OGH 9ObA150/11s

OGH9ObA150/11s20.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei BUAK Bauarbeiter- Urlaubs- & Abfertigungskasse, Kliebergasse 1a, 1050 Wien, vertreten durch Mag. Vera Noss, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, ***** D-*****, vertreten durch die Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wegen 84.090,64 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juni 2011, GZ 8 Ra 154/10s-18, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 10. Juni 2010, GZ 22 Cga 141/09d-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Begründung

Unternehmensgegenstand der in Deutschland ansässigen Beklagten sind „Brunnenbau“ und „Bohrungen aller Art“. In Österreich verfügt die Beklagte über die Gewerbeberechtigung für „Brunnenmeister, eingeschränkt auf Erkundungsbohrungen“. Gegenstand des Verfahrens sind von der Klägerin der Beklagten nach dem Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG) vorgeschriebene Zuschläge für die von der Beklagten vorübergehend nach Österreich entsandten Arbeitnehmer, die für verschiedene österreichische Unternehmen Erkundungsbohrungen im Zusammenhang mit Straßen- und Kraftwerksbauten vornahmen. Das Berufungsgericht änderte das klageabweisende Ersturteil über Berufung der Klägerin dahin ab, dass es durch Erlassung eines Zwischenurteils erkannte, dass die Ansprüche der Klägerin dem Grunde nach zu Recht bestehen. Die ordentliche Revision wurde mit der Begründung zugelassen, dass es „zur Anwendbarkeit und Auslegung des § 20 Abs 1 AngG in der vorliegenden Fallkonstellation“ noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebe. Die Beklagte ging auf die berufungsgerichtliche Begründung der Revisionszulassung nicht näher ein. Sie berief sich aber darauf, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es zur Auslegung der Tatbestände „Brunnenmeisterbetrieb“ und „Tiefbohrbetrieb“ in § 2 BUAG noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung gebe. Eine solche Rechtsprechung fehle auch „im hier einschlägigen unionsrechtlichen Zusammenhang der Entsendung von Arbeitern durch ein Unternehmen mit Sitz in einem anderem Mitgliedstaat der EU“. Die Klägerin bestritt demgegenüber ausdrücklich das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung des Rechtsmittels der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Es genügt also nicht, in der Revision interessante Rechtsfragen aufzuwerfen. Von ihrer Lösung muss auch die Lösung des Falls „abhängen“, was am erstinstanzlichen Vorbringen der Partei unter Beachtung der Unzulässigkeit von Neuerungen im Revisionsverfahren (§ 504 Abs 2 ZPO) zu messen ist. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, dann liegt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich in diesem Fall auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

Richtig erkannte die Revisionsgegnerin, dass dem Berufungsgericht bei der Begründung der Zulässigkeit der Revision offensichtlich ein Versehen unterlaufen ist. Auf den vom Berufungsgericht genannten § 20 AngG, der die Kündigung von Arbeitsverhältnissen von Angestellten regelt, kommt es nämlich im vorliegenden Fall nicht an. Auf Fragen der Anwendbarkeit und Auslegung dieser Bestimmung kann daher die Zulässigkeit der Revision nicht gestützt werden. Das Versehen des Berufungsgerichts gereicht der Revisionswerberin aber nicht zum Nachteil. Ihr blieb es nämlich unbenommen, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO darzulegen. Von dieser Möglichkeit hat sie auch Gebrauch gemacht.

Nach § 1 Abs 1 BUAG ist davon auszugehen, dass die Bestimmungen dieses Gesetzes für Arbeitnehmer gelten, deren Arbeitsverhältnisse auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen und die in Betrieben (Unternehmungen) gemäß § 2 BUAG beschäftigt werden. Aufgrund des erstinstanzlichen Vorbringens liegt der Schwerpunkt auf der Frage, ob die Beklagte ein Betrieb iSd § 2 Abs 1 BUAG ist. Diese Bestimmung listet für den Sachbereich der Urlaubsregelung über 40 Betriebe (Unternehmungen) iSd § 1 BUAG auf (zB Baumeisterbetriebe, Maurermeisterbetriebe, Bauunternehmungen etc). Ob nun der konkrete Betrieb einer Partei unter diese Liste fällt, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Dass der Oberste Gerichtshof noch nicht zu allen Betrieben (Unternehmen) Stellung genommen hat, begründet nicht schon automatisch das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage; dies insbesondere dann nicht, wenn sich die Einwände einer Partei gegen die Subsumtion unter den Anwendungsbereich des BUAG in der Rüge des Fehlens nicht vorgesehener Voraussetzungen erschöpfen.

Die Beklagte bietet die Leistungen „Brunnenbau“ und „Bohrungen aller Art“ an (vgl Beil. /C und Beil. /2). In Österreich verfügt sie, wie bereits erwähnt, über die Gewerbeberechtigung für „Brunnenmeister, eingeschränkt auf Erkundungsbohrungen“. Es liegt daher nahe, die Beklagte mit den in § 2 Abs 1 lit e BUAG genannten „Brunnenmeisterbetrieben“ und „Tiefbohrbetrieben“ in Verbindung zu bringen. Die erstinstanzlichen Einwände der Beklagten gingen nun vor allem dahin, dass sie keine Bautätigkeit entfalte, es sich in Österreich nur um geologische Erkundungsbohrungen gehandelt habe, dass sie keine Bohrtürme errichte und nur Flachbohrungen bis 180 m Tiefe vornehme sowie im Übrigen saisonunabhängig arbeite und es bei ihr keine starke Personalfluktuation gebe.

Der Titel „Bundesgesetz betreffend den Urlaub und die Abfertigung für Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft“ zeigt an, dass es im BUAG um die Urlaubs- und Abfertigungsansprüche von Arbeitnehmern in der Bauwirtschaft geht. Der Begriff „Bauwirtschaft“ beschränkt sich nicht auf Bauunternehmen im engeren Sinn; er ist bei der gebotenen Zugrundelegung der Liste der Betriebe des § 2 Abs 1 BUAG - für den Sachbereich der Abfertigung gibt es eine ähnliche Liste in § 2 Abs 2 BUAG - vergleichsweise weit zu verstehen. Erfasst werden eben nicht nur Baumeisterbetriebe, sondern zB auch Parkettleger-, Fliesenleger- oder Gerüstverleiherbetriebe. Der Umfang der Liste macht deutlich, dass die Bauwirtschaft möglichst umfassend erfasst werden soll, um die Urlaubs- und Abfertigungsregelung aller Bauarbeiter im gesamten Bundesgebiet einer gleichmäßigen Behandlung zu unterziehen (vgl schon RV 61 BlgNR 5. GP 4 zum Bauarbeiter-Urlaubsgesetz, BGBl 1946/81). Ein enges Verständnis des Begriffs „Bautätigkeit“ wird daher der Zielsetzung des BUAG nicht gerecht. Im Übrigen mag es zwar für viele Betriebe der Bauwirtschaft zutreffen, dass Saisonarbeit und Personalfluktuation eine Rolle spielen (vgl 9 ObA 116/90; 9 ObA 159/93 ua). Die Vorstellung der Beklagten, Betriebe, die nicht von Saisonarbeit und Personalfluktuation betroffen sind, vom Geltungsbereich auszunehmen, findet jedoch im Gesetz keine Stütze. Ein Baumeister fällt nicht aus der Zuschlagspflicht, nur weil er im Winter durcharbeitet.

Die gesonderte Anführung von Tiefbohrbetrieben neben den Brunnenmeisterbetrieben bestand schon in den dem BUAG vorhergehenden gesetzlichen Regelungen des Bauarbeiter-Urlaubsgesetzes, BGBl 1946/81, und des Bauarbeiter-Urlaubsgesetzes 1957, BGBl 1957/128. Die in diesen Gesetzen angeführten Betriebe spiegeln grundsätzlich die gewerberechtlichen Vorschriften wider, wenn auch mit der Erlassung des BUAG das Ziel verfolgt wurde, von „Gewerben“ auf „Betriebsarten“ abzustellen (RV 426 BlgNR 13. GP 13). Dies war jedoch nicht durchgängig möglich. Dabei wurde nicht das Ziel verfolgt, den Geltungsbereich des BUAG gegenüber vorhergehenden Regelungen einzuschränken, sondern es sollten nur - im erkennbaren Bewusstsein, dass dies nicht vollends gelingen werde - Probleme der Nomenklatur entschärft werden (RV 426 BlgNR 13. GP 13). Am Naheverhältnis zwischen den Betriebsarten des BUAG und den Gewerben der GewO hat sich letztlich nichts Wesentliches geändert. Vordergründig ist zwar nicht mehr der Wortlaut der Gewerbeberechtigung maßgebend, ob ein Betrieb dem BUAG unterliegt, sondern entscheidend, ob die in einem Betrieb ausgeübte Tätigkeit dem Tätigkeitsumfang einer oder mehrerer Betriebsarten entspricht (vgl Martinek/Widorn, BUAG 67 f). Der Unterschied hält sich aber in Grenzen, weil im Regelfall nicht nur davon ausgegangen werden kann, dass eine betriebliche Tätigkeit im Rahmen der jeweiligen einschlägigen Gewerbeberechtigungen ausgeübt wird, sondern umgekehrt auch davon, dass in den einzelnen Betriebsarten all das ausgeübt wird, wozu das jeweilige Gewerbe berechtigt. Zu einer Betriebsart zählen nicht nur Betriebe, die im gesamten oder überwiegenden Tätigkeitsbereich der Betriebsart tätig werden, sondern auch jene, die sich auf einen kleineren Teilbereich spezialisiert haben (Martinek/Widorn, BUAG 68). Auch wenn eine Gewerbeberechtigung nicht mehr das entscheidende Kriterium ist, kommt ihr Indizwirkung für die Zuordnung zu einer bestimmten Betriebsart zu (Klinger, BUAG § 2 Anm 1), was auch die Revisionswerberin einräumt.

Mit der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl 1988/399, wurde der Berechtigungsumfang der Brunnenmeister (und auch jener der Baumeister) um die Durchführungen von Tiefbohrungen aller Art erweitert. Damit war der Brunnenmeister nicht mehr nur berechtigt, Bohrungen zur Herstellung eines Brunnens durchzuführen; er konnte auch sonstige Tiefbohrungen, zB zum Zweck der Untersuchung der Festigkeit von Böden, auf oder in denen Hoch- und Tiefbauten errichtet werden sollen (Erkundungsbohrungen), vornehmen (vgl Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7 § 99 Anm 29, § 100 Anm 4; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO § 100 Rz 5; Hanusch, GewO § 100 Rz 2 ua). Das BUAG ließ dennoch weiterhin die Tiefbohrbetriebe neben den Brunnenmeisterbetrieben (und den Baumeisterbetrieben) bestehen. Über die näheren Gründe muss hier nicht spekuliert werden. Mit Sicherheit kann daraus aber nicht abgeleitet werden, dass Tiefbohrarbeiten aus dem Geltungsbereich des BUAG herausfallen oder nur jene Tiefbauarbeiten erfasst werden sollten, die nicht von Brunnenmeistern (und Baumeistern) verrichtet werden. Im Gegenteil, Tiefbohrarbeiten wurden im Geltungsbereich des Bauarbeiter-Urlaubsrechts schon immer besonders betont. Tiefbohrarbeiten eines Brunnenmeisters, worunter nicht nur jene zu verstehen sind, die mit dem Brunnenbau im unmittelbaren Zusammenhang stehen, sind seit der Gewerberechtsnovelle 1988 nicht nur zulässig, sondern fallen, zumal sie in der Praxis tatsächlich stattfinden und zunehmend an Bedeutung gewinnen (vgl etwa das Berufsprofil und Berufsbild des Lehrberufs „Brunnen- und Grundbau“ in der Brunnen- und Grundbau-Ausbildungsordnung, BGBl II 2003/261), in die Betriebsart des Brunnenmeisters iSd BUAG.

Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang meint, kein Tiefbau-, sondern ein „Flachbohrbetrieb“ zu sein, weil sie nur bis zu einer Tiefe von 180 m tätig sei, verkennt sie, dass weder das BUAG noch die GewO 1994 auf bestimmte Bohrtiefen abstellen. Der Begriff „Flachbohrbetrieb“ soll laut Beklagter offenbar Unternehmen erfassen, die nur in geringeren Tiefen bohren. Aus der willkürlichen Grenze von 180 m ist in diesem Zusammenhang nichts zu gewinnen. Die Beklagte bietet Bohrungen „aller Art“ an; nach den Feststellungen im Ersturteil stellt sie Bohrungen bis 300 m an. Aufgrund der von der Beklagten eingesetzten mobilen tonnenschweren Bohreinheiten bedarf es keiner Errichtung von Bohrtürmen. Im BUAG ist aber ohnehin weder das eine, noch das andere entscheidend. Dem Gesetz geht es nicht um bestimmte Bohrtiefen oder Bohrtürme, sondern darum, das Bohren „in die Tiefe“ in der Bauwirtschaft zu erfassen. Speziellen Festlegungen auf bestimmte Bohrtiefen im Bergbau (vgl § 2 Z 11 der Verordnung über verantwortliche Personen im Bergbau 2011, BGBl II 2011/304) kommt, wie auch die Revisionswerberin einräumt, für das BUAG keine entscheidende Bedeutung zu. Das BUAG will nur erkennbar sicherstellen, dass nicht nur Brunnenmeister, die ohnehin Bohrarbeiten „aller Art“ verrichten, sondern auch sonstige Tiefbohrbetriebe und Spezialbetriebe, die einzelne Tätigkeiten verrichten, die ihrer Art nach in den Brunnenmeisterbetrieb fallen, erfasst werden, um die in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmer bei der Verwirklichung ihrer Urlaubsansprüche möglichst lückenlos zu unterstützen.

Die Annahme der Beklagten, sie habe mit der Bauwirtschaft im Allgemeinen und den in § 2 Abs 1 BUAG aufgelisteten Betrieben im Besonderen nichts zu tun, wird somit vom Senat nicht geteilt. Nach der Lage des Falls bestehen keine Bedenken, die Beklagte, die in Österreich über die Gewerbeberechtigung eines Brunnenmeisters (eingeschränkt auf Erkundungsbohrungen) verfügt, und einschlägige Leistungen durch ihre nach Österreich entsandten Arbeitnehmer für österreichische Unternehmen im Straßen- und Kraftwerksbau erbringen ließ, unter die Brunnenmeisterbetriebe nach § 2 Abs 1 lit e BUAG zu subsumieren. Ob die Beklagte darüber hinaus auch noch unter die sonstigen Tiefbaubetriebe des § 2 Abs 1 lit e BUAG und die Spezialbetriebe, die Tätigkeiten verrichten, die ihrer Art nach in den Tätigkeitsbereich der Betriebe nach § 2 Abs 1 lit a bis f BUAG fallen, subsumierbar wäre, ist daher nur von theoretischer Bedeutung. Davon hängt die Lösung des Falls nicht ab; daraus kann daher mangels „Präjudizialität“ auch keine erhebliche Frage iSd § 502 Abs 1 ZPO abgeleitet werden.

Soweit die Beklagte die Zulässigkeit der Revision in zweiter Linie darauf gründen will, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum „unionsrechtlichen Zusammenhang der Entsendung von Arbeitern durch ein Unternehmen mit Sitz in einem anderem Mitgliedstaat der EU“ fehle, ist sie auf die in der Zwischenzeit ergangene Entscheidung 8 ObA 2/11v zu verweisen. Darin hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit einem deutschen Unternehmen befasst, das mehrere Arbeitnehmer vorübergehend nach Österreich entsandte und in das Zuschlagssystem der Beklagten einbezogen wurde. Dass dieses Erkenntnis im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung noch nicht vorlag, hat keine Bedeutung, weil der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof maßgebend ist, geht es doch um die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (RIS-Justiz RS0112921 ua).

In erster Instanz hat die Beklagte keine unionsrechtlichen Bedenken geltend gemacht. Soweit sie diese in der Revision auf ein neues ergänzendes Tatsachenvorbringen zu stützen versucht, kann darauf zufolge des im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbots nicht eingegangen werden (§ 504 Abs 2 ZPO). Den grundsätzlichen Bedenken der Revisionswerberin ist zu erwidern, dass der Oberste Gerichtshof in 8 ObA 2/11v bekräftigt hat, dass das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ihre Gesetze oder Kollektivverträge auf sämtliche Personen anzuwenden, die auch nur vorübergehend in ihrem Hoheitsgebiet beschäftigt werden, selbst wenn ihr Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist (Erwägung 12 der Entsende-RL 96/71/EG) . Daran ist selbstverständlich festzuhalten. Die Mitgliedstaaten sind nach Art 3 der Entsende-RL verpflichtet, unter anderem in Angelegenheiten des bezahlten Jahresurlaubs Mindeststandards auch für entsandte Arbeitnehmer zu gewährleisten und die Einhaltung dieser Regeln mit angemessenen Mitteln sicherzustellen. Bei der Einbeziehung von entsandten Bauarbeitnehmern in ein Urlaubskassensystem des Empfangsstaats sind zwingend allfällige Beitragspflichten nach einem vergleichbaren nationalen System des Entsendestaats zu berücksichtigen (vgl EuGH 25. 10. 2011, Rs C-49/98, Finalarte). Österreich hat in dem mit Novelle BGBl I 2005/104 eingeführten Abschnitt VIb des BUAG („Sonderbestimmungen für den Urlaub bei Entsendung“; §§ 33d bis 33i) die Vorgaben der Entsende-RL umgesetzt und den Geltungsbereich des BUAG in den Fällen grenzüberschreitender Entsendung von Arbeitnehmern in der Baubranche erweitert. Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern, die von einem Arbeitgeber ohne Sitz in Österreich zur fortgesetzten Arbeitsleistung oder im Rahmen einer Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich entsandt werden, anzuwenden (§ 33d Abs 1 BUAG). Die Beklagte unterliegt nach ihrem erstinstanzlichen Vorbringen in Deutschland keinem vergleichbaren Sozial- oder Urlaubskassensystem gemäß § 33i Abs 4 BUAG. Der Gesetzeswortlaut spricht unmissverständlich von „Kassensystem“, sodass individuelle gesetzliche, kollektiv- oder einzelvertragliche Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer im Sitzstaat nicht ausreichen, um eine Ausnahme von der Zuschlagspflicht zu bewirken (8 ObA 2/11v ua).

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 4, § 52 Abs 2 ZPO (vgl 4 Ob 175/11f ua).

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