OGH 10ObS79/12h

OGH10ObS79/12h5.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Herbert Pflanzl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. März 2012, GZ 12 Rs 193/11f-28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach Auffassung des Revisionswerbers ist die Revision zulässig, weil einheitliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Versicherter, der - wie der Kläger - seinen Beruf länger als zehn Jahre vor dem Stichtag nicht mehr ausgeübt hat, später nur mehr in geringer eingestuften Berufstätigkeiten eingesetzt werden könne, obwohl dadurch der Grundsatz der „sozialen Gleichwertigkeit“ verletzt werde. Diese Frage ist jedoch keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage.

2. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Zumutbarkeit des sozialen Abstiegs auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit des Versicherten von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags haben. Auch dann, wenn ein Versicherter - wie hier - jahrelang vor dem Stichtag nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand, ist daher bei der Prüfung der Verweisbarkeit der soziale Wert wesentlich, den die Kenntnisse und Fähigkeiten, die bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags haben (RIS-Justiz RS0084890 [insb T6]).

3. In der bereits vom Erstgericht zitierten Entscheidung 10 ObS 100/99z (SSV-NF 13/112) wurde dazu ausgeführt, dass ein zuletzt sieben Jahre vor dem Stichtag als EDV-Fachkraft in der Verwendungsgruppe 4 und 5 tätig gewesener Versicherter, der in der Folge aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr berufstätig war, auf Tätigkeiten in der Verwendungsgruppe 2 verwiesen werden kann, wenn die seinerzeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nur mehr eine Einstufung in diese Verwendungsgruppe rechtfertigen.

4. Es entspricht nämlich der Lebenserfahrung, dass Berufstätige, die ihren Beruf längere Zeit nicht ausgeübt haben, später nur mehr in geringer eingestuften Berufstätigkeiten eingesetzt werden, also gleichsam „von vorn beginnen“ müssen. Dies kann bei der Frage der Zumutbarkeit eines sozialen Abstiegs nicht unberücksichtigt bleiben. Es wäre nicht gerechtfertigt, für den Pensionsanspruch jene Behandlung außer Betracht zu lassen, die dem Versicherten im Berufsleben tatsächlich zuteil würde (RIS-Justiz RS0084926; insb 10 ObS 100/06p, wo die Feststellungen ergaben, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten, welche die klagende Akademikerin [vgl 10 ObS 240/02w] zur Zeit der Aufgabe der für die Verweisung maßgeblichen Tätigkeiten als wissenschaftliche Vertragslektorin und Übersetzerin im Jahr 1980 besaß, zur Zeit des dortigen Stichtags [1. 12. 1999] nur mehr eine Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten rechtfertigten, weshalb in der Verweisung auf die ebenfalls dieser Beschäftigungsgruppe zuzuordnende Informationsdienst-Berufstätigkeiten (Rezeptionistentätigkeit) in Großbetrieben und in öffentlichen Institutionen nach ständiger Rechtsprechung kein „unzumutbarer sozialer Abstieg“ gesehen wurde).

5. Im vorliegenden Fall ist (nach den nicht mehr angreifbaren Feststellungen der Tatsacheninstanzen) davon auszugehen, dass - aufgrund der mehr als zehnjährigen Abwesenheit des Klägers vom Arbeitsmarkt - der „soziale Wert“ seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit (also jener seiner Kenntnisse und Fähigkeiten, die er als Geschäftsführer und kaufmännischer Angestellter in der Beschäftigungsgruppe 5 des Kollektivvertrags der Handelsangestellten besaß) unter den Verhältnissen des Stichtags nur noch jenem einer Tätigkeit der Beschäftigungsgruppen 2 bis 3 entspricht. Daher steht die Verweisung auf diese Tätigkeiten, die der Kläger - entgegen den Revisionsausführungen - weiterhin ausüben kann, mit der dargelegten Rechtsprechung in Einklang. Ob bei Beachtung der von den Vorinstanzen zutreffend wiedergegebenen Grundsätze eine Verweisung einen unzumutbaren sozialen Abstieg bewirkt oder nicht, ist im Übrigen eine Beurteilung des Einzelfalls (10 ObS 100/06p; 10 ObS 80/09a, SSV-NF 23/41 jeweils mwN).

Mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen.

Stichworte