OGH 11Os29/12t

OGH11Os29/12t24.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer, im Verfahren zur Unterbringung des Surjit S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. Dezember 2011, GZ 24 Hv 38/11y-89, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Surjit S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer schizophrenen Grunderkrankung und einer paranoiden Psychose, Nachgenannte gefährlich mit dem Tod, zu 2.) auch mit einer Brandstiftung und mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1.) am 5. Juni 2011 Mohammad F***** durch die ihm gegenüber getätigten Äußerungen: „Ich hasse alle Moslems. Allen Moslems gehört der Kopf abgeschnitten. Ich schneide auch dir den Kopf ab!“, wobei er mehrmals gegen das Fahrzeug des Mohammad F***** schlug, einen Scheibenwischer abriss, mit dem Finger einen Schnitt am Hals andeutete und trotz bestehendem Waffenverbots ein Springmesser und ein Klappmesser bei sich trug;

2.) am 7. Juni 2011

a) Padam Kumar J***** durch die telefonische Äußerung: „Ich kenne viele Leute, die werden dein Lokal zerstören, ich komme mit einer Pistole“; und

b) Kunal J***** durch die telefonische Äußerung: „Ich werde dich und deinen Vater umbringen, außerdem werde ich in euer Geschäft einbrechen und alles zerstören, ich werde alles anzünden“;

und hiedurch die Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB begangen.

Dagegen wendet sich die auf Z 5 (der Sache nach Z 11) des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

Mit seinem Rechtsmittel bekämpft der Betroffene die Gefährlichkeitsprognose der Tatrichter als undeutlich und unvollständig begründet, weil einerseits nicht erkennbar sei, auf welches von zwei Sachverständigengutachten sich die Prognoseannahmen stützten, und sich zum anderen die Erstrichter nicht mit Ausführungen der Sachverständigen Dr. Strauss auseinandergesetzt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und lediglich nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (Z 11 erster Fall) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde nach Z 11 erster Fall ist nur die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie die Mindeststrafdrohung für die Anlasstat nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- oder Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zulässig.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt oder die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht. Der Sanktionsausspruch ist dann nichtig, wenn im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt wird oder die Feststellungsgrundlage die Ableitung der schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341). Die zur Gefährlichkeitsprognose getroffenen Sachverhaltsannahmen hingegen können aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall iVm Z 5 StPO nicht bekämpft werden.

Das (bloß) auf die Begründung der erstgerichtlichen Konstatierungen zur Gefährlichkeit bezogene Vorbringen der Rüge macht keine rechtsfehlerhafte Bewertung der Prognosekriterien im obigen Sinn geltend und stellt sich sohin als im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde unbeachtliches Berufungsvorbringen dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 693, 715 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Da das Erkenntnis - der Sache nach - aber aus Z 11 des § 281 Abs 1 StPO bekämpft wurde, waren gemäß § 290 Abs 1 letzter Satz StPO die Akten dem Oberlandesgericht Wien zur Erledigung der - somit implizit erhobenen - Berufung weiterzuleiten (§ 285i StPO; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 28 f).

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