OGH 14Ns41/12h

OGH14Ns41/12h25.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juli 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in der Strafsache gegen Waldemar M***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 (erster Satz) StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 35 Hv 59/12v des Landesgerichts St. Pölten, über Vorlage durch das Oberlandesgericht Wien, AZ 18 Bs 265/12w, gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 60 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo. 2005) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0140NS00041.12H.0725.000

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.

Text

Gründe:

Mit der im Verfahren AZ 35 Hv 59/12v des Landesgerichts St. Pölten vorliegenden Anklageschrift (ON 61) legt die Staatsanwaltschaft Wels, die für das Ermittlungsverfahren zuständig war, Waldemar M***** als Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 (Abs 5 Z 4), Abs 2 (Abs 5 Z 4) und Abs 4 Z 1 iVm § 161 Abs 1 (erster Satz) StGB (1 und 2) und als das Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 Abs 1 (erster Satz) StGB (3) beurteilte Taten zur Last (ON 61).

Danach ist er ‑ soweit hier wesentlich ‑ verdächtig, er habe in St. Pölten als Geschäftsführer der H***** GmbH und der R***** GmbH

(3) von Jänner 2007 bis Mai 2009 die Befriedigung der Gläubiger der genannten Gesellschaften oder wenigstens eines von ihnen vereitelt oder geschmälert, und dadurch einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt, indem er wiederholt

3.1 durch Vortäuschung von Warenlieferungen und ‑leistungen im Wert von 1.130.268,19 Euro nicht bestehende Verbindlichkeiten vorschützte,

3.2 durch Barentnahmen von 75.000 Euro und einen Familienurlaub auf Kosten der Unternehmen im Wert von 12.886,50 Euro, das Vermögen der genannten Gesellschaften wirklich verringerte und

3.3 durch Verbringen eines Warenlagers im Wert von 570.000 Euro einen Bestandteil deren Vermögens beiseite schaffte.

Rechtliche Beurteilung

Ein Einspruch dagegen liegt nicht vor.

Der Akt wurde vom Vorsitzenden des Schöffengerichts wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts St. Pölten gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz StPO dem Oberlandesgericht Wien und von diesem ‑ weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei ‑ nach Verneinen des Vorliegens der in § 212 Z 1 bis 4 und 7 StPO genannten Einspruchsgründe (13 Ns 46/09g, EvBl 2009/137, 918) ‑ gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz (iVm § 213 Abs 6 dritter Satz) StPO dem Obersten Gerichtshof vorgelegt.

Nach § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist gemäß § 37 Abs 2 erster Satz StPO unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zuständig. Den Fall, dass für die gemeinsame Verfahrensführung mehrere untereinander gleichrangige Gerichte in Frage kommen, regelt §

37 Abs 2 StPO im zweiten und dritten Satz dahin, dass insoweit grundsätzlich die frühere Straftat zuständigkeitsbegründend wirkt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist ‑ unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge der Taten ‑ dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO). Der dritte Satz des §

37 Abs 2 StPO normiert somit eine ‑ der Verfahrensökonomie dienende ‑ Ausnahme zum zweiten Satz dieser Bestimmung, lässt aber den ersten Satz unberührt (RIS‑Justiz RS0124935, RS0125227).

Vorliegend hat zwar die Staatsanwaltschaft Wels das Ermittlungsverfahren geleitet; die Ausnahmebestimmung des § 37 Abs 2 dritter Satz StPO kommt mangels sich bei objektiver Betrachtung ergebenden Verdachts der Begehung schöffengerichtliche Zuständigkeit begründender (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO) Taten im Sprengel des Landesgerichts Wels nicht zum Tragen:

Insoweit legt die Staatsanwaltschaft Waldemar M***** die vorsätzliche Vereitelung der Befriedigung der Gläubiger der von ihm als Geschäftsführer vertretenen schuldnerischen Unternehmen im Ausmaß von mehr als 50.000 Euro zur Last, wobei sie auf der Sachverhaltsebene von Tatbegehung in zahlreichen (zur Subsumtionseinheit des § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB zusammengefassten) Einzelakten im Zeitraum von Jänner 2007 bis Mai 2009 ausging (ON 61 S 6 ff), die im Anklagetenor in drei Handlungskomplexe jeweils gleichartiger Begehungsweisen des § 156 Abs 1 StGB gegliedert wurden (3.1 bis 3.3).

Nach der Anklagebegründung sollen bereits in den Jahren 2007 und 2008 in jeweils 50.000 Euro weit übersteigender Höhe nicht bestehende Verbindlichkeiten vorgeschützt (3.1) und Vermögensverringerungen durch Privatentnahmen herbeigeführt worden sein (3.2; ON 61 S 5 f; ON 50 S 515 ff), womit ‑ mangels aktenkundiger Hinweise auf einen nicht am Sitz des Unternehmens und dem Wohnsitz des Angeklagten (jeweils in St. Pölten; vgl ON 61 S 3 iVm dem historischen Firmenbuchauszug ON 50 S 553 ff) gelegenen Handlungsort ‑ hinsichtlich der zu Punkt 3.1 und 3.2 beschriebenen Begehungsweisen von St. Pölten als Tatort auszugehen ist (§ 36 Abs 3 erster Satz StPO).

Nach dem Anklagepunkt 3.3 sollen ab Mai 2009 Lagerbestände im Zwangsausgleich des vom Angeklagten geführten Unternehmens beiseite geschafft worden sein (ON 61 S 6 f; ON 50 S 521 ff). Diesbezüglich sind dem Akteninhalt aber keine gesicherten Anhaltspunkte für einen im Sprengel des Landesgerichts Wels gelegenen Ausführungsort zu entnehmen:

Nach dem Gutachten des Sachverständigen Mag. Dr. K*****, auf welches das Oberlandesgericht Wien und das Landesgericht St. Pölten ihre Zweifel an dessen örtlicher Zuständigkeit stützen, seien bis etwa November 2008 die Warenbestände der H***** GmbH an mehreren Standorten (St. Pölten, Wels, Eugendorf und an einem unbekannten Ort; ON 50 S 443 ff) aufbewahrt worden, wobei über 90 % dieser Bestände im Gesamtwert von 953.312,70 Euro für die Unternehmensfortführung im Konkurs und im folgenden Zwangsausgleich zur Verfügung gestanden seien. Mit Ende des vorliegenden Rechnungswesens im Mai 2009 habe sich die Spur des theoretisch noch verfügbaren restlichen Lagers verloren; dessen Wert habe zu dieser Zeit ‑ nach zwischenzeitigem Ankauf und Verkauf von Waren ‑ noch 570.000 Euro betragen (ON 61 S 6 f; ON 50 S 523). Mögen nach den Erhebungen des Sachverständigen auch zeitnah mehrere Lagerflächen im Raum Wels von der H***** GmbH angemietet und Reitsportartikel dort aufbewahrt worden sein (ON 50 S 447 ff [S 523]), ergaben seine Recherchen jedoch keine gesicherten Anhaltspunkte, „ob im Raume Wels mit Ende der buchhalterischen Aufzeichnungen schließlich die Waren aus den einzelnen Filialen gesammelt und in die neu angemieteten Läger verbracht wurden“ (ON 50 S 485).

Da sich aus dem Akteninhalt ein von den Angaben der Anklage (vgl ON 61 S 3) abweichender Ausführungsort der zu deren Punkt 3.3 inkriminierten Straftaten (mit einem 50.000 Euro übersteigenden Schaden) in Wels nicht konkret ableiten lässt, gibt die Zuständigkeit des für die Anklagepunkte 3.1 und 3.2 zuständigen (höherrangigen) Schöffengerichts gemäß § 37 Abs 2 erster Satz (erster Fall) StPO den Ausschlag.

Entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur waren die Akten daher dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das gemäß § 215 Abs 4 erster Satz StPO die Sache dem zuständigen Landesgericht zuzuweisen hat.

Stichworte