OGH 10ObS102/12s

OGH10ObS102/12s2.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Dr. Michael Kutis (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. E***** B*****, vertreten durch Dr. Michael Brandauer, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Mai 2012, GZ 25 Rs 42/12f-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Dezember 2011, GZ 35 Cgs 5/11v-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 14. 12. 2010 widerrief die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 1. 1. 2006 bis 31. 12. 2006 und sprach aus, dass die Klägerin zum Rückersatz von 4.446,18 EUR an Kinderbetreuungsgeld verpflichtet sei. Die beklagte Partei begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß § 8 KBGG den maßgebenden Grenzbetrag von 14.600 EUR überschreite.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige Klage der Klägerin mit dem sinngemäßen Begehren, es werde festgestellt, dass die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für die Tochter F***** für den Zeitraum 1. 1. 2006 bis 31. 12. 2006 zu Recht erfolgt sei und die Klägerin daher nicht zur Rückzahlung des empfangenen Kinderbetreuungsgeldes verpflichtet sei. Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, sie sei selbständige Einzelunternehmerin und habe für ihre im Jahr 2005 geborene Tochter im Jahr 2006 in den Monaten Jänner sowie März bis einschließlich November Kinderbetreuungsgeld bezogen, während sie für die restlichen Monate Februar und Dezember 2006 auf das Kinderbetreuungsgeld verzichtet habe. Sie habe zwischen Juni und Dezember 2005 an verschiedenen Aufträgen für die Gebrüder W***** GmbH gearbeitet, wobei der Großteil dieser Arbeiten von ihr im zweiten und dritten Quartal verrichtet worden sei. Obwohl von ihr diese Leistungen im Dezember 2005 abgerechnet worden seien und ihr von der Gebrüder W***** GmbH die Zahlung des Rechnungsbetrags von 4.215 EUR netto für Dezember 2005 zugesichert worden sei, sei der Rechnungsbetrag erst im Jänner 2006 beglichen worden. Gleiches gelte für die Zahlung eines Rechnungsbetrags von 1.190 EUR netto an die E***** GmbH. Da die Klägerin mit dem Eingang dieser beiden Rechnungsbeträge im Dezember 2005 gerechnet habe, habe sie für diesen Monat auf das Kinderbetreuungsgeld verzichtet. Tatsächlich seien die Zahlungen erst im Jänner 2006 eingegangen, worauf die Klägerin keinen Einfluss gehabt habe.

Weiters habe sie für das Jahr 2006 tatsächlich bzw faktisch höhere Sozialversicherungsbeiträge, nämlich statt der in der beigelegten Aufstellung ausgewiesenen 9.606,24 EUR tatsächlich 12.724 EUR bezahlt. Ein wesentlicher Teil dieser tatsächlich im Jahr 2006 erfolgten Sozialversicherungszahlungen der Klägerin sei in der Folge offensichtlich - nachträglich und vom Steuerberater der Klägerin ohne deren spezielle Kenntnis - für das Jahr 2004 umgewidmet bzw eine Auflösung einer Rückstellung von Sozialversicherungsbeiträgen für das Jahr 2004 abgezogen worden. Dieser Umstand einer nachträglichen und von der Klägerin nicht realisierten Umwidmung von tatsächlich von ihr im Jahr 2006 geleisteten Sozialversicherungsbeiträgen bilde jedenfalls einen berücksichtigungswürdigen Grund für eine Anwendung der KBGG-Härtefälle-VO. Eine geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei für die Klägerin nicht vorhersehbar gewesen, zumal im relevanten Zeitraum ein Steuerberaterwechsel bei der Klägerin angestanden sei und sich daraus auch - unvorhergesehen - kleinere Kommunikationsmissverständnisse zwischen Steuerberater und der Klägerin ergeben hätten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens sowie den Ausspruch, dass die Klägerin zum Ersatz des unberechtigt empfangenen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 1. 1. 2006 bis 31. 12. 2006 in Höhe von 4.446,18 EUR verpflichtet sei. Die beklagte Partei vertrat zusammengefasst den Standpunkt, es liege kein Härtefall im Sinn der KBGG-Härtefälle-VO vor.

Das Erstgericht stellte fest, dass die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes an die Klägerin für das Kind F***** für den Zeitraum 1. 1. 2006 bis 31. 12. 2006 zu Recht erfolgt sei und demgemäß ein Rückersatzanspruch der beklagten Partei gegen die Klägerin für den genannten Zeitraum über 4.416,18 EUR (richtig: 4.446,18 EUR) nicht zu Recht bestehe. Es verwies auf die zwischen den Parteien nunmehr außer Streit stehende Berechnung, wonach die Klägerin im Jahr 2006 laut Steuerbescheid Einkünfte in Höhe von insgesamt 29.813,03 EUR bezogen hat. Abzüglich der Einkünfte für die Monate Februar und Dezember 2006, für welche die Klägerin auf die Zahlung des Kinderbetreuungsgeldes verzichtet hat, ergeben sich für die übrigen zehn Monate des Jahres 2006 Einkünfte in Höhe von 1.838,78 EUR. Eine Hochrechnung dieses Betrags auf ein Jahreseinkommen ergibt den Betrag von 2.206,54 EUR (= 1.838,78 EUR : 10 x 12), sodass sich zuzüglich der im Jahr 2006 der Klägerin vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge von 12.658,20 EUR ein maßgeblicher Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG in Höhe von insgesamt 14.864,74 EUR ergibt. Darüber hinaus stellte das Erstgericht nur noch fest, dass die Überschreitung der Zuverdienstgrenze (von 14.600 EUR) im Jahr 2006 aufgrund des Umstands erfolgte, dass der damalige Steuerberater der Klägerin ohne ihr Zutun anstatt der ihr für 2006 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge von 12.658,20 EUR durch Auflösung einer Rückstellung von Sozialversicherungsbeiträgen für 2004 und Dotierung einer Rückstellung für 2006 an Sozialversicherungsaufwand nur 9.606,20 EUR als Werbungskosten geltend machte.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht ohne nähere Begründung die Auffassung, die Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei für die Klägerin nicht vorhersehbar gewesen und es sei, da diese Überschreitung auch nicht 15 % des Grenzbetrags erreiche, von der Rückforderung abzusehen.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der beklagten Partei das Ersturteil dahin ab, dass es das Klagebegehren der Klägerin abwies und die Klägerin gleichzeitig verpflichtete, einen Betrag von 4.446,18 EUR an zu Unrecht bezogenem Kinderbetreuungsgeld in insgesamt elf Teilbeträgen an die beklagte Partei zu zahlen. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht - zusammengefasst - die Ansicht, es liege zwar nur eine geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze iSd § 1 lit a KBGG-Härtefälle-VO idF BGBl II 2004/91 vor. Diese Überschreitung sei für die Klägerin aber nicht unvorhersehbar gewesen. Die von ihr im Dezember 2005 vorgenommene Leistungsabrechnung und die entgegen dem Versprechen des Leistungsempfängers auf sofortige Zahlung erst im Jänner 2006 erfolgte Zahlung des Rechnungsbetrags stellten in der Geschäftswelt keinen außergewöhnlichen Vorgang dar, mit welchem nicht gerechnet werden müsste. Auf solchen verspäteten Zahlungen beruhende Einkommensschwankungen seien nicht als „unvorhersehbar“ zu qualifizieren. Soweit die Überschreitung der Zuverdienstgrenze im Jahr 2006 nach den Feststellungen (auch) aufgrund des Umstands erfolgt sei, dass der damalige Steuerberater der Klägerin (ohne deren Zutun) anstatt der ihr für 2006 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge von 12.658,20 EUR durch Auflösung einer Rückstellung von Sozialversicherungsbeiträgen für 2004 und Dotierung einer Rückstellung für 2006 an Sozialversicherungsaufwand nur 9.606,20 EUR als Werbungskosten geltend gemacht habe, liege ebenfalls keine für die Klägerin unvorhersehbare Überschreitung der Zuverdienstgrenze vor. Es sei nämlich keineswegs untypisch, wenn ein Steuerberater - gerade wenn er nach dem Vorbringen der Klägerin nur in steuerlichen Angelegenheiten bevollmächtigt gewesen sei - zur Erzielung eines Steuervorteils im Rahmen von Steuererklärungen Rückstellungen aus periodenfremden Jahren auflöse bzw Sozialversicherungsbeiträge aus einem Jahr (hier: 2006) für periodenfremde Zeiträume verwende. Mit derartigen Vorgängen - und damit auch mit daraus resultierenden Einkommensschwankungen im Beobachtungszeitraum - sei somit nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge durchaus zu rechnen. Auch wenn die Klägerin nach ihrem Prozessvorbringen ihren ehemaligen Steuerberater nur in steuerlichen Angelegenheiten, „nicht aber in Kinderbetreuungsangelegenheiten“ bevollmächtigt und dieser ohne ihr Zutun die zur Überschreitung der Zuverdienstgrenze im Jahr 2006 führenden Vorgänge gesetzt haben sollte und ihr das behauptete Auftreten von „Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Steuerberater“ nicht anzulasten wäre, so wären diese Umstände allenfalls geeignet, das Fehlen eines ein Verschulden (bzw mangelnder Obsorge in eigenen Angelegenheiten) begründendes Verhalten auf Seite der Klägerin zu illustrieren, jedoch könnte daraus nicht auf eine Unvorhersehbarkeit der Vorgänge und der daraus resultierenden Einkommensschwankungen im Jahr 2006 geschlossen werden. Die Klägerin sei gemäß § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen verpflichtet, wenn sich ohne ihr Verschulden aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ergebe, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Fragen der Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und des zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nur einzelfallbezogen gelöst werden können und sich das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung an der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs orientiert habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, wegen Vorliegens sekundärer Feststellungsmängel zulässig und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

1. Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 8 KBGG) der Klägerin für das Jahr 2006 nunmehr unbestritten 14.864,74 EUR beträgt und daher die maßgebende Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR um 264,74 EUR (= 1,8 %) überschritten wurde. Bei der Berechnung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG wurde berücksichtigt, dass Einkünfte aus Betätigungen, die Grundlage für Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Sozialversicherung darstellen, um die darauf entfallenden vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu erhöhen sind. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Zuverdienstgrenze überschritten wurde, sind daher den Einkünften aus unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung hinzuzurechnen.

1.1 Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 31/10x (SSV-NF 24/37) näher ausgeführt hat, beruht das System der Berechnung des Zuverdienstes bei sozialversicherungspflichtigen Einkünften auf der Überlegung, dass man von der Steuerbemessungsgrundlage (Bruttoeinkünfte minus Sozialversicherungsbeiträge) ausgeht und dann die Sozialversicherungsbeiträge wieder hinzuschlägt, sodass die Sozialversicherungsbeiträge in der Regel einen Durchlaufposten darstellen. So bilden bei einer Einzelunternehmerin - wie der Klägerin - die Beiträge zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung nach dem GSVG Betriebsausgaben nach § 4 Abs 4 Z 1 lit a EStG 1988. Bei den in dem betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen und gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich somit um steuermindernde Ausgaben; daher werden auch die in diesem betreffenden Jahr (des Leistungsbezugs) vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge wieder hinzugeschlagen. Der Klägerin war während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes im Jahr 2006 naturgemäß die Höhe der ihr von der beklagten Partei in diesem Jahr vorgeschriebenen und von ihr bezahlten Sozialversicherungsbeiträge bekannt, sodass ihr auch eine laufende Zuverdienstberechnung im Hinblick auf die Zuverdienstgrenze des KBGG möglich war (vgl 10 ObS 31/10x, SSV-NF 24/37).

2. Gemäß § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG ist der Empfänger einer Leistung nach dem KBGG auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat.

2.1 Nach § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-VO idF BGBl II 2004/91 ist in Fällen einer geringfügigen (= nicht mehr als 15 % übersteigenden), unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze auf die Rückforderung zu verzichten. Es ist im vorliegenden Fall unbestritten, dass eine bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze im Sinne der Härtefälleverordnung vorliegt. Es ist zwischen den Parteien nur noch strittig, ob diese bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze „unvorhersehbar“ war.

2.2 Es wurde in der Rechtsprechung bereits dargelegt, dass die beiden für das Bestehen eines Härtefalls erforderlichen Voraussetzungen auf das Vorliegen unterschiedlicher Kriterien abstellen, nämlich einerseits auf die objektive Höhe der Überschreitung der Grenzbeträge und andererseits auf die subjektive Vorhersehbarkeit bzw Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Grenzbeträge für den Leistungsempfänger (10 ObS 186/10s ua). Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber nicht den Begriff „unvorhergesehen“, der die konkreten subjektiven Verhältnisse des Leistungsempfängers ansprechen würde, sondern den Begriff „unvorhersehbar“, der auf objektive Gesichtspunkte abstellt, verwendet hat. Das Kriterium der „Unvorhersehbarkeit“ ist daher dann gegeben, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines (objektiv) zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte (vgl RIS-Justiz RS0124751). Als „unvorhersehbar“ wurden daher in der Rechtsprechung beispielsweise nicht zu erwartende Einkünfte, wie etwa die Entlohnung für Supplierstunden, die von einer Lehrerin überraschend gehalten werden mussten (vgl 10 ObS 143/09s, SSV-NF 23/66; 10 ObS 145/09k), oder Überstunden, die wegen der Kündigung einer Arbeitskollegin überraschend geleistet werden mussten und nicht wie üblich durch Zeitausgleich abgegolten wurden (10 ObS 156/09b), beurteilt. Hingegen wurde die Argumentation, die Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei subjektiv unverschuldet erfolgt, weil die Leistungsempfängerin auf eine unrichtige oder missverstandene Rechtsauskunft der beklagten Gebietskrankenkasse, eines Steuerberaters oder des Arbeitgebers vertraut habe (vgl 10 ObS 31/11y; 10 ObS 37/11f ua), unter Hinweis auf die verschuldensunabhängige Rückzahlungsverpflichtung nach § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG nicht anerkannt. Die Frage der Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und auch des zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs kann nur einzelfallbezogen beurteilt werden (RIS-Justiz RS0124751 [T2]).

2.3 „Unvorhersehbar“ ist eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze somit dann, wenn diese Überschreitung von einem Menschen mit gewöhnlichen geistigen Fähigkeiten auch unter Bedachtnahme auf die ihm zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass den Leistungsbezieher eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte trifft und der Gesetzgeber die Möglichkeit eines Verzichts auf den Bezug von Kinderbetreuungsgeld für bestimmte Zeiträume (§ 5 Abs 6 KBGG) geschaffen hat (vgl zuletzt 10 ObS 60/12i mwN).

3. Zutreffend macht die Klägerin in ihren Revisionsausführungen (auch) geltend, dass die Frage der „Unvorhersehbarkeit“ der Überschreitung der Zuverdienstgrenze im Hinblick auf die vom Erstgericht nur sehr kursorisch getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden könne. So habe sie die aus ihrer unselbständigen (gemeint: selbständigen) Erwerbstätigkeit zu erwartenden Einkünfte geprüft und im Hinblick auf die ihr zugegangenen Vorschreibungen an Sozialversicherungsbeiträgen grundsätzlich auch richtig kalkuliert. Sie habe davon ausgehen können, dass die ihr für das Jahr 2006 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge von ihrem nur in steuerlichen Angelegenheiten bevollmächtigten Steuerberater bei der Einkommensteuererklärung auch im vollen Umfang in Ansatz gebracht würden. Mit dem Umstand, dass ihr Steuerberater ohne ihr Zutun und Wissen im Rahmen der Einkommensteuererklärung nachträglich anstatt der ihr für 2006 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge von 12.658,20 EUR durch Auflösung einer Rückstellung von Sozialversicherungsbeiträgen für 2004 und Dotierung einer Rückstellung für 2006 an Sozialversicherungsaufwand nur 9.606,20 EUR als Werbungskosten geltend gemacht habe und es dadurch zu einer Überschreitung der Zuverdienstgrenze gekommen sei, habe sie nicht rechnen müssen.

3.1 Die Klägerin begehrt in diesem Zusammenhang ergänzende Feststellungen dahin, dass sie keine Kenntnis von der von ihrem nur in steuerlichen Angelegenheiten bevollmächtigten Steuerberater vorgenommenen zweckentfremdeten Verwendung von für das Jahr 2006 vorgeschriebenen und von ihr auch bezahlten Sozialversicherungsbeiträgen (für frühere Zeitperioden) gehabt habe, ihr dies auch aus ihrer Einkommensteuererklärung (bzw dem entsprechenden Steuerbescheid) für 2006 objektiv nicht erkennbar gewesen sei und sie diesbezüglich von ihrem Steuerberater auch nicht belehrt worden sei. Mit diesen begehrten Feststellungen zeigt die Klägerin zutreffend für die Beurteilung der Frage der Vorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze wesentliche Umstände auf, wie insbesondere die Frage, ob und inwieweit sie über die geschilderte Vorgangsweise des Steuerberaters Bescheid gewusst hat. Der Ansicht des Berufungsgerichts, die Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei für die Klägerin schon deshalb vorhersehbar gewesen, weil es keineswegs untypisch sei, wenn ein Steuerberater zur Erzielung eines Steuervorteils im Rahmen von Steuererklärungen Rückstellungen aus periodenfremden Jahren auflöse bzw Sozialversicherungsbeiträge aus einem Jahr für periodenfremde Zeiträume verwende, kann nach Ansicht des erkennenden Senats in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Diese Ansicht wäre nur dann berechtigt, wenn es für die Klägerin konkrete Anhaltspunkte für eine solche mögliche Vorgangsweise des Steuerberaters gegeben hätte. Zu all diesen entscheidungswesentlichen Fragen bedarf es konkreter Feststellungen durch das Erstgericht.

3.2 Sollte eine Vorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze für die Klägerin auch nach Vorliegen dieser notwendigen ergänzenden Feststellungen bejaht werden, werden vom Erstgericht auch konkrete Feststellungen zu dem weiteren Einwand der Klägerin zu treffen sein, die trotz gegenteiliger Zusicherung verzögerte Zahlung der beiden Rechnungsbeträge im Jänner 2006 habe ebenfalls eine für sie unvorhersehbare Überschreitung der Zuverdienstgrenze bewirkt. Es werden dabei insbesondere Feststellungen darüber zu treffen sein, wann und mit welchem Zahlungsziel die beiden Rechnungen ausgestellt wurden und ob es besondere atypische Umstände dafür gegeben hat, dass sich der von der Klägerin noch für das Jahr 2005 erwartete Zahlungseingang unerwartet auf das Folgejahr verschoben hat (vgl dazu 10 ObS 208/09z).

Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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