OGH 11Os117/12h

OGH11Os117/12h13.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Meier als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Bystrik C***** und Igor G***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 7. August 2012, GZ 601 Hv 7/12y-64, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit Anklageschrift vom 28. März 2012 (ON 35) legte die Staatsanwaltschaft Korneuburg Igor G***** und dem abgesondert verfolgten Dobrica Z***** zu Punkt II./ das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 dritter Fall StGB zur Last.

Danach haben diese am 17. März 2012 in Mannswörth als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge nach Österreich eingeführt, indem sie mit diesem - versteckt in doppelten Böden ihrer Reisekoffer - von der Dominikanischen Republik über Madrid nach Wien-Schwechat flogen und nach Österreich einreisten, sowie zur vorschriftswidrigen Einfuhr von Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich von rund drei Kilogramm mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 20 % durch Bystrik C***** beigetragen, indem sie die Einfuhr des Suchtgifts mit Nebojsa K***** von der Dominikanischen Republik nach Österreich organisierten und Bystrik C***** auf dem Flug zur Sicherung der Einfuhr begleiteten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das vom Landesgericht Korneuburg als Schöffengericht in der Hauptverhandlung gefällte und von der Vorsitzenden verkündete Urteil meldete Igor G***** Nichtigkeitsbeschwerde und - ebenso wie die Staatsanwaltschaft - Berufung an.

Der Urteilsausfertigung zufolge wurde Igor G***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit hier von Bedeutung - am 17. März 2012 in Mannswörth als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zur vorschriftswidrigen Einfuhr einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich von drei Kilogramm Kokain mit einer Reinsubstanz von ca 2.150 Gramm, also dem 143-fachen der Grenzmenge, durch Organisation der Einfuhr von der Dominikanischen Republik nach Österreich und durch Begleitung des Bystrik C***** beim Flug, der das Kokain im doppelten Boden seines Reisekoffers versteckt hielt, beigetragen.

Nach Zustellung der Urteilsausfertigung zur Rechtsmittelausführung beantragte die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf den „im Sinne der Anklage“ verkündeten Schuldspruch die Angleichung der Urteilsausfertigung an das mündlich verkündete Urteil.

Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 7. August 2012 (ON 64) wies die Vorsitzende des Schöffengerichts den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass es zwar richtig sei, dass (abgesehen vom Reinheitsgehalt) ein Schuldspruch „im Sinne der Anklageschrift“ verkündet worden sei, aber die Ausfertigung dennoch dem beschlossenen Erkenntnis entspreche, weil im Rahmen der Strafzumessung ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass Igor G***** lediglich als Beitragstäter auftrat.

Gegen die Zurückweisung des Antrags auf Urteilsangleichung richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 270 Abs 3 vorletzter Satz StPO). Dieser kommt keine Berechtigung zu.

Nach dem Beschwerdevorbringen sei im Rahmen der für die Urteilsausfertigung allein maßgeblichen Urteilsverkündung kein Teilfreispruch, sondern ein Schuldspruch „im Sinne der Anklageschrift“ ergangen und wäre demzufolge eine Angleichung der Urteilsausfertigung an die mündliche Urteilsverkündung geboten gewesen, zumal die Ausfertigung, ungeachtet der bestehenden Bindung an den entscheidenden Teil (§ 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO), lediglich den vorgeworfenen Tatbeitrag umfasse.

Vorweg ist festzuhalten, dass die im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Urteilsangleichung immer nur den Bindungswirkung entfaltenden Urteilsspruch, nicht aber die Entscheidungsgründe betreffen kann (Danek, WK-StPO § 270 Rz 56). Im Fall einer Divergenz zwischen beschlossenem und mündlich verkündeten Urteil gilt, worauf die Beschwerdeführerin grundsätzlich zutreffend hinweist, Letzteres. Aus den Bestimmungen über die Urteilsanfechtung und über die Urteilsberichtigung erhellt, dass die Parteien ab der Verkündung des gefällten Urteils in den der Rechtskraft fähigen Teilen auch einen Rechtsanspruch darauf haben, dass das mündlich verkündete Urteil nur noch im Wege der in der Prozessordnung vorgesehenen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe abgeändert wird und dass eine „Berichtigung“ des Urteils gemäß § 270 Abs 3 StPO nur noch zulässig ist, soweit sie nicht die in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betrifft, weil jede sachlich relevante Formulierungsänderung oder Ergänzung in diesen Punkten gerade zu einer Änderung des gefällten und verkündeten Urteils führen würde. Eine in den entscheidenden Teilen (§ 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO) abweichende schriftliche Urteilsausfertigung muss dem mündlich verkündeten Urteil angeglichen werden (vgl 15 Os 70/07v [15 Os 78/07w], Fabrizy, StPO11 § 270 Rz 13; RIS-Justiz RS0098973 [T7], RS0098788, RS0098860). Außer den Fällen des § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2 StPO darf das Gericht bei Abfassung der Urteilsausfertigung von der mündlichen Verkündung aber sehr wohl abweichen (Fabrizy, StPO11 § 270 Rz 12).

Dem angefochtenen Beschluss zufolge wurde von der Vorsitzenden ein Schuldspruch „im Sinne der Anklageschrift“ verkündet (vgl dazu Danek, WK-StPO § 268 Rz 7; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 579).

Der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO, der in dem für die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entscheidenden Umfang den als erwiesen angenommenen Tatsachen der Entscheidungsgründe entsprechen muss (Fabrizy, StPO11 § 260 Rz 2), stellt deklarativ klar, welcher Taten der Angeklagte für schuldig befunden wurde (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 4).

Demnach muss bei einem Schuldspruch „im Sinne der Anklageschrift“ auch das durch den historischen Sachverhalt bestimmte Anklagefaktum dem Urteilsfaktum entsprechen (Identität der Tat). Die von der Beschwerdeführerin der Sache nach behauptete Nichterledigung der Anklage bezieht sich auf die Identität von angeklagtem und urteilsmäßig erledigtem Handlungssubstrat. Die Summe der einem Angeklagten in der Anklage zur Last gelegten Tathandlungen muss der Summe der im Urteil durch Schuld- (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) oder Freispruch (§ 259 StPO) erledigten entsprechen. Spricht das Urteil über einen Teil des von der Anklage umfassten Lebenssachverhalts nicht ab, ist diese (teilweise) Nichterledigung der Anklage nichtigkeitsbegründend iSd § 281 Abs 1 Z 7 StPO (RIS-Justiz RS0121607, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502 mwN). Hingegen liegt keine Nichterledigung der Anklage vor, wenn das Gericht zwei getrennte Anklagefakten für eine Einheit hält (Fabrizy, StPO11 § 281 Rz 52).

Obwohl dies die Beschwerdeführerin sichtlich hier unterstellt, können der insoweit auch nicht differenzierenden Anklageschrift keine zwei realkonkurrierenden Taten, sondern - wie auch bei richtiger rechtlicher Beurteilung - lediglich ein einheitliches Tatgeschehen entnommen werden, wonach nämlich (soweit für den Schuldspruch relevant) der Angeklagte im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung am 17. März 2012 in Mannswörth die Einfuhr von Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge jedenfalls übersteigenden Menge nach Österreich bewirkte (vgl dazu RIS-Justiz RS0088197 [T6 und T7]; Fabrizy, SMG5 § 27 Rz 8).

Ein weiteres Suchtgiftquantum, das derselbe Angeklagte - sei es als unmittelbarer Täter (§ 12 erster Fall StGB), sei es als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) - im Zuge ein und desselben Tatgeschehens darüber hinaus noch eingeführt haben soll, berührt im Fall des § 28a Abs 4 Z 3 SMG (RIS-Justiz RS0117464) den Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) nicht. Steht nämlich keine Qualifikationsgrenze in Frage, ist die Menge des jeweils durch eine einzige Tat eingeführten Suchtgifts aus der Sicht der Z 7 und 8 des § 281 Abs 1 StPO unbeachtlich (RIS-Justiz RS0116582). Ebensowenig stellt die Beteiligungsform eine nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO entscheidende, also für Schuldspruch oder Subsumtion maßgebliche Tatsache dar (RIS-Justiz RS0013731, RS0118039; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 287; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 17 und 30).

Abweichungen des Tenors der schriftlichen Ausfertigung vom verkündeten Erkenntnis im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die eine Urteilsangleichung erfordern würden, liegen daher nicht vor. Die Beachtung (bloßer) Strafzumessungstatsachen mit Berufung (§ 283 StPO) geltend zu machen, bleibt der Beschwerdeführerin unbenommen.

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