OGH 14Os100/12f

OGH14Os100/12f25.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scheickl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Javier F***** wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 12 zweiter und dritter Fall, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 11 HR 233/11b des Landesgerichts Ried im Innkreis, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 13. August 2012, AZ 8 Bs 151/12f (ON 257), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Javier F***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Nachdem in dem damals zu AZ 2 St 209/10y (nun AZ 2 St 199/11d) der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis geführten Auslieferungsverfahren zur Strafverfolgung in Guatemala die Auslieferung des guatemaltekischen Staatsangehörigen Javier F***** mit - seit 6. Dezember 2011 rechtskräftigem (ON 89) - Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 18. Oktober 2011, GZ 11 HR 168/10t-69, für unzulässig erklärt, die über ihn verhängte - von 23. Mai 2011 bis 27. Mai 2011 und von 21. Juni 2011 bis 6. Dezember 2011 andauernde (ON 18, 27, 31, 34, 38, 47, 52, 69) - Auslieferungshaft aufgehoben (ON 89) und ein Inlandsverfahren wegen mehrerer Verbrechen des Mordes nach §§ 12 zweiter und dritter Fall, 75 StGB gegen den Genannten eingeleitet worden war (ON 1 S 49 ff), verhängte das Landesgericht Ried im Innkreis am 7. Dezember 2012 über ihn die Untersuchungshaft aus dem Grund des § 173 Abs 1 und Abs 6 StPO (ON 82) und setzte diese zuletzt mit Beschluss vom 20. Juli 2012 (ON 229) aus demselben Haftgrund fort (vgl auch die Erkenntnisse des Obersten Gerichtshofs vom 6. März 2012 zum AZ 14 Os 22/12k und vom 9. Mai 2012 zum AZ 14 Os 49/12f).

Mit der angefochtenen Entscheidung (ON 257) gab das Oberlandesgericht Linz seiner Beschwerde (ON 231) gegen diesen Beschluss nicht Folge und ordnete erneut die Haftfortsetzung gemäß § 173 Abs 1 und Abs 6 StPO an.

Dabei erachtete es Javier F***** weiterhin dringend verdächtig, er habe am 25. September 2006 in Guatemala zur Erschießung von sieben - in der angefochtenen Entscheidung namentlich genannten - Häftlingen nach deren gezielter Verbringung in einen gesonderten Bereich der Gefängnisanlage P***** Guatemala durch bislang unbekannte Personen (psychisch) beigetragen, indem er in seiner Funktion als Unterdirektor der Nationalen Zivilpolizei und nach vorangegangener Teilnahme an mehreren Einsatztreffen die unmittelbare Tatausführung in Kenntnis des gesamten Tatplans vor Ort „mitüberwacht und mitgelenkt habe“ (BS 2).

In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten sieben Verbrechen des Mordes nach §§ 12 dritter Fall, 75 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde, die in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO (vgl RIS-Justiz RS0110146) die Annahme des dringenden Tatverdachts bestreitet, kommt keine Berechtigung zu.

Das Beschwerdegericht ging auf Basis der dem seinerzeitigen Auslieferungsersuchen der Republik Guatemala angeschlossenen Unterlagen und den in weiterer Folge von den guatemaltekischen und spanischen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Dokumentationen davon aus, dass die sieben getöteten Häftlinge in Entsprechung des geheimen Teils eines strategischen Plans mit dem Namen „Pavo Real“, der deren Identifizierung und außergerichtliche Hinrichtung zum Inhalt hatte, gezielt - also nicht aufgrund deren Gegenwehr - im Rahmen des offiziellen Einsatzes zur Wiedererlangung der staatlichen Kontrolle über die Gefängnisanlage erschossen wurden. Diese höhergradige Verdachtsannahme gründete es unter anderem auf die nachträgliche Manipulation des Tatorts, die völlig unzureichende behördliche Spurensicherung, die plausiblen Schlussfolgerungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen aus den Verletzungsbildern, eine Videoaufzeichnung und weiters darauf, dass keine einzige Sicherheitskraft bei dem Einsatz verletzt wurde und (soweit aktenkundig) Schusswaffen oder Sprengmittel bei den Insassen der Gefängnisanlage nicht aufgespürt wurden (BS 4 f).

Die weitere Annahme höherer Wahrscheinlichkeit, der Beschwerdeführer sei - entgegen seiner Verantwortung - in Kenntnis dieses Vorhabens gewesen und habe dieses gebilligt, stützte das Beschwerdegericht auf seine hochrangige Funktion innerhalb der guatemaltekischen Polizeihierarchie (BS 4), seine Einbindung in den engsten Führungszirkel und seine - vom Zeugen Luis L***** geschilderte - Anwesenheit bei einer Sitzung am Nachmittag des 24. September 2006, an der mutmaßlich an der außergerichtlichen Hinrichtung sonst beteiligte (teils namentlich genannte) Personen teilnahmen und die ausschließlich dazu gedient habe, die auf einer Liste angeführten 25 einflussreichsten Häftlinge, die ermordet werden sollten, zu identifizieren, seiner - ebenfalls vom genannten Zeugen berichteten - Anwesenheit während des Einsatzes an jenem Ort, an dem mutmaßlich alle sieben Häftlinge, nachdem sie gezielt dorthin deportiert worden waren und nach den Aussagen mehrerer Zeugen zu keiner Zeit bewaffneten Widerstand geleistet hatten, den Tod fanden (BS 4).

Aus einer vernetzten Betrachtung dieser Umstände und den Schilderungen der Zeugen Leonel C***** und Luis L***** zu seinem Verhalten während und unmittelbar nach der Tatausführung (wonach er etwa zwei Personen anwies, einen der später getöteten Häftlinge stellig zu machen, weiters Victor S***** nach dessen Bericht über die gelungene Tötung eines weiteren Häftlings auf die Schulter klopfte, das - von ihm beobachtete - Geschehen in einem Gespräch mit Victor S***** und einer weiteren Person als „lustiges Fest“ bezeichnete, sich bei „seinen Getreuen“ erkundigte, ob „es ausreicht, was er trägt“, nachdem ein vermummter Polizist neben der Leiche eines getöteten Häftlings - zum „Beweis“ für dessen Gegenwehr - eine Handgranate deponiert hatte, auf Schüsse in einem Haus, das er - nachdem einer der ermordeten Häftlinge hineingeführt worden war - verlassen hatte, nicht reagierte und schließlich seinen Leibwächtern am Tag nach den inkriminierten Vorfällen ein Schweigegebot auferlegt hat; BS 5), leitete das Beschwerdegericht seine Überzeugung (im Sinn einer dringenden Verdachtslage) ab, dass der Beschwerdeführer in Kenntnis des Geheimplans und der inkriminierten Absichten durch Bestärkung der unmittelbaren Täter im Tatentschluss zur faktischen Umsetzung des gemeinschaftlichen Vorhabens, nämlich der gezielten Tötung der Häftlinge, beigetragen hat (BS 3 ff).

Einzelne dieser vom Beschwerdegericht angeführten erheblichen Umstände, die erst in ihrer Zusammenschau die Grundlage für die bekämpften Annahmen bilden, können isoliert unter dem Aspekt der Z 5 nicht bekämpft werden, soweit das Gericht darin nicht - was hier nicht der Fall ist - erkennbar eine notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt haben (RIS-Justiz RS0116737).

Schon deshalb scheitert die mit dem Hinweis, dass in der nun angefochtenen Entscheidung die Erwägungen des Beschwerdegerichts vom 5. Jänner 2012, AZ 8 Bs 416/11z (ON 98a), „weiterhin aufrecht erhalten“ wurden (BS 2), verknüpfte Behauptung einer Divergenz (nominell Z 5 dritter Fall), weil das Beschwerdegericht aus der Aussage des ehemaligen Leibwächters Leonel C***** (ON 12 S 67) einerseits auf ein einmaliges Treffen im Haus des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Plan „Pavo Real“ geschlossen (ON 98a S 5) und an anderer Stelle (BS 6) eine in diesem Sinn getätigte Aussage dieses Zeugen verneint habe (BS 6).

Im Übrigen ist es auch gar nicht entscheidend, ob das vom Zeugen Leonel C***** geschilderte Treffen im Haus des Beschwerdeführers (vgl die dem Auslieferungsbegehren der Republik Guatemala angeschlossene Zusammenfassung von Zeugenaussagen; ON 12 S 67) oder - entsprechend der wörtlich übersetzten Aussage dieses Zeugen (ON 157 S 3) - im Haus eines damaligen Ministers der Republik Guatemala stattgefunden hat (ON 157 S 3).

Dem weiteren Einwand zuwider ist das Beschwerdegericht bei Begründung des Tatverdachts stets von ehemalig hochrangiger Funktion des Beschwerdeführers innerhalb der guatemaltekischen Polizeihierarchie ausgegangen (ON 98a S 5) und hat bloß ergänzend angeführt, dass es auf dessen „konkretere“ Position nicht ankomme (BS 4).

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) ist gegeben, wenn der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (vgl RIS-Justiz RS0099431). Die Aussage des Luis L*****, wonach an einer Sitzung am 24. September 2006 neben ihm und dem Beschuldigten fünf weitere, von ihm teils namentlich genannte Personen teilnahmen (ON 182 S 169), ist mit der Formulierung des Beschwerdegerichts, Genannter sei zu einem „exclusiven“ Zirkel beordert worden, aktenkonform wiedergegeben worden. Ob es sich bei einem der dabei Anwesenden um den zweiten der Brüder B***** handelte, ist erneut nicht entscheidend, sodass auch der Einwand, Luis L***** habe Diesbezügliches bloß vermutet (ON 182 S 169) und nicht wie vom Beschwerdegericht angenommen geschildert (BS 4), ins Leere geht. Ob bei dieser Gelegenheit ein Album mit Fotos jener 25 Häftlinge vorgezeigt wurde, die getötet werden sollten, ist nicht relevant.

Ein Widerspruch zwischen der Verdachtsannahme, großteils vermummte, modern bewaffnete Mitglieder einer Sondertruppe hätten die Häftlinge laut Schilderungen von Zeugen an einen unbekannten Ort gebracht (BS 3 f) und den weiteren - auf der Aussage des Zeugen Luis L***** basierenden - Ausführungen, wonach an einer Sitzung am 24. September 2006 jene Personen teilnahmen, die später allein in das „luxuriöse“ Haus des Batres P***** eindrangen und sodann während des gesamten Einsatzes an jenem Ort beliebig ein- und ausgingen, liegt nicht vor.

Indem die Beschwerde auf Basis eigener Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Beweisergebnissen behauptet, es wäre nicht allein der Beschwerdeführer mit anderen in das Haus des Batres P***** eingedrungen, sondern „acht bewaffnete Personen (aus der Mannschaft von R*****)“, wendet sie sich - außerhalb der Anfechtungskategorien (vgl RIS-Justiz RS0110146 sowie RS0116737) - gegen die (vorläufige) Beweiswürdigung.

Dass es unerheblich ist, wer die unmittelbaren Täter waren, die der Beschwerdeführer im Tatentschluss bestärkt haben soll, räumt die Rüge selbst ein, weshalb der nominell unter dem Aspekt von Aktenwidrigkeit gegebene Hinweis, dass nach der Aussage des Leonel C***** ein Täter, nämlich Victor S*****, bekannt ist, auf sich beruhen kann.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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