OGH 14Os80/12i

OGH14Os80/12i25.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scheickl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 23. Februar 2012, GZ 13 Hv 109/11z-54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef S***** zu (I) und (II/1) je eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB sowie mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I und II/1) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II/2), weiters mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III) und der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er in S*****

(I) zu nicht näher bekannten Zeitpunkten zwischen September 2003 und Juli 2005 zweimal mit einer unmündigen Person, nämlich seiner zu den Tatzeitpunkten zehn- bis zwölfjährigen Enkeltochter Stefanie L*****, eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen, indem er einen Finger in ihre Scheide einführte, wobei die Taten eine schwere Verletzungsfolge des Opfers in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung mit über vierundzwanzig Tage dauernder Gesundheitsschädigung zur Folge hatten;

(II) von November 2007 bis November 2009 in zahlreichen Fällen mit einer unmündigen Person, nämlich mit oder an seiner zu den Tatzeitpunkten fünf- bis siebenjährigen Enkeltochter Melanie L*****

1) den Beischlaf und diesem gleichzusetzende Handlungen unternommen, indem er seinen Penis, seine Finger und verschiedene - im Urteil näher bezeichnete - Gegenstände in die Scheide und den Anus des Opfers einführte, wobei die Taten eine schwere Verletzungsfolge des Opfers in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung mit über vierundzwanzig Tage dauernder Gesundheitsschädigung zur Folge hatten;

2) geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er seinen Penis gegen ihren Anal- oder Genitalbereich drückte;

(III) durch die zu (I) und (II) beschriebenen Taten wiederholt geschlechtliche Handlungen mit minderjährigen, mit ihm in absteigender Linie verwandten Personen vorgenommen;

(IV) pornographische Darstellungen einer minderjährigen Person, nämlich seiner Enkeltochter Melanie L***** hergestellt, indem er die zu (II) beschriebenen geschlechtlichen Handlungen an dieser fotografierte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen ist gemäß § 127 Abs 3 StPO nur dann vorgesehen, wenn sich die dort beschriebenen Mängel von Befund oder Gutachten durch Befragung des bereits bestellten Sachverständigen nicht beseitigen lassen. Den Antrag auf „Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Fachgebiet der forensischen Psychologie“ zum Beweis dafür, dass die angelasteten Taten keine schweren Verletzungsfolgen der beiden Opfer zur Folge gehabt hätten (ON 53 S 12 f), begründete die Verteidigung im Wesentlichen damit, dass die vom Gericht beigezogene psychologische Sachverständige ihr Gutachten bloß „auf allgemeine Überlegungen“ ohne „unmittelbare Befundaufnahme“ im Sinn „einer exakten wissenschaftlichen Exploration“ erstellt habe. Überdies liege ein „(e)klatanter Widerspruch“ des (bereits im Ermittlungsverfahren eingeholten [ON 36]) Gutachtens vor, weil die Sachverständige bei einer weiteren Schwester der beiden Opfer - hinsichtlich derer im Ermittlungsverfahren ebenfalls (letztlich nicht zur Anklage gelangte) Vorwürfe sexuellen Missbrauchs durch den Beschwerdeführer untersucht worden waren - „ebenso schwere Verletzungsfolgen begutachtet hat“, obwohl bei dieser „keinerlei sexueller Missbrauch festgestellt werden konnte“. Schließlich sei nach Meinung der Sachverständigen eine anteilsmäßige Festlegung der (jeweiligen) Kausalität selbst erlittener Missbrauchshandlungen und des miterlebten späteren Missbrauchs an ihrer Schwester für die bei Stefanie L***** diagnostizierten Verletzungsfolgen nicht exakt möglich; deren strafrechtliche Zurechnung sei nach dem Antragsvorbringen daher „nicht zulässig“.

Unmittelbar nach der Antragstellung hat die Sachverständige zu den von ihr bei der Untersuchung beider Opfer angewandten wissenschaftlichen Methoden Stellung genommen. Überdies hat sie (mit Bezug auf die bei der dritten Schwester diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung) darauf hingewiesen, dass jedes Kind (je nach Persönlichkeit) unterschiedlich auf eine „Intimsverletzung“ reagiere, somit (sinngemäß) aus einem Krankheitsbild kein verlässlicher Rückschluss auf (die Intensität von) Missbrauchshandlungen möglich sei (ON 53 S 13 f).

Nach diesen Ausführungen erstattete die Verteidigung kein weiteres Vorbringen dahingehend, dass Mängel (im Sinn des § 127 Abs 3 StPO) unausgeräumt geblieben wären, weshalb dem Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen - der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider - zu Recht nicht entsprochen wurde (RIS-Justiz RS0102833 T2, RS0117263).

Da - von der Sachverständigen unmissverständlich bejahte (vgl ON 53 S 12) - Mitkausalität des vorgeworfenen Verhaltens für die eingetretenen (schweren) Verletzungsfolgen für deren strafrechtliche Zurechnung ausreicht (13 Os 114/11f; 15 Os 9/11d; RIS-Justiz RS0091997), betraf die Kritik an unterbliebener Aufschlüsselung von „Kausalitätsanteilen“ im Gutachten keine erhebliche Tatsache. Das Unterbleiben weiterer Beweisaufnahme zu diesem Thema kann daher aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO nicht aufgegriffen werden (RIS-Justiz RS0118319).

Soweit die Mängelrüge (Z 5) Elemente des Referats der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) als undeutlich (erster Fall) oder nicht begründet (vierter Fall) kritisiert, verfehlt sie den in den Feststellungen und deren Begründung gelegenen gesetzlichen Bezugspunkt dieses Nichtigkeitsgrundes (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 393). Im Übrigen ist die Tatzeit in der Regel - wie auch hier, da weder Verjährung noch das Schutzalter der Opfer fraglich sind - keine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0098557), weshalb dazu getroffene Aussagen auch aus diesem Grund als Gegenstand einer Mängelrüge nicht in Betracht kommen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 und 406).

Der Einwand, die Feststellungen zu den Verletzungsfolgen und zur (Mit-)Kausalität der vorgeworfenen Missbrauchshandlungen seien offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), weil sich das Schöffengericht „mit einem lapidaren Beweis auf das Gutachten“ begnüge und sich „jeglicher eigenständiger Begründung über die Richtigkeit der vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen enthält“, übergeht die beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter, weshalb diese das Gutachten für stichhältig erachteten (US 5 f). Dass diese Überlegungen gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze verstoßen (RIS-Justiz RS0118317), vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen. Unter diesen Umständen hat das Erstgericht seiner Begründungspflicht durch Verweis auf das Gutachten entsprochen (RIS-Justiz RS0099508).

Die Kritik an den (im Übrigen plausiblen) Ausführungen der Tatrichter zur gutachterlichen Diagnose hinsichtlich der dritten Schwester der beiden Tatopfer (US 6) betrifft - wie aus dem zur Verfahrensrüge (Z 4) Gesagten folgt - keine entscheidende Tatsache und bedarf daher keiner Erwiderung.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5a) spricht großteils keine entscheidenden Tatsachen an (vgl RIS-Justiz RS0118780):

Der Einwand fehlender Aufschlüsselung von Anteilen mehrerer, für die Verletzungsfolgen der Stefanie L***** kausaler Faktoren wurde bereits beantwortet.

Für die Annahme der Qualifikation des § 206 Abs 3 erster Fall StGB ist es ohne Bedeutung, ob die Verletzungsfolge mit einer - hinreichend deutlich festgestellten (US 3 f; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) - länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung einhergeht oder im Sinn des § 84 Abs 1 StGB „an sich schwer“ ist.

Auch die Kritik (der Sache nach Z 5 erster Fall) an unterbliebener zahlenmäßiger Festlegung der zu (IV) angelasteten Taten betrifft keinen entscheidenden Umstand, weil diese Taten im Sinn einer gleichartigen Verbrechensmenge nur pauschal individualisiert wurden (RIS-Justiz RS0117436; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33 und 576). Aus einer derartigen Zusammenfassung allenfalls (später) resultierende Zweifel im Hinblick auf das angesprochene Verfolgungshindernis des „ne bis in idem“ würden ohnehin zu Gunsten der Annahme eines solchen ausschlagen (RIS-Justiz RS0119552 T8 und T10).

Mit eigenständigen Beweiswerterwägungen zu vom Erstgericht erörterten (US 5) Unsicherheiten der Zeugin Stefanie L***** bei der Angabe der Anzahl der von ihr erlittenen Übergriffe (vgl ON 21 S 3) weckt der Beschwerdeführer schließlich zum Schuldspruch (I) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0099674).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

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