OGH 8ObA70/11v

OGH8ObA70/11v26.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Günter Steinlechner und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** B*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Walch & Zehetbauer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 30.681,85 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2011, GZ 7 Ra 8/11i-20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 2 ASGG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Das Gericht hat einen von der klagenden Partei vorgebrachten Sachverhalt grundsätzlich nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, es sei denn, dass sich die Klage ausschließlich auf einen bestimmten Rechtsgrund stützt (RIS-Justiz RS0037580; RS0037593; RS0037432 [T4] uva).

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger in der ersten Instanz sein Begehren darauf gestützt, die Beklagte sei seine Dienstgeberin gewesen und er habe mit niemand anderem (wirksam) einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Sollte das von der Beklagten behauptete Leiharbeitsverhältnis dennoch gültig zustandegekommen sein, hafte sie mangels Zahlung nach § 14 AÜG für die klägerischen Ansprüche. Dieses Vorbringen begrenzte den Gegenstand der Sachverhaltsermittlung und rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen.

Der alternative Rechtsgrund einer gesetzlichen Haftung der Beklagten gemäß § 7a AVRAG wurde vom Kläger erstmals in der Berufung angesprochen.

Für das Erstgericht hätte aber nur dann Anlass zur amtswegigen Prüfung dieser Rechtsfrage bestanden, wenn der Kläger - zumindest in einem Eventualvorbringen - nicht nur das Bestehen eines Dienstvertrags zu einem ausländischen Unternehmen, sondern auch solche Tatsachen vorgebracht hätte, aus denen sich eine Tätigkeit mit tatsächlichem Schwerpunkt der Ausübung in Österreich, das Bestehen einer anwendbaren kollektivvertraglichen Mindestentgeltregelung und den Rahmen der Erfüllung eines Auftragsverhältnisses (Binder, AVRAG § 7a Rz 5 ff; Wolfsgruber in ZellKomm² I, § 7a AVRAG Rz 4) ableiten ließe. Das erstinstanzliche Vorbringen des Klägers entsprach diesen Anforderungen nicht, vielmehr war nach den getroffenen Feststellungen seine Tätigkeit als Pilot eines Bedarfsflugunternehmens international und überwiegend vom Flughafen Mailand aus zu verrichten. Unter diesen Umständen ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich bei dem erstmals in der Berufung angestrebten Wechsel der Anspruchsgrundlage um eine im Rechtsmittelverfahren unzulässige Neuerung handelte, jedenfalls vertretbar und nicht korrekturbedürftig.

2. Die Frage, ob der Inhalt eines Parteienvorbringens Anlass zu einer bestimmten Erörterung oder sogar zu einer Anleitung der - hier von Beginn an anwaltlich vertretenen - Partei durch das Erstgericht geben hätte müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und bildet keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0114544). Eine im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende grobe Fehlbeurteilung zeigt das Rechtsmittel nicht auf.

3. Die für den Obersten Gerichtshof bindende Feststellung, dass der Kläger den Abschluss eines direkten Vertrags mit der Beklagten zugunsten der Personalleasingvariante ausdrücklich abgelehnt hatte, lässt keinen Raum für die nachträgliche Konstruktion eines „faktischen Vertragsverhältnisses“ zwischen den Streitteilen.

4. Auch mit dem Revisionsvorbringen, der festgestellte Vertragsabschluss mit dem ausländischen Personalleasingunternehmen sei als Scheingeschäft nichtig, entfernt sich der Kläger vom festgestellten Sachverhalt, demzufolge die Wirkungen dieses Vertragsabschlusses zwischen den Parteien durchaus gewollt waren.

5. Da der Kläger nach den Ergebnissen der Vorinstanzen nicht Dienstnehmer der Beklagten war, stellte sich die Frage nach einer inländischen Beschäftigungsbewilligung und in weiterer Folge der Anwendbarkeit des § 29 AuslBG nicht.

Die vom Erstgericht getroffene Negativfeststellung zu der Frage, ob die Beklagte im betroffenen Zeitraum über eine Bewilligung für die Beschäftigung überlassener Arbeitskräfte aus dem Ausland (§ 16 Abs 3 AÜG) verfügte, belastet im vorliegenden Verfahren den Kläger als diejenige Partei, die sich auf das Fehlen einer derartigen Bewilligung berufen möchte.

6. Im Übrigen ist der Revision entgegenzuhalten, dass eine von ihr reklamierte Nichtigkeit sämtlicher Vertragsbeziehungen innerhalb des festgestellten Überlassungsdreiecks - aus welchem Rechtsgrund sie auch immer anzunehmen wäre - zwar gegebenenfalls bereicherungsrechtliche Ansprüche, aber nicht die Annahme eines Arbeitsverhältnisses zwischen Kläger und Beklagter nach sich ziehen könnte.

Da insgesamt die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vom Revisionswerber nicht dargelegt werden konnten, war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Stichworte