OGH 11Ns60/12f

OGH11Ns60/12f25.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Karlicek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Fevzi C***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 15 Hv 103/12f des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über Vorlage durch das Oberlandesgericht Graz, AZ 10 Ns 23/12f, gemäß §§ 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz, 215 Abs 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.

Text

Gründe:

Mit Anklageschrift vom 12. Juli 2012 (ON 16 der Hv-Akten) legt die Staatsanwaltschaft Graz Fevzi C***** die Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (1 und 2), das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (3) sowie das Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (4) zur Last.

Danach ist er verdächtig,

(1) am 4. Juli 2012 in Graz Ilknur D***** dadurch, dass er sie an der Hand erfasste und sie aufforderte, „ruhig“ zu sein, sonst werde er sie „schlagen und umbringen“, sohin durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper dazu genötigt zu haben, in einen Zug nach St. Pölten zu steigen;

(2) am 4. Juli 2012 während der Fahrt im Zug nach St. Pölten Ilknur D***** durch die Äußerung: „Ich töte dich, sei leise, sag keinem was, bleib still und ruhig“, sohin durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, nämlich zum Schweigen gegenüber zwei kontrollierenden Polizeibeamten genötigt zu haben;

(3) am 5. Juli 2012 in St. Pölten Ilknur D***** durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Gewalt zur Duldung des vaginalen Beischlafs genötigt zu haben, indem er sie in einem Zimmer einer Pension einsperrte und den Schlüssel an sich nahm, ihr Schläge ins Gesicht versetzte, sie mehrmals zu Boden stieß, an den Haaren riss, an den Armen erfasste, auf ein Bett warf und entkleidete sowie den vaginalen Beischlaf bis zum Samenerguss an ihr vollzog;

(4) am 5. Juli 2012 in St. Pölten und in Wien Ilknur D***** dadurch die persönliche Freiheit entzogen zu haben, dass er ihr nach der in Anklagepunkt (3) beschriebenen Tat von etwa 01:30 Uhr bis 11:30 Uhr das Verlassen der Pension verbot und ihr erst (zu ergänzen [ON 16 S 6]: um 14:00 Uhr nach einer gemeinsamen Zugfahrt nach Wien) am Bahnhof Wien-Meidling die Rückfahrt nach Graz erlaubte.

Nach Ablauf der Frist zur Erhebung eines Einspruchs gegen die Anklageschrift - ein solcher wurde nicht eingebracht - legte der Vorsitzende die Akten wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz StPO dem Oberlandesgericht Graz vor. Mit Beschluss vom 9. August 2012, AZ 10 Ns 23/12f, sprach dieses aus, dass die Anklageschrift keinen Mangel im Sinne des § 212 Z 1 bis 4 und 7 StPO aufweise, und legte (nach Prüfung auch der aufrechten Untersuchungshaft [10 Bs 355/12z] - vgl 11 Ns 54/12y) - da es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei - die Akten seinerseits gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz (iVm § 213 Abs 6 dritter Satz) StPO dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

Dieser hat erwogen:

Nach § 37 Abs 1 StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zuständig (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Kommen mehrere untereinander gleichrangige Gerichte für die gemeinsame Verfahrensführung in Frage, richtet sich die Zuständigkeit gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO grundsätzlich nach der früheren Straftat. Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist - unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge der Taten - dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO). Der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO normiert somit eine - der Verfahrensökonomie dienende - Ausnahme zum zweiten Satz dieser Bestimmung, lässt aber deren ersten Satz unberührt (RIS-Justiz RS0124935, RS0125227).

Dies hat im Gegenstand zur Folge, dass die den Anklagepunkten (1), (2) und (4) zu Grunde liegenden, teils im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Graz begangenen Taten für die Bestimmung der Zuständigkeit des Zusammenhangs bedeutungslos sind, weil diese Vorwürfe die Kompetenz des Einzelrichters des Landesgerichts nach sich ziehen (§ 31 Abs 4 StPO), während (nur) das von Punkt (3) der Anklageschrift umfasste Tatgeschehen schöffengerichtliche Zuständigkeit begründet (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO). Da diese Tat aber nach der Aktenlage (ON 2 S 3 verso f) ausschließlich in ein und demselben Sprengel, nämlich in dem des Landesgerichts St. Pölten, und nicht (auch) im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Graz begangen wurde, kommt die Ausnahmebestimmung des § 37 Abs 2 dritter Satz StPO nicht zum Tragen, obwohl die Staatsanwaltschaft Graz das Ermittlungsverfahren führte.

Die Sache war daher dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln.

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