OGH 14Os30/12m

OGH14Os30/12m16.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Haberreiter als Schriftführerin in der Strafsache gegen Marvin W***** wegen Verbrechen nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 3. November 2011, GZ 34 Hv 136/11d-33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Einziehungserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Lienz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Marvin W***** mehrerer Verbrechen nach § 3g VG schuldig erkannt.

Danach hat er sich in M***** und anderen Orten Österreichs auf eine andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er mit dem Vorsatz, Adolf Hitler und die nationalsozialistische Ideologie zu verherrlichen und seine nationalsozialistische Gesinnung bekräftigend,

I/ 2006/2007 am O***** in M***** demonstrativ den Hitlergruß (Grußform mit ausgestrecktem rechtem Arm) im Beisein des diesbezüglich abgesondert verfolgten und rechtskräftig verurteilten Harald K***** bei gehisster „altdeutscher Fahne“ ausführte, wobei sich beide für fotografische Ablichtungen aufstellten;

II/ zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt (jedenfalls nach Vollendung des 14. Lebensjahres) bis zum 6. November 2009 in seiner Wohnung die im Spruch auszugsweise genannten Gegenstände sowie CDs und auf DVDs und USB-Sticks abgespeicherte Musik- und Textdateien mit fremdenfeindlichem, verhetzendem und NS-propagandistischem Inhalt ansammelte, um diese Gegenstände sowie CDs und Musikdateien als Anschauungs- und Propagandamaterial im Sinn der Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankens durch Herzeigen, Übermitteln an dritte Personen bzw Abspielen vor dritten Personen einzusetzen, und zwar:

1/ eine Datei mit der Bezeichnung „Liederzettel“, welche ein 68-seitiges PDF-Dokument darstellt, das unter anderem die zu Punkt II/3/ erwähnten Lieder „Am Adolf Hitler Platz“ und „Das Hakenkreuz im weißen Feld“ enthält und auf dessen erster Seite Lichtbilder von jugendlichen Musikern mit Hakenkreuzfahnen ersichtlich sind;

2/ eine Datei mit der Bezeichnung „Mappe“ mit dem im Spruch auszugsweise wiedergegebenen Inhalt, welche Bestandteile einer Schulungsmappe enthält, wobei diese Schulungsmappe auch bei dem abgesondert verfolgten, mit dem Angeklagten befreundeten Simon H***** und dem bereits wegen deren Ansammelns verurteilten Harald K***** aufgefunden wurde;

3/ eine Datei sowie CD „Deutsches Liedgut“, auf welchen die im Urteil auszugsweise wiedergegebenen Lieder („Am Adolf Hitler Platz“, „Als die goldne Abendsonne“, „Das Hakenkreuz im weißen Feld“, „Der Führer ruft“, „Die Fahne hoch!“, „Es zittern die morschen Knochen“, „SS marschiert“ und „Wenn die SS und die SA“) enthalten sind;

4/ zahlreiche weitere CDs, auf welchen unter anderem die im Urteil auszugsweise wiedergegebenen Lieder („Deutschland erwache“ und „Brüder in Zechen und Gruben“) abgespeichert sind;

5/ zwei idente CDs mit der Aufschrift „Schwindlers List“, deren Inhalt ein Propagandavideo über die in rechtsextremen Kreisen verbreitete Behauptung über die „Auschwitzlüge“ ist;

III/ seit einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt (jedenfalls nach Vollendung des 14. Lebensjahres) bis zum 6. November 2009 ein schwarzes T-Shirt mit einer Stickerei auf der linken Brusttasche „ODALFRONT TIROL“ samt „Swastika“-Symbol und zentrierter „Odalrune“ sowie auf der Rückseite mit der Aufschrift „Ein Volk, das seine Vergangenheit nicht ehrt, hat keine Zukunft!“ bei Bergtouren trug und für andere sichtbar zur Schau stellte;

IV/ im Jahr 2007 dem inhaftierten Manuel S***** die CD „Feast of the Jackals“ der australischen „Trash Metal“ Band „Death's Head“ mit Bezug zum Nationalsozialismus weitergab, die in den Texten dieses Albums zum Rassenhass anreizen und auffordern, Menschen aufgrund ihres Glaubens und ihrer Hautfarbe zu töten, und deren Bandlogo einen SS-Totenkopf sowie Hakenkreuze beinhaltet.

Des Weiteren wurden im Urteil näher bezeichnete Gegenstände gemäß § 26 Abs 1 StGB eingezogen.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 345 Abs 1 Z 5, 8, 10a, 11 lit a und 13 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise im Recht.

Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurden durch Abweisung des in der Hauptverhandlung am 3. November 2011 gestellten Antrags, den (auf eine Veranstaltung des „AFP“ in der Zeit vom 14. bis zum 16. Oktober 2011 in M***** bezogenen) „Vorhalt des öffentlichen Anklägers nicht zuzulassen bzw das Schreiben der Sicherheitsdirektion Tirol vom 24. Oktober 2011 [ON 30] nicht zu verlesen“ (ON 31 S 16 f), Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht geschmälert.

Ein gegen den Antrag (Widerspruch) des Angeklagten erfolgter Vorhalt von Beweisergebnissen vermag nämlich nur dann Nichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z 5 StPO zu bewirken, wenn es sich dabei um belastende Aussagen von Zeugen handelt, die in der Folge weder durch (zulässige) Verlesung gemäß § 252 Abs 1 StPO oder (zulässigen) Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO noch durch Vernehmung dieser Zeugen in der Hauptverhandlung als Beweismittel in das Beweisverfahren (§§ 246 Abs 1, 308 Abs 1 StPO) Eingang gefunden haben (vgl RIS-Justiz RS0113447).

Der gegenständliche Bericht der Sicherheitsdirektion Tirol vom 24. Oktober 2011 (ON 30) stellt hingegen keine vom Regelungsinhalt des § 252 StPO umfasste Wiedergabe früherer Aussagen von Zeugen und Mitbeschuldigten oder von Sachverständigengutachten (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 10) dar, sondern (bloß) einen Amtsvermerk über kriminalpolizeiliche Erkundigungen (vgl § 152 Abs 3 StPO). Dass dieser Amtsvermerk mit Nichtigkeit aus § 152 Abs 1 zweiter Halbsatz (iVm § 345 Abs 1 Z 3) StPO behaftet wäre, wird vom Beschwerdeführer nicht behauptet.

Letztlich hat der Angeklagte noch vor Beendigung des Beweisverfahrens dem Vortrag des gesamten Akteninhalts - und damit auch des Berichts der Sicherheitsdirektion Tirol vom 24. Oktober 2011 (ON 30) - ausdrücklich zugestimmt (§ 252 Abs 2a StPO; siehe ON 31 S 27), womit das Beweisstück jedenfalls rechtmäßig Eingang in die Hauptverhandlung fand.

Soweit der Beschwerdeführer vermeint, er habe (vor Beginn seiner Vernehmung; vgl ON 31 S 27) „keine Möglichkeit“ gehabt, in dieses (dem Gericht erst kurz vor der Hauptverhandlung zugekommene) Dokument Einsicht zu nehmen, ist ihm zu entgegnen, dass ihm auch die - von ihm nicht ergriffene - Option offengestanden wäre, in der Hauptverhandlung (ergänzende) Akteneinsicht und - gegebenenfalls - eine (kurzfristige) Unterbrechung der Verhandlung zur Besprechung mit seinem Verteidiger zu beantragen (vgl RIS-Justiz RS0096759, RS0096810).

Der Inhalt der Rechtsbelehrung ist nur insoweit mittels Instruktionsrüge (Z 8) anfechtbar, als damit die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, die Auslegung der in den einzelnen Fragen vorgekommenen Ausdrücke des Gesetzes oder die Belehrung über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage in Kritik gezogen werden (RIS-Justiz RS0101021 [T15]). Eine prozessordnungsgemäße Ausführung des Nichtigkeitsgrundes verlangt überdies den Vergleich der tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung mit deren nach § 321 Abs 2 StPO erforderlichem Inhalt und die darauf gegründete deutliche und bestimmte Darstellung der Unrichtigkeit der den Geschworenen zuteil gewordenen juristischen Information (RIS-Justiz RS0119549). Dabei kommt es nicht auf ein einzelnes verwendetes Wort, sondern auf den Sinngehalt der Rechtsbelehrung insgesamt an (RIS-Justiz RS0114966). Die nur für das Moniturverfahren relevante Niederschrift nach § 331 Abs 3 StPO bleibt in diesem Zusammenhang außer Betracht (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 56 und 71).

Weshalb die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung betreffend „das Ansammeln von NS-Propagandamaterial“ durch den Zusatz „mit Wiederbetätigungstendenz“ (S 8 der Rechtsbelehrung in ON 32) hinsichtlich des gesetzlichen Merkmals der „Betätigung im nationalsozialistischen Sinn“ in § 3g VG - hier durch Ansammeln von NS-Propagandamaterial mit der Intention, dieses Gedankengut damit zu verbreiten (siehe US 21) - infolge Undeutlichkeit unrichtig sein soll, lässt das weitere (diese Passage zudem isoliert herausgreifende) Vorbringen nicht erkennen.

Im Übrigen stellten die Laienrichter die Intention des Angeklagten, „diese Gegenstände sowie CDs und Musikdateien als Anschauungs- und Propagandamaterial im Sinn der Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankens durch Herzeigen, Übermitteln an dritte Personen bzw Abspielen vor dritten Personen einzusetzen“, durch Bejahung der Hauptfragen 2. bis 14. ohnehin ausdrücklich fest (US 2 bis US 19), weshalb sich der eben auf das Sachverhaltselement des „Bereithaltens zum Zweck der Verbreitung“ bezogene Einwand der Instruktionsrüge nicht gegen den Inhalt der Rechtsbelehrung, sondern im Ergebnis allein gegen den den Bezugspunkt der rechtlichen Beurteilung bildenden Inhalt des Wahrspruchs der Geschworenen richtet.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) erschöpft sich im unzulässigen Versuch, die Richtigkeit der den Laienrichtern vorbehaltenen Beweiswürdigung durch eigene Erwägungen in Zweifel zu ziehen, ohne aktenkundige Beweisergebnisse aufzuzeigen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen (RIS-Justiz RS0119583).

Da die Niederschrift gemäß § 331 Abs 3 StPO eine Begründung für die Beweiswürdigung der Geschworenen darstellt und somit nicht deren Gegenstand zu bilden vermag, kann der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO darauf nicht gegründet werden (RIS-Justiz RS0115549; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 16). Soweit darüber hinaus der pauschale Vorwurf erhoben wird, die Laienrichter hätten sich „über die tatsächlich im Verfahren gewonnenen Beweisergebnisse“ hinweggesetzt, ohne diese konkret - auch durch Angabe von Fundstellen im Akt - zu bezeichnen, gelangt die Rüge nicht zu prozessförmiger Ausführung (RIS-Justiz RS0117446, RS0124172; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487 sowie § 345 Rz 2 und 11).

Indem die Rechtsrüge (Z 11 lit a) zu Punkt I/ des Schuldspruchs den von den Laienrichtern - unbedenklich (siehe die Ausführungen zu Z 10a) - festgestellten Bedeutungsinhalt der fotografisch festgehaltenen Tathandlungen in Zweifel zieht und die in den Hauptfragen 2. bis 14. (Schuldspruch II/) konstatierte Intention des Angeklagten unbeachtet lässt, er habe die dort genannten Gegenstände und die auf diversen Datenträgern abgespeicherten Dateien mit fremdenfeindlichem, verhetzendem und NS-propagandistischem Inhalt angesammelt, um sie „als Anschauungs- und Propagandamaterial im Sinn der Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankens durch Herzeigen, Übermitteln an dritte Personen bzw Abspielen vor dritten Personen einzusetzen“, unterlässt sie den gebotenen Vergleich der im Wahrspruch festgestellten Tatsachen mit dem darauf angewendeten Strafgesetz, womit sie einmal mehr ihren gesetzlichen Bezugspunkt verfehlt (RIS-Justiz RS0101148).

Zutreffend macht der Beschwerdeführer hingegen Nichtigkeit des nach § 26 Abs 1 StGB ergangenen Einziehungserkenntnisses aus § 345 Abs 1 Z 13 (zweiter Fall) StPO geltend. Denn die Urteilspassage, die sichergestellten (vgl ON 6 und 7; ON 9 S 18 f; ON 11) Gegenstände - und zwar „ein USB-Stick Marke Kingston, Farbe grün; ein USB-Stick, unbekannte Marke, Farbe silber mit rotem Verschluss; ein USB-Stick, unbekannte Marke, Aufschrift ‚Hoval', Farbe silber-rot; ein USB-Stick, unbekannte Marke, Aufschrift ‚ScanDisk cruzer', Farbe silber-schwarz; eine Fotokamera Marke Fujifilm; ein handgeschriebener Brief; 37 CDs; 24 DVDs; eine Broschüre ‚HNG'; ein Spiralblock; ein Mitgliedsausweis der HNG; eine Teilnehmerurkunde Ulrichsbergtreffen; ein Notizheft; ein Zeichenheft; ein Buch ‚Österreichische Geschichte aus der ersten Zeit des illegalen Kampfes von Christian Kreuzhackler'; zwei Briefe der HNG; diverse Zettel; ein Terminplaner; ein T-Shirt; ein Taschenbuch ‚Die Ermittlung' sowie ein silberfarbener Aktenkoffer mit zwei Festplatten als Inhalt“ (US 32 f) - wären „vom Angeklagten zur Begehung der Straftaten verwendet“ worden (US 34), reicht - ungeachtet seiner zustimmenden Erklärung (siehe ON 31 S 27) - zur abschließenden Beurteilung der Voraussetzungen für eine Einziehung nach § 26 StGB, nämlich einer aus der besonderen Beschaffenheit der Gegenstände resultierenden Deliktstauglichkeit (vgl RIS-Justiz RS0121298 sowie Ratz in WK² § 26 Rz 6 f und 12), nicht aus.

Das angefochtene Urteil war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten bereits bei der nichtöffentlichen Beratung im Einziehungserkenntnis sofort aufzuheben (§§ 285e, 344 StPO) und die Sache in diesem Umfang in Anbetracht der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts Lienz für die demgemäß vorbehaltene (vgl § 443 Abs 2 StPO), gesondert zu treffende Entscheidung über den Antrag auf Einziehung (§ 445 Abs 3 StPO), zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zu verweisen (§ 288 Abs 2 Z 3 letzter Satz, § 344 StPO; vgl RIS-Justiz RS0101479, RS0100318 [T6 und T7], RS0100271 [T12]; 14 Os 16/11a; 12 Os 14/11t).

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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