OGH 12Os115/12x

OGH12Os115/12x10.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Sol und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ivan D***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Jugendgeschworenengericht vom 16. Mai 2012, GZ 20 Hv 12/12s-59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Ivan D***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 20. November 2011 in B***** Sebastian De***** dadurch getötet, dass er mit einem Messer etwa 25 bis 30 Mal auf diesen eingestochen und mit einem Hammer zumindest zwei Mal auf dessen Kopf geschlagen hat.

Er wurde unter Anwendung des § 5 Z 2 lit a JGG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Ausspruch der vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und Z 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, die ihr Ziel verfehlt.

Unter beiden Nichtigkeitsgründen wendet sich der Angeklagte gegen die Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen (ON 58 S 96 f), weswegen vorauszuschicken ist, dass ein solcher - soweit hier von Bedeutung - nur beizuziehen ist, wenn der Befund des vom Gericht beigezogenen Experten unbestimmt oder dessen Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft ist und sich die dargestellten Bedenken nicht durch Befragung beseitigen lassen (RIS-Justiz RS0120023). Angesichts der spezifischen Rolle des Sachverständigen begegnet es auch mit Blick auf Konventionsgarantien keinen Bedenken, das Recht, die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen zu beantragen, an die Einhaltung der in § 127 Abs 3 erster Satz StPO geregelte Vorgangsweise zu knüpfen (14 Os 2/12v).

Erachtet das Gericht - wie hier - diese Voraussetzungen als nicht gegeben, muss in einem auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen gerichteten Antrag (§ 55 Abs 1 StPO) fundiert dargetan werden, warum Befund oder Gutachten aus Sicht des Antragstellers dennoch im beschriebenen Sinn mangelhaft sein sollen (Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 16). Die Nichtbeiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt nur dann einen Verfahrensmangel her, wenn sich die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrags als Willkürakt des Gerichts darstellt (Murschetz, WK-StPO § 429 Rz 12; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351), wobei sowohl nach der geltenden Rechtslage wie auch nach den - vom Beschwerdeführer angesprochenen - Regeln der StPO idF vor BGBl I 2004/19 in der Abweisung eines Antrags auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen ein Akt freier Beweiswürdigung liegt.

Ein Befund ist unbestimmt, wenn die Erörterungen des Sachverständigen nicht verständlich oder nicht nachvollziehbar sind oder ihnen nicht zu entnehmen ist, welche Tatsachen der Sachverständige als erwiesen angenommen hat, wenn der Befund in sich widersprüchlich ist oder wenn er nicht erkennen lässt, aus welchen Gründen der Sachverständige zu den darin festgestellten Tatsachen kommt. Demgemäß kann der Befund im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO nur aus sich selbst heraus, nicht aber durch den Vergleich mit einem eigenständig erhobenen Befund in Frage gestellt werden (15 Os 95/10z; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 19 bis 21).

Ein Gutachten ist dann „sonst mangelhaft“ im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO, wenn es unschlüssig, unklar oder unbegründet ist, den Gesetzen der Logik widerspricht oder nicht mit den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft übereinstimmt (Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 24 f).

Ein durch § 345 Abs 1 Z 5 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hat der Beschwerdeführer nur dann, wenn er in der Lage ist, einen der in § 127 Abs 3 StPO angeführten Mängel von Befund oder Gutachten aufzuzeigen (RIS-Justiz RS0117263). Ob das Gutachten eines Sachverständigen ausreichend und verlässlich ist, ist eine Frage der Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0097433).

Darüber hinaus hat sich die Nichtigkeitsbeschwerde auf den in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag zu beschränken; auf die ergänzenden Beschwerdeausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht weiter einzugehen, weil die Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Diesen Erfordernissen wird die Nichtigkeitsbeschwerde nicht gerecht.

Dem Vorbringen, wonach der beigezogene Sachverständige für das Fachgebiet der allgemeinen Psychiatrie in der Gerichtssachverständigenliste eingetragen ist, es im vorliegenden Fall jedoch eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Jugendpsychiatrie bedurft hätte, ist zu erwidern, dass die Ausbildung des Sachverständigen das angesprochene Fachgebiet, von dem lediglich jenes der Kinderpsychiatrie ausgenommen ist, umfasst (ON 58 S 71, 79, 80). Sein Sachwissen in Zweifel zu ziehen, bestand für das Erstgericht somit kein Anlass.

Der Angeklagte stützte seinen Antrag auf Bestellung eines jugendpsychiatrischen Sachverständigen darüber hinaus darauf, dass der bestellte Sachverständige den „MMP1-2 Minnesota Multiphasic Personality Inventory 2-Test“ und das „Cognitrone-Verfahren“ sowie den „SKT-Test“ nicht durchgeführt habe, er den Selbstmordversuch des Angeklagten nach der Tatbegehung für die Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose und dessen Zurechnungsfähigkeit, jeweils im Hinblick auf das Vorliegen eines erweiterten Selbstmordes und des Wegfalls der Gefährlichkeit aufgrund des Todes des Sebastian De*****, die Ursachen für die Herkunft der Depression - unter Berücksichtigung erblicher Belastung - sowie die Tatsache, dass beim Angeklagten im Zuge seiner früheren psychiatrischen Behandlungen keine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden sei, unberücksichtigt gelassen habe. Ein weiteres Gutachten hätte ergeben, dass der Angeklagte weder eine geistige noch eine psychische Abnormität höheren Grades aufweise und mit konsequenter medikamentöser Behandlung nicht mehr gefährlich sei, sodass er weder in eine Anstalt für geistig abnorme zurechnungsfähige Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB noch in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB einzuweisen sei (ON 58 S 97 f).

Im Zuge der Befragung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung nahm dieser zu den von ihm angewandten Testverfahren (IPDE, FPI, PDS) sowie dazu Stellung, weshalb er die vom Angeklagten eingeforderten Verfahren nicht zur Anwendung brachte (ON 58 S 88 ff, 93). Solcherart wurde mit der Kritik an den vom Sachverständigen angewendeten Untersuchungsmethoden bzw daran, dass er bestimmte Untersuchungen nicht durchgeführt hat, keine die Bestellung eines weiteren Gutachters indizierende Widersprüchlichkeit oder Mangelhaftigkeit des Gutachtens, sondern Unvollständigkeit des aufgenommenen Befundes angesprochen, mit der noch kein Mangel im Sinne des § 127 Abs 3 StPO verbunden ist, sondern allenfalls Anlass für die - hier aber nicht begehrte - Beauftragung des (bereits befassten) Sachverständigen mit einer ergänzenden Befundaufnahme.

Das Gleiche gilt für das Vorbringen, der Sachverständige habe den Selbstmordversuch des Angeklagten nach der Tötungshandlung bei der Frage nach einem erweiterten Suizid unbeachtet gelassen, weil auch diesbezüglich eine ergänzende Befundung nicht beantragt wurde.

Konfrontiert damit, dass beide Großmütter an depressiven Erkrankungen leiden, führte der Sachverständige aus, dass eine anlagemäßige Disposition nicht auszuschließen sei, Symptome, wie sie für eine derartige Störung verlangt werden, aber nicht feststellbar gewesen seien (ON 58 S 94). Das Vorbringen des Angeklagten, die Berücksichtigung der Depressionen beider Großmütter hätte zu einem anderen Ergebnis geführt, ist daher rein spekulativ.

Auch damit, dass bei früheren Behandlungen des Angeklagten keine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde, wurde der Sachverständige konfrontiert. Im Übrigen findet sich in der Krankengeschichte der O***** L***** W***** ohnedies die Diagnose „Verdacht auf kombinierte Persönlichkeitsstörung“ (ON 58 S 83).

Fundiert dargelegte, über die durch Befragung des Sachverständigen relevierten und von diesem schlüssig aufgeklärten Kritikpunkte des Gutachtens hinausgehende Argumente, weshalb die behaupteten Bedenken gegen das Gutachten nicht aufgeklärt wurden, es also weiterhin Mängel im Sinne des § 127 StPO aufweise (vgl Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 16), wurden vom Angeklagten in seinem mündlichen Beweisantrag somit nicht vorgebracht.

Soweit der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des PDS-Tests einen Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen behauptet, mangelt es an dem erforderlichen Versuch einer Aufklärung durch Befragung (§ 127 Abs 3 erster Satz zweiter Teil StPO).

Im Ergebnis richtet sich der Beschwerdeführer mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde lediglich gegen die Lösung der dem Gericht obliegenden Beweisfrage, ob das Gutachten des Sachverständigen ausreichend und verlässlich ist (vgl RIS-Justiz RS0097433), und in weiterer Folge gegen die dem Wahrspruch zu Grunde liegende, im Kollegialverfahren jedoch nicht bekämpfbare Beweiswürdigung des Gerichts.

Soweit das Vorbringen der Sanktionsrüge über die Kritik am Sachverständigengutachten hinausgeht, wozu auf obige Ausführungen verwiesen wird, handelt es sich - zumal die Prognoseentscheidung betreffend - um bloßes Berufungsvorbringen. Dies trifft auch auf die These im Beweisantrag, eine Gefährlichkeit des Angeklagten liege aufgrund des Todes seines Opfers nicht mehr vor, zu, worauf der Sachverständige im Übrigen insofern eingegangen ist, als er im Relevanzbereich der Gefährlichkeit das gesamte soziale Umfeld ohne nähere Eingrenzung als betroffen erachtete (ON 58 S 78).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte