OGH 10Ob33/12v

OGH10Ob33/12v10.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen K*****, geboren am 31. Dezember 1997, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirk 21, Am Spitz 1, 1210 Wien), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. Mai 2012, GZ 45 R 239/12y‑57, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 14. März 2012, GZ 16 PU 402/10d‑49, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Vater und Unterhaltsschuldner ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 10. 4. 2008, 16 P 270/07d‑U17, zur Zahlung eines erhöhten monatlichen Unterhaltsbetrags in Höhe von 210 EUR verpflichtet. Dieser Entscheidung liegt ein vom Vater zu erzielendes monatliches Nettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von 1.100 EUR zugrunde.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 14. 10. 2010, 16 P 269/10t‑U22, wurden die der Minderjährigen zuletzt gewährten monatlichen Unterhaltsvorschüsse von 210 EUR ab 1. 11. 2010 auf 29 EUR mit der Begründung herabgesetzt, dass der Unterhaltsschuldner ein Drogenproblem habe und deshalb den titelmäßig festgesetzten Unterhaltsbetrag nicht erbringen könne.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 16. 2. 2011 (ON 39) wurden die monatlichen Unterhaltsvorschüsse in eingeschränkter Titelhöhe von 29 EUR für den Zeitraum vom 1. 2. 2011 bis 31. 12. 2015 weiter gewährt.

Über Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers als Vertreter des Minderjährigen vom 31. 8. 2011 wurden diese bewilligten Unterhaltsvorschüsse von 29 EUR monatlich mit Beschluss des Erstgerichts vom 27. 9. 2011 (ON 43) ab 1. 6. 2011 auf Titelhöhe, also auf 210 EUR monatlich, erhöht. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Unterhaltsschuldner seit 15. 5. 2011 aus einer Erwerbstätigkeit ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1.087 EUR inklusive Sonderzahlungen beziehe, sodass ein monatlicher Unterhaltsbetrag in Höhe von 210 EUR wieder in seiner Leistungsfähigkeit liege.

Mit Schriftsatz vom 13. 1. 2012 (ON 44) teilte der Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 21 UVG mit, der Unterhaltsschuldner sei seit 15. 11. 2011 beim AMS gemeldet. Der Mitteilung wurde die Kopie eines Schreibens des AMS Wien vom 10. 1. 2012 beigelegt. Daraus ist ersichtlich, dass der Unterhaltsschuldner seit 15. 11. 2011 ein Arbeitslosengeld in Höhe von 18,36 EUR täglich zuzüglich eines Familienzuschlags in Höhe von 0,97 EUR täglich bezieht.

Mit Beschluss vom 18. 1. 2012 (ON 45) verfügte das Erstgericht die teilweise Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse von bisher 210 EUR monatlich mit Ablauf des Jänner 2012 und ordnete an, ein Betrag in Höhe von 30 EUR monatlich sei weiterhin auszuzahlen. Das Erstgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Unterhaltsschuldner seit 15. 11. 2011 Arbeitslosengeld in Höhe von 19,33 EUR täglich inklusive eines Familienzuschlags beziehe und im Hinblick auf das Drogenproblem des Unterhaltsschuldners dessen Leistungsfähigkeit geprüft werde.

Mit Beschluss vom 14. 3. 2012 (ON 49) setzte das Erstgericht die dem Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse ab 1. 2. 2012 auf 30 EUR monatlich herab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Anspannungsgrundsatz keine Anwendung finde, weil der Unterhaltsschuldner ein Drogenproblem habe und deshalb nicht in der Lage sei, den titelmäßig festgesetzten Unterhaltsbetrag zu erbringen. Da der Unterhaltsschuldner lediglich ein Arbeitslosengeld in Höhe von 18,36 EUR täglich zuzüglich Familienzuschlag für das unterhaltsvorschussbeziehende Kind in Höhe von 0,97 EUR täglich beziehe, könne der Unterhalt nur in der Höhe des Familienzuschlags festgesetzt werden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, keine Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Im Rekurs des Minderjährigen werde auch nicht geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltsschuldners auf sein bisheriges Einkommen von ca 1.100 EUR monatlich vorliegen. Dem erstmals im Rekurs erstatteten Vorbringen, der Unterhaltsschuldner habe Anspruch auf Mindestsicherung in Höhe von zumindest 773 EUR monatlich und es sei ihm daher die Leistung eines monatlichen Unterhalts von 91 EUR finanziell zumutbar, hielt das Rekursgericht entgegen, dass es sich dabei um eine iSd § 49 Abs 2 AußStrG unzulässige Neuerung handle. Der Rekurswerber lasse offen, weshalb er nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen habe, dass der Unterhaltsschuldner sämtliche Voraussetzungen für die Erlangung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung erfülle. Unabhängig von dem im Herabsetzungsverfahren nach § 19 Abs 1 UVG geltenden Untersuchungsgrundsatz hätte der Minderjährige bereits im erstinstanzlichen Verfahren Gründe für die Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse in bisheriger Höhe vortragen müssen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur erheblichen Rechtsfrage der amtswegigen Anspannung eines Unterhaltspflichtigen mit einem monatlichen Einkommen unter der Bedarfsorientierten Mindestsicherung auf die Höhe des Bezugs dieser Mindestsicherung noch keine Rechtsprechung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass ein Unterhaltsvorschuss von zumindest 91 EUR monatlich weitergewährt werde.

Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Der Revisionsrekurswerber macht geltend, der Jugendwohlfahrtsträger habe als sein Vertreter dem Gericht gemäß § 21 UVG Mitteilung darüber gemacht, dass der Unterhaltsschuldner seit 15. 11. 2011 beim Arbeitsmarktservice gemeldet sei. § 21 UVG normiere nur eine Mitteilungspflicht des Jugendwohlfahrtsträgers, nicht aber eine verpflichtende Stellungnahme des Jugendwohlfahrtsträgers zum Inhalt der Mitteilung. Das Erstgericht hätte die erforderlichen Beweise von Amts wegen aufnehmen müssen. Es liege auch ein vom Rekursgericht angenommenes Versäumnis nach § 49 Abs 2 AußStrG nicht vor, weil das Erstgericht die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse unzutreffend mit der Drogensucht des Unterhaltsschuldners begründet habe. Ein Vorbringen vor dem Zeitpunkt der Beschlussfassung sei dem Minderjährigen nicht möglich gewesen.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Die Mitteilungspflicht des § 21 UVG bezweckt, wegen der amtswegigen Überprüfungspflicht nach den §§ 19 Abs 1, 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG das Gericht von allen Umständen in Kenntnis zu setzen, die zu einer Herabsetzung, Einstellung oder bereits Versagung der Vorschüsse führen können. Die Mitteilungspflicht äußert sich in einer Obliegenheit zur Bekanntgabe von Tatsachen, die für den Vorschussbezug des Kindes nachteilig sein können. Ob es dann tatsächlich zu einer Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse durch das Gericht kommt, ist für die Mitwirkungspflicht irrelevant, weil der Anzeigepflichtige die konkreten Auswirkungen auf das Vorgehen des Gerichts nicht zu prüfen hat (10 Ob 61/08f ua; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 21 UVG Rz 1 mwN).

2. Es trifft zu, dass nach ständiger Rechtsprechung im Herabsetzungsverfahren ebenso wie im Einstellungsverfahren keine Einengung der Stoffsammlung wie im Bewilligungsverfahren nach § 11 UVG, sondern unbeschränkt der Stoffsammlungsgrundsatz (Untersuchungsgrundsatz) nach § 16 AußStrG gilt. Das Gericht hat die erforderlichen Beweise von Amts wegen aufzunehmen (vgl jüngst 10 Ob 14/12z mwN; Neumayr in Schwimann/Kodek aaO § 19 UVG Rz 7 mwN). Es hat daher nach § 16 Abs 1 AußStrG von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen aufgeklärt werden. Es haben aber nach § 16 Abs 2 AußStrG die Parteien vollständig und wahrheitsgemäß alle ihnen bekannten, für die Entscheidung des Gerichts maßgebenden Tatsachen und Beweise vorzubringen bzw anzubieten. Das Gericht ist nach ständiger Rechtsprechung nicht gehalten, jeden denkbaren, aber überhaupt nicht behaupteten Sachverhalt zu erforschen (6 Ob 159/11t mwN). Die Pflicht des Gerichts zur amtswegigen Prüfung des Sachverhalts endet dort, wo ein Vorbringen der Parteien gar nicht vorliegt (vgl 5 Ob 151/95, WoBl 1996/65, 202 mwN).

2.1 Im vorliegenden Fall hat der Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, im Verfahren erster Instanz trotz des Hinweises des Erstgerichts in seinem Beschluss auf teilweise Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse vom 18. 1. 2012 (ON 45), dass die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners geprüft werde, kein Vorbringen dahin erstattet, dass der Unterhaltsschuldner Anspruch auf Mindestsicherung habe. Ein solches Vorbringen wurde vom Minderjährigen erstmals in dem von ihm gegen den erstgerichtlichen Beschluss vom 14. 3. 2012 erhobenen Rekurs erstattet.

3. Erstmals im Rekurs vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel, die zur Zeit der Entscheidung erster Instanz bereits eingetreten bzw vorhanden waren, sind unbeachtlich, wenn sie von der Partei schon vor der Erlassung des Beschlusses vorgebracht werden hätten können, es sei denn, die Partei kann dartun, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung handelt (§ 49 Abs 2 AußStrG). Es wäre daher Sache des durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen Minderjährigen gewesen, schon im Rekurs schlüssig darzulegen, dass die Unterlassung eines Vorbringens in erster Instanz, wonach der Unterhaltsschuldner Anspruch auf Mindestsicherung habe, auf einer entschuldbaren Fehlleistung beruhe (vgl 1 Ob 74/12g; 10 Ob 7/11v jeweils mwN ua). Ein entsprechendes Vorbringen ist, wie bereits das Rekursgericht ausgeführt hat, dem Rekurs des Minderjährigen nicht zu entnehmen. Dass dazu erstmals im Revisionsrekurs erstattete Vorbringen, dem Rechtsmittelwerber habe die unzutreffende Begründung des Erstgerichts, der Unterhalt habe aufgrund der Drogenprobleme des Unterhaltsschuldners nur in der Höhe des Familienzuschlags festgesetzt werden können, damals noch nicht bekannt sein können, ist als unzulässige Neuerung unbeachtlich (vgl 1 Ob 74/12g mwN).

3.1 Das Rekursgericht hat das im Rekurs erstmals erstattete Vorbringen als gemäß § 49 Abs 2 AußStrG unbeachtliche Neuerung qualifiziert. Die Beantwortung der Frage, ob eine im Rechtsmittelverfahren unbeachtliche Neuerung vorliegt, geht in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus und begründet bei einer ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ jedenfalls vertretbaren Beurteilung durch das Rekursgericht keine erhebliche Rechtsfrage (2 Ob 126/10h mwN).

Da es somit einer Beurteilung der vom Rekursgericht als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG angesehenen Rechtsfrage nicht bedarf, war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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