unterlagen somit vermutet. Eine Widerlegung dieser Vermutung ist jedoch möglich, wenn sich aus den vorliegenden Unterlagen oder aufgrund entsprechend substanziierten Vorbringens erhebliche Bedenken gegen den Tatverdacht ergeben und Beweismittel zu einer unverzüglichen Entkräftung des Tatverdachts vorliegen oder angeboten werden (vgl Göth‑Flemmich in WK2 ARHG § 33 Rz 3 f; Martetschläger in WK2 ARHG § 51 Rz 5; RIS‑Justiz RS0125233).

Indem das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht seine Entscheidung, der Beschwerde Folge zu geben und den Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg auf gerichtliche Bewilligung der Anordnung der Auskunftserteilung über Bankkonten und Bankgeschäfte abzuweisen, auf das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts mangels Angaben zum Tatzeitpunkt und zum Umfang der Beteiligung des Alfred S***** an den Oliver E***** angelasteten 360 Betrugsfakten sowie auf die Unterlassung der Anführung von Alfred S***** belastenden Beweismitteln und Indizien gestützt hat, hat es weder eine Unschlüssigkeit des Tatverdachts noch substanziierte Bedenken gegen die Vermutung des Tatverdachts dargetan. Die in der Beschwerdeentscheidung gewählte Begründung für die dem Rechtsmittel der „d*****“ stattgebende Entscheidung ist daher verfehlt.

Bleibt anzumerken, dass (auch) im Rechtshilfeverfahren eine Prüfung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (vgl § 116 Abs 1 und 2 Z 1, Abs 4 Z 4 StPO und § 5 StPO) zu erfolgen hat.

Die Abweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft Salzburg auf gerichtliche Bewilligung der Anordnung der Auskunftserteilung über Bankkonten und Bankgeschäfte mit der gewählten Begründung gereicht dem Beschuldigten zum Vorteil, sodass eine konkrete Maßnahme entfällt.

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