OGH 8ObA68/12a

OGH8ObA68/12a24.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn als weitere Richter (§ 11a Abs 3 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O***** W*****, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ablehnung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 10. August 2012, GZ 12 Nc 23/12t-2, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 640,80 EUR (darin enthalten 106,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Im zugrunde liegenden Ausgangsverfahren wurde dem Zahlungsbegehren der Klägerin vom Erstgericht stattgegeben; ein Zinsenmehrbegehren und das Feststellungsbegehren wurden abgewiesen. Beide Parteien erhoben gegen dieses Urteil Berufung. Nach Vorlage des Aktes an das Berufungsgericht gab die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. 1. 2011 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zu ihrer bisherigen Rechtsvertreterin bekannt, ohne einen neuen Rechtsvertreter namhaft zu machen. Eine mündliche Berufungsverhandlung fand nicht statt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts vom 23. 3. 2011 wurde am 29. 4. 2011 direkt an die Beklagte durch Hinterlegung zugestellt. In der Folge lehnte die Beklagte die Mitglieder des Berufungssenats ab. Da die Beklagte unvertreten gewesen sei, sei die Entscheidung des Berufungsgerichts nichtig. Es liege nicht lediglich eine falsche Rechtsmeinung vor, vielmehr bestünden Zweifel an der Unbefangenheit der Senatsmitglieder.

Mit Beschluss vom 26. 6. 2012, 13 Nc 11/11h, wies der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Wien den Ablehnungsantrag der Beklagten zurück. Die Beklagte sei im Berufungsverfahren trotz Kündigung der Vollmacht durch ihre frühere Rechtsvertreterin im Sinn des § 36 ZPO vertreten gewesen. Außerdem seien im Berufungsverfahren keine weiteren Prozesshandlungen der Beklagten erforderlich gewesen, weshalb es auf die Frage, ob die Beklagte im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts „möglicherweise“ unvertreten gewesen sei, gar nicht ankomme. Eine allenfalls unwirksame Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts könne nicht den Anschein der Befangenheit der Mitglieder des Berufungssenats begründen.

In weiterer Folge lehnte die Beklagte auch die Mitglieder des (ersten) Ablehnungssenats des Oberlandesgerichts Wien ab. Die abgelehnten Richter stimmten in die vorherigen Fehlentscheidungen mit ein und solidarisierten sich mit dem Berufungsgericht.

Mit dem hier bekämpften Beschluss wies der (zweite) Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Wien den Ablehnungsantrag gegen die Mitglieder des (ersten) Ablehnungssenats zurück. Der Ablehnungswerberin gelinge es nicht, Anzeichen für einen Zweifel an der Unbefangenheit der Mitglieder des Ablehnungssenats darzustellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts sei die Beklagte nicht unvertreten gewesen. Die Beurteilung des Ablehnungssenats sei daher zutreffend.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten, der darauf abzielt, die Mitglieder des ersten Ablehnungssenats sowie die Mitglieder des Berufungssenats für befangen zu erklären und die zugrunde liegenden Entscheidungen aufzuheben.

Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragte die Klägerin, dem Rekurs der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

1. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht Wien in einem Ablehnungsverfahren in erster Instanz entschieden. Beim vorliegenden Rechtsmittel handelt es sich somit um einen Rekurs (vgl RIS-Justiz RS0119847). Da der Oberste Gerichtshof als zweite Instanz entscheidet, kommt der Rechtsmittelbeschränkung nach § 24 Abs 2 JN keine Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist somit zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

2.1 In bürgerlichen Rechtssachen kann ein Richter abgelehnt werden, wenn ausreichende Gründe vorliegen, die nach objektiven Merkmalen die Besorgnis rechtfertigen, der abgelehnte Richter lasse sich bei seiner Entscheidungsfindung auch von anderen als rein sachlichen Überlegungen leiten. Im Fall der Ablehnung einer Mehrzahl von Richtern müssen in Ansehung eines jeden Einzelnen von ihnen konkrete Befangenheitsgründe detailliert dargetan werden (RIS-Justiz RS0045983). Zudem müssen die Ablehnungsgründe in der Person des abgelehnten Richters begründet, also personenbezogen sein (8 Ob 147/10s). Weder die behauptete Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung noch die Vertretung einer bestimmten Rechtsmeinung durch den Richter bilden einen Ablehnungsgrund. Es ist nicht Aufgabe des Ablehnungsverfahrens, die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen zu überprüfen. Eine unrichtige Lösung der Rechtsfrage kann nur im Rechtsmittelweg bekämpft werden (RIS-Justiz RS0111290; RS0046047).

2.2 Den Anschein der Befangenheit der Mitglieder des ersten Ablehnungssenats des Oberlandesgerichts Wien erblickt die Beklagte darin, dass versucht werde, insbesondere die Entscheidung des Berufungssenats (Zurückweisung der Berufung wegen Verspätung) zu decken und zu rechtfertigen. Sie bezieht dies auf die Formulierung in der Entscheidung des ersten Ablehnungssenats, wonach die Beklagte im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgericht „möglicherweise“ unvertreten gewesen sei, sowie auf die Beurteilung, wonach die Kündigung der Vollmacht durch die frühere Rechtsvertreterin der Beklagten unwirksam gewesen sei und die Frage nach der Wirksamkeit der Vollmachtskündigung für das weitere Berufungsverfahren keine Bedeutung gehabt habe, weil keine Prozesshandlungen der Beklagten mehr erforderlich gewesen seien. In ihren Überlegungen geht die Beklagte davon aus, dass sie aufgrund der Kündigung der Vollmacht durch ihre frühere Rechtsvertreterin am 11. 1. 2011 ab 25. 1. 2011 (14 Tage nach dem ersten Termin) unvertreten gewesen sei, weshalb die Berufungsentscheidung nichtig sei. Den Befangenheitsgrund bezieht sie in Wirklichkeit also darauf, dass der erste Ablehnungssenat des Oberlandesgerichts Wien ihre Rechtsansicht zu § 36 ZPO nicht geteilt hat. Darin, dass eine Rechtsfrage von einem Richter oder einem Richtersenat anders als von einer Partei beurteilt wird, ist allerdings kein geeigneter Befangenheitsgrund gelegen. Besondere zusätzliche Umstände, die bei objektiver Betrachtung auf unsachliche Motive der abgelehnten Richter schließen lassen würden, liegen nicht vor.

2.3 Mit ihrer Rechtsansicht zu § 36 ZPO widerspricht die Beklagte im Übrigen der ständigen Rechtsprechung, wonach in einem Verfahren mit Anwaltspflicht die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht des Rechtsvertreters zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner, also im Außenverhältnis, (auch) der Anzeige bedarf, dass ein anderer Rechtsanwalt zur Vertretung bestellt wurde, sowie dass mangels einer derartigen Anzeige die bloße Mitteilung über die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses - im Außenverhältnis - wirkungslos ist (4 Ob 179/08i; 8 ObA 53/10t). Die Frage, ob nach der Kündigung der Vollmacht durch die frühere Rechtsvertreterin der Beklagten - ohne Namhaftmachung eines neuen Vertreters - im Berufungsverfahren noch weitere Prozesshandlungen der Beklagten erforderlich waren, stellt sich demnach gar nicht. Gleichgültig wäre auch, ob solche Prozesshandlungen „erforderlich“ waren, zumal weitere Prozesshandlungen der Beklagten jedenfalls nicht vorgenommen wurden. Dazu ist allerdings festzuhalten, dass nach Ablauf der 14-tägigen Frist nach § 36 Abs 2 ZPO der Rechtsanwalt im Innenverhältnis - ohne Rücksicht darauf, ob dem Gericht im Anwaltsprozess ein neuer Vertreter bekannt gegeben wurde oder nicht - gegenüber der eigenen Partei zu handeln weder berechtigt noch verpflichtet ist (RIS-Justiz RS0035772). Der Rechtsanwalt, der die Vollmacht kündigt, ist daher etwa nicht berechtigt, ein Rechtsmittel zurückzuziehen (RIS-Justiz RS0035761).

2.4 Im Ausgangsverfahren ist allerdings entscheidend, ob eine wirksame Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts an die Partei selbst erfolgen konnte. Diese Rechtsfrage ist nicht im Ablehnungsverfahren zu klären.

Insgesamt vermag die Beklagte keinen tauglichen Ablehnungsgrund darzulegen. Dem Rekurs war daher der Erfolg zu versagen.

3. Eine Anfechtung beim VfGH scheidet schon mangels Präjudizialität aus. Die Bestimmung des § 36 Abs 1 ZPO begründet für die Beklagte zur relevanten Frage der Wirksamkeit der Zustellung direkt an die Partei jedenfalls keinen Rechtsnachteil. Eine Veranlassung zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH besteht ebenfalls nicht. Die Beklagte legt nicht einmal dar, wodurch der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta eröffnet sein soll.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50, 52 ZPO. Aufgrund der Zweiseitigkeit bildet auch das Ablehnungsverfahren einen Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist (RIS-Justiz RS0126588).

Stichworte