OGH 6Ob94/12k

OGH6Ob94/12k22.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** H*****, vertreten durch Salpius Rechtsanwalts GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 20.165,86 EUR sA (Rekursinteresse 20.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Februar 2012, GZ 16 R 11/12y-23, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. November 2011, GZ 22 Cg 1/11w-17, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 4.139,16 EUR (darin 473,86 EUR Umsatzsteuer und 1.296 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist die nach § 32 Z 8 WAG 1996 eingerichtete Entschädigungseinrichtung von Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Die A***** AG (kurz: AM*****) und deren Tochtergesellschaft A***** F***** AG (kurz: AF*****) waren Wertpapierdienstleistungsunternehmen iSd § 19 Abs 1 WAG 1996 und als solche Mitglieder der Beklagten. Über deren Vermögen eröffnete das Handelsgericht Wien am 2./7. 11. 2005 Konkursverfahren.

Der Kläger hatte im Jahr 2002 bei AM***** und AF***** zu verschiedenen Depotnummern Geldbeträge erlegt und dafür Anlegerzertifikate ausgestellt erhalten. In den beiden Konkursverfahren meldete er Forderungen in Höhe von insgesamt rund 144.000 EUR an.

Mit Schreiben vom 27. 2. 2006 gab der Kläger der Beklagten gegenüber diese Forderungen bekannt und begehrte eine Entschädigungszahlung gemäß § 23b WAG 1996, ohne jedoch die seinen Forderungen zugrunde liegenden Anlegerzertifikate und Einzahlungsbelege vorzulegen. Nachdem die Beklagte zweimal schriftlich, zuletzt am 10. 4. 2006, die Übermittlung insbesondere der genannten Unterlagen verlangt hatte, um die Entscheidungsansprüche prüfen zu können, forderte der rechtsfreundliche Vertreter des Klägers die Beklagte auf, die Haftung dem Grunde nach anzuerkennen; dabei wies er darauf hin, dass die angeforderten äußerst umfangreichen Unterlagen zur Feststellung der Höhe der angemeldeten Forderungen aus Kostengründen erst nach Vorliegen des Anerkenntnisses dem Grunde nach übermittelt werden könnten.

Daraufhin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 14. 2. 2007 mit, dass der Anspruch auf Entschädigung nach sorgfältiger Prüfung abgewiesen werden müsse, weil die für den Nachweis erforderlichen Unterlagen trotz mehrmaliger Aufforderung nicht vollständig vorlägen. Schließlich forderte die Beklagte den rechtsfreundlichen Vertreter des Klägers am 20. 10. 2010 (kurz nach Klagseinbringung) nochmals auf, ihr sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, um eine Forderungsprüfung vornehmen zu können.

Bereits am 6. 5. 2008 hatte die Beklagte nach einem Gespräch mit dem rechtsfreundlichen Vertreter des Klägers, der auch andere geschädigte Anleger vertrat, im Hinblick auf ein laufendes Musterverfahren einen Verjährungsverzicht bis 31. 12. 2010 abgegeben. Diese Erklärung bezog sich auf eine Anlegerliste, in welcher auch der Kläger, der von ihm geforderte Geldbetrag und insgesamt vier Depotnummern aufschienen.

Erstmals während des laufenden Verfahrens übermittelte der Kläger die maßgeblichen vier Anlegerzertifikate und Einzahlungsbestätigungen, und zwar die Zertifikate und eine Bestätigung am 6. 4. 2011 sowie eine weitere Bestätigung am 16. 6. 2011. Die Verhandlung erster Instanz wurde am 8. 9. 2011 geschlossen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren in Höhe von 20.165,86 EUR (davon sind noch 20.000 EUR Gegenstand des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof) zur Gänze ab; der Kläger hätte seine Ansprüche gegenüber der Beklagten nicht nur schlicht behaupten dürfen, sondern hätte im zumutbaren Umfang auch Urkunden und Belege vorlegen müssen, die ihn als Vertragspartner der beiden Wertpapierdienstleistungsunternehmen ausgewiesen und die von ihm getätigten Einzahlungen nachvollziehbar dargestellt hätten. Da der Kläger diesen Verpflichtungen erst am 6. 4. 2011 nachgekommen sei, habe die dreimonatige Auszahlungsfrist noch gar nicht begonnen.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung im Umfang von 20.000 EUR auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück; es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof unter anderem deshalb für zulässig, weil Rechtsprechung zu Beginn, Länge und Ablauf der Prüffrist fehle. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, sämtliche Unterlagen vorzulegen; die dreimonatige Auszahlungsfrist habe jedenfalls am 6. 4. 2011 mit Vorlage der Anlegerzertifikate zu laufen begonnen. Bei Schluss der Verhandlung erster Instanz sei somit bereits Fälligkeit gegeben gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; er ist auch berechtigt.

1. Vorweg ist darauf zu verweisen, dass das Wertpapieraufsichtsgesetz BGBl 753/1996 (WAG 1996) mit Ablauf des 31. 10. 2007 außer Kraft trat (§ 106 WAG 2007). Auf Sachverhalte, die sich - wie hier - vor dem Inkrafttreten des WAG 2007 verwirklicht haben, ist nach wie vor das WAG 1996 anzuwenden (stRsp, siehe 6 Ob 235/09s ÖBA 2011/1704).

2. Nach § 23b Abs 2 Satz 3 WAG 1996 ist die Beklagte als Entschädigungseinrichtung verpflichtet, den Anleger auf Verlangen und nach Legitimierung innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem Höhe und Berechtigung der Forderung festgestellt sind, zu entschädigen. In diesem Zusammenhang vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, die er zu dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Fällen entwickelt hat, die Auffassung, dass grundsätzlich der geschädigte Anleger nachweisen muss, welche Zahlungen er an das nunmehr insolvente Wertpapierdienstleistungsunternehmen geleistet hat; dass die Beklagte betreffend die Ansprüche einer Vielzahl von angeblich geschädigten Anlegern (zu denen auch der Kläger gehört) auf den Einwand der Verjährung verzichtete, ändert an dieser Nachweispflicht nichts (7 Ob 222/11i; 1 Ob 240/11t).

3. Im Rahmen dieser Rechtsprechungslinie hat sich der Oberste Gerichtshof außerdem mit der auch hier entscheidungsrelevanten Frage auseinandergesetzt, ob es für die Legitimierung des Anlegers nach § 23b Abs 2 Satz 3 WAG 1996 ausreicht, auf einer Liste von Geschädigten neben Namen und Adresse lediglich eine Depotnummer und die Höhe der gestellten Forderung anzugeben, während die Beklagte sodann die Forderung prüfen müsse, ohne dass der Anleger seinen Anspruch bescheinigen müsse. Diese Frage wurde verneint (7 Ob 222/11i; 8 Ob 110/11g; 9 Ob 62/11z; 1 Ob 240/11t); es ist daher nicht richtig, dass die Ablehnung einer Überprüfung dieser eingeschränkten Angaben durch die Beklagte den Eintritt der Fälligkeit des eingeklagten Anspruchs auf Entschädigung bewirkt.

Der erkennende Senat, der bereits in der Entscheidung 6 Ob 235/09s diese Ansicht vertreten hat, sieht auch im vorliegenden Fall keine Veranlassung, von dieser ständigen Rechtsprechung wieder abzugehen. Damit ist der Kläger im vorliegenden Fall aber seiner Nachweispflicht erst am 6. 4. beziehungsweise am 16. 6. 2011 nachgekommen, als er - während des laufenden Verfahrens - die maßgeblichen Anlegerzertifikate und Einzahlungsbestätigungen vorlegte (vgl 9 Ob 62/11z).

4. Die Beklagte hat Höhe und Berechtigung der angemeldeten Anlegerforderung unverzüglich zu prüfen und gegebenenfalls Entschädigungen binnen der für jede Forderung jeweils neu laufenden Dreimonatsfrist auszuzahlen (6 Ob 235/09s); es ist ihr dafür aber eine angemessene Prüfungszeit zuzubilligen, wobei eine Überschreitung von sechs Monaten nur in besonderen Fällen gerechtfertigt ist (6 Ob 235/09s; 7 Ob 165/10f; 7 Ob 222/11i). Damit tritt Fälligkeit der Forderung des Anlegers gegenüber der Beklagten nach Ablauf von neun Monaten nach Anmeldung der ausreichend nachgewiesenen Forderung ein (sechs Monate Frist für die Feststellung plus drei Monate Frist für die Auszahlung; 7 Ob 165/10f). Diese Frist muss vor Schluss der Verhandlung erster Instanz abgelaufen sein (7 Ob 222/11i).

Im vorliegenden Verfahren wurde die Verhandlung erster Instanz am 8. 9. 2011 geschlossen, sodass zwischen Legitimierung am 6. 4. beziehungsweise 16. 6. 2011 und Verhandlungsschluss lediglich fünf beziehungsweise drei Monate vergangen waren; die Klagsforderungen waren somit noch nicht fällig. Daraus folgt, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte