OGH 4Ob198/12i

OGH4Ob198/12i17.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** N*****, vertreten durch Mag. Gernot Steier, Rechtsanwalt in Neulengbach, wider die beklagte Partei V***** e.Gen., *****, vertreten durch Dr. Michael Tröthandl und Mag. Christina Maria Juritsch, Rechtsanwälte in Baden, wegen 5.198,34 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 30. Juli 2012, GZ 18 R 108/12d-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 1. März 2012, GZ 8 C 1045/11w-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Bürgin und Zahlerin eines Einmalbarkredits über 200.000 ATS, den die Beklagte einer Dritten am 2. 10. 1998 gewährt hatte. Aufgrund des Zahlungsverzugs der Kreditnehmerin stellte die Beklagte mit Schreiben vom 15. 2. 2001 den aushaftenden Obligo von 197.721,74 ATS gegenüber der Kreditnehmerin mit einer Zahlungsfrist bis 1. 3. 2001 fällig und informierte die Klägerin darüber, sie bei einer nicht vollständigen bzw fristgerechten Zahlung in Anspruch zu nehmen. Am 26. 2. 2001 schlossen die Streitteile eine schriftliche Vereinbarung, mit der die Klägerin einer Ratenzahlungsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Kreditnehmerin (bis 15. 7. 2001 monatlich 4.900 ATS, danach monatlich 2.500 ATS) zustimmte und zur Kenntnis nahm, dass diese Vereinbarung keine Auswirkungen auf die grundsätzliche Gesamtfälligkeit des Kredits hat.

Am 18. 10. 2002 brachte die nicht anwaltlich vertretene Beklagte beim Bezirksgericht Neulengbach eine Mahnklage über 3.630 EUR gegen die Kreditnehmerin und die Klägerin ein, wobei aus der Klagserzählung nur hervorgeht, dass dieser Betrag laut Kreditkonto seit 1. 1. 2002 fällig, aber nicht gezahlt sei, die Klägerin als Bürge und Zahler hafte und die begehrten Zinsen vereinbart seien. Das Bezirksgericht Neulengbach erließ den Zahlungsbefehl, der gegenüber der Kreditnehmerin und der Klägerin in Rechtskraft erwuchs, und bestimmte die Kosten mit 175,70 EUR. Zum 1. 1. 2002 hafteten insgesamt tatsächlich 13.924,48 EUR aus dem Kredit unberichtigt aus.

Nach Einleitung eines Exekutionsverfahrens leistete einerseits die Kreditnehmerin Zahlungen, andererseits auch die Klägerin, teils durch Gehaltsabzüge. Am 6. 12. 2006 beglich die Klägerin den titulierten Kapitalsbetrag. Durch diese Zahlung und ihre zuvor geleisteten Beträge trat eine Überzahlung der Klägerin von 2.614,77 EUR ein. Nach dem 6. 12. 2006 bis Ende April 2011 leistete die Klägerin der Beklagten weitere 2.658,37 EUR. Am 18. 7. 2007 stellte die Beklagte aufgrund des ursprünglichen Zahlungsbefehls einen neuerlichen Exekutionsantrag. Aufgrund eines Antrags der Klägerin nach § 40 EO stellte das Exekutionsgericht am 23. 5. 2011 das Verfahren wegen Befriedigung der Forderung ein. Welcher Betrag tatsächlich noch aus dem Kredit aushaftet, konnte nicht festgestellt werden, er übersteigt aber jedenfalls die Klagsforderung.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten mit Klage vom 18. 7. 2011 zuletzt 5.198,34 EUR sA wegen einer Überzahlung.

Die Beklagte wendete als Gegenforderung eine offene Forderung aus dem Kredit per 30. 4. 2011 von 10.385,60 EUR ein.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung zu Recht, die Gegenforderung hingegen nicht zu Recht bestehe und gab der Klage statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, sprach aus, dass die Klagsforderung mit 2.458,37 EUR und die Gegenforderung bis zu dieser Höhe zu Recht bestehe, und wies die Klage ab. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Titulierung einer Teilforderung darüber hinausgehende Überzahlungen zurückgefordert werden könnten. Die Rechtskraftwirkung einer Entscheidung erstrecke sich nur auf den eingeklagten Teil der Forderung, auch wenn dieser nicht als solcher ausgewiesen werde, nicht auf ein quantitatives Plus. In der Mahnklage finde sich kein Hinweis darauf, dass damit die gesamte Forderung geltend gemacht werde. Bei Überzahlung infolge Zwangsvollstreckung oder infolge Zahlungen, die der Verpflichtete unter Druck der Vollstreckung leiste, stehe ein Kondiktionsanspruch zu. Die Klägerin habe einen Rückforderungsanspruch hinsichtlich der im Exekutionsverfahren zuviel hereingebrachten Beträge (unstrittig 2.458,37 EUR aus Gehaltspfändungen), weil insoweit kein Rechtsgrund bestanden habe. Hingegen seien Zahlungen der Klägerin, gewidmet auf das Kapital, nicht rechtsgrundlos erfolgt, sondern auf den nicht titulierten Teil der Gesamtforderung anzurechnen. Die Gegenforderung sei fällig und übersteige die Klagsforderung, sodass damit aufgerechnet werden könne. Dies führe zur Klagsabweisung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig. Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

Das Rechtsmittel macht allein geltend, dass mit dem Zahlungsbefehl die noch offene Gesamtforderung bindend festgestellt worden sei. Gemäß § 55 Abs 3 JN seien für die Zuständigkeit und die Anwaltspflicht im Fall einer Teileinklagung der Wert der Gesamtforderung maßgeblich. Habe die unvertretene Beklagte eine bezirksgerichtliche Klage eingebracht und einen Zahlungsbefehl erlangt, sei notwendig davon auszugehen, dass die Gesamtforderung unter 4.000 EUR liege oder die Beklagte auf den darüber hinausgehenden Teil verzichtet habe, andernfalls würde der Zweck des § 55 Abs 3 JN verfehlt. Die Revision der Klägerin zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Der im Prozess geltend gemachte Anspruch, also der Streitgegenstand, ist nicht ident mit dem materiellrechtlichen Anspruch. Das Gericht entscheidet im Prozess nicht über das Privatrechtsverhältnis als solches, sondern über ein aus dem Privatrechtsverhältnis abgeleitetes Begehren. Der prozessuale Begriff des Streitgegenstands wird durch das Klagebegehren und den rechtserzeugenden Sachverhalt bestimmt (RIS-Justiz RS0037419).

2. Wird nur ein Teil einer Forderung eingeklagt, so tritt Streitanhängigkeit nur bezüglich des eingeklagten Teils ein; es tritt auch die Rechtskraftwirkung des Urteils nur bezüglich dieses Teils ein, hinsichtlich des weiteren Restanspruchs kann das Urteil keine Rechtskraft erzeugen (RIS-Justiz RS0039155).

3. Wird nur ein Teil einer Forderung eingeklagt, schließt die Rechtskraft des Urteils eine weitere Forderung auch dann nicht aus, wenn die erste Klage nicht als Teilklage bezeichnet war (RIS-Justiz RS0039155 [T6]).

4. An diesen Grundsätzen ändert § 55 Abs 3 JN nichts. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die Fiktion eines erstinstanzlichen Streitgegenstands (Gitschthaler in Fasching/Konecny² I § 55 JN Rz 35) bei Teilgeltendmachung einer Forderung für die Fragen der Zuständigkeit und der Gerichtsbesetzung. Durch diese Bestimmung wird aber die zuvor referierte Rechtsprechung zur Rechtskraftwirkung eines Urteils nicht berührt: Selbst eine Verletzung des § 55 Abs 3 JN durch unrichtige Bejahung einer bezirksgerichtlichen Zuständigkeit trotz Hinweises auf eine bloße Teileinklagung führt nämlich nicht zum Verlust des über den eingeklagten Teilbetrag hinausgehenden materiellen Anspruchs, kann doch die Rechtskraftwirkung der gerichtlichen Entscheidung nicht weiter reichen als das Begehren in der Klage.

5.1. Auf den Rechtsgrund eines konkludenten Verzichts der Beklagten auf jenen Teil ihres Anspruchs, der über den im Vorverfahren beim Bezirksgericht geltend gemachten Kapitalbetrag hinausgeht, hat sich die Klägerin im Verfahren zweiter Instanz nicht gestützt, sodass dieser Einwand in der Revision versagt (vgl 4 Ob 123/11h; vgl RIS-Justiz RS0043338 [T13]).

5.2. Im Übrigen hat die Klägerin gar nicht behauptet, die Vorschrift des § 55 Abs 3 JN zu kennen und daher darauf vertraut zu haben, dass der eingeklagte Betrag die Gesamtforderung sei. Auch gibt es gute andere Gründe für die Beklagte (§ 863 ABGB), die Gesamtforderung nicht in der Teilklage auszuweisen, wie etwa die Umgehung der - Mehrkosten verursachenden - Anwaltspflicht (vgl Gitschthaler in Fasching/Konecny² I § 55 JN Rz 33).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, dass im Rechtsmittel die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht geltend gemacht worden ist und die angefochtene Entscheidung von Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht abweicht. Damit diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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