OGH 11Os39/12p

OGH11Os39/12p24.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer, in der Strafsache gegen Walter H***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 vierter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 20. Oktober 2011, GZ 40 Hv 10/11w-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Walter H***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 vierter Fall StGB (1./) und des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er

1./ am 7. Dezember 2010 in Riezlern seine damalige Lebensgefährtin Martina J***** mit Gewalt sowie durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Vornahme und Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem er sich auf sie kniete, ihr seinen Penis zur Vornahme des Oralverkehrs an den Mund drückte, sie gewaltsam entkleidete, das Zimmer versperrte, den Schlüssel versteckte, sie würgte, ihr drei Finger in den After einführte, diese krümmte sowie seine Faust in ihre Scheide einführte, wobei er sie in besonderer Weise erniedrigte, indem er ihr danach die Finger in den Mund steckte und sie mit den Worten aufforderte: „Da lecks ab, es ist dein Fotzensaft“;

2./ von August 2009 bis 6. Dezember 2010, sohin längere Zeit hindurch, in Riezlern, Gaschurn und Davos gegen seine damalige Lebensgefährtin Martina J***** fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie anlässlich etlicher Vorfälle schlug, trat, würgte, sie zu Boden warf oder an den Haaren zog.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus Z 4, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) erfolgte die Abweisung der Anträge des Angeklagten auf Einholung eines psychiatrischen bzw psychologischen Sachverständigengut-achtens in Bezug auf Martina J***** zum Beweis dafür, dass diese eine auffällige Persönlichkeitsstruktur aufweise und deren Angaben nicht den tatsächlichen Geschehnisabläufen entsprechen, sowie auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass deren Angaben mit den Gesetzen der Medizin nicht in Einklang zu bringen seien, ohne Verletzung von Verteidigungsrechten.

Im Hauptverfahren ist die Bestellung eines Sachverständigen nur dann erforderlich, wenn zur Klärung von schuld- und subsumtionsrelevanten Fakten besondere Fachkenntnisse notwendig sind, über die das erkennende Gericht nicht verfügt (RIS-Justiz RS0097283). Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer Sachverständigenbe-stellung ist insgesamt ein strenger Maßstab anzulegen (Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 5, 7). Über die Glaubwürdigkeit von Zeugen hat grundsätzlich das Gericht zu befinden (§ 258 Abs 2 StPO). Deshalb sind Gutachten über die Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit von Zeugen nur in besonderen Ausnahmefällen einzuholen. Voraussetzung für die psychologische oder psychiatrische Untersuchung der Zeugin Martina J***** wäre das Vorliegen objektiver Momente, die ihre Fähigkeit, Wahrnehmungen zu machen und diese gedächtnisgetreu wiederzugeben, in Frage stellen. Derartige persönlichkeitsbedingte Zweifel müssen konkret und erheblich sein und nach Bedeutung und Gewicht dem Grad der in § 11 StGB erfassten Geistesstörungen nahe kommen (RIS-Justiz RS0097576; 13 Os 159/09w, 13 Os 21/10b; Kirchbacher, WK-StPO § 154 Rz 6; vgl Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 9 f).

Derartiges wurde aber bei der Antragstellung mit dem bloßen Hinweis auf Gewalterlebnisse in der Familie und durch das Anstellen von Spekulationen zu einer Projektion der Geschehnisse auf den Angeklagten zufolge Missbrauchs der Martina J***** in der Jugend nicht dargetan.

Mit dem Vorbringen, am Hals des Opfers seien keine Würgemale festgestellt worden, wird auch kein Umstand aufgezeigt, der eine indirekte Kontrolle der Einschätzung der Angaben der Zeugin durch Einholung des begehrten medizinischen Gutachtens verlangt. Martina J***** hatte in diesem Zusammenhang nämlich deponiert, zur Vermeidung stärkeren Würgens durch den Angeklagten weitere Gegenwehr unterlassen zu haben (ON 10 S 32). Ausgehend davon legt der solcherart auf unzulässige Erkundung gerichtete Beweisantrag (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 ff) nicht dar, weshalb bei der am Tag danach durchgeführten Untersuchung (ON 2 S 59) zwingend Würgemale festgestellt werden hätten müssen. Im Übrigen wird auch durch Bezugnahme auf den Behandlungsbericht des Krankenhauses Dornbirn, der vom Beschwerdeführer vernachlässigte Untersuchungsergebnisse, nämlich Rötungen und Schleimhautrisse in der Analregion der Martina J*****, dokumentiert (ON 2 S 60), kein Verfahrensergebnis dargetan, das der Beurteilung der Zuverlässigkeit der Angaben der Zeugin insgesamt entgegen steht.

Zur Klärung des Umstands, ob das Einführen einer eingeölten (vgl US 5) Faust in die Vagina oder die Penetration von drei Fingern in den After jedenfalls Verletzungen zur Folge haben müssen, bedarf es nicht der besonderen Fachkenntnis eines Sachverständigen.

Der Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der Angeklagte am 7. Dezember 2010 wegen seiner Alkoholisierung körperlich nicht in der Lage gewesen sei, die angelastete Tat zu begehen, und dieser ein Erinnerungsdefizit aufweise, verfiel gleichermaßen zu Recht der Ablehnung. Aus welchem Grund die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse, obwohl eine rund 12 Stunden nach dem inkriminierten Geschehen (US 4, 8) um 13:40 Uhr beim Beschwerdeführer durchgeführte Messung eine Atemalkoholkonzentration von 0,05 mg/l ergab und der menschliche Körper notorisch pro Stunde nur zwischen 0,1 und 0,15 Promille an Alkohol abbauen kann (ON 2 S 55, vgl auch US 8), war dem Beweisantrag nämlich nicht zu entnehmen (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO). Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Erinnerungsdefizits ist für die Schuldfrage ohne Bedeutung.

Das erst im Rechtsmittel zur Antragsfundierung ergänzte Vorbringen in Richtung tiefgreifender Bewusstseinsstörung und mangelnder Diskretions- und Dispositionsfähigkeit ist prozessual verspätet und somit unzulässig (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117). Im Übrigen ist auch dazu auf das damit im Widerspruch stehende Messergebnis zu verweisen.

Gegenstand der Tatsachenrüge (Z 5a) sind Feststellungen, angesichts derer - gemessen an allgemeinen Erfahrungs- und Vernunftsätzen - eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert naheliegt, und welche somit geradezu unerträglich sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 490).

Druch den Verweis auf das Ergebnis der körperlichen Untersuchung (vgl US 10), das Fehlen von Würgemalen und den Umstand des Verbleibs der Martina J***** in der gemeinsamen Wohnung, werden keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen geweckt.

Gleiches gilt für die vom Angeklagten bei Aussagedetails erblickten Widersprüche sowie den Umstand, dass der Zeuge Michael F***** die Angaben der Martina J*****, sie habe ihm alles erzählt, nicht bestätigte (vgl US 9). Soweit die Beschwerde - ohne einen direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial herzustellen - neuerlich eine bloße Projektion des Tatgeschehens auf den Angeklagten behauptet, verkennt sie den von der Schuldberufung verschiedenen Anfechtungsrahmen.

Mit dem Vorbringen (Z 11), das Erstgericht habe den in der nicht unerheblichen Berauschung gelegenen Milderungsgrund übergangen, wird kein Nichtigkeits-, sondern ein Berufungsgrund geltend gemacht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 728; vgl im Übrigen § 35 StGB). Mit bloßer Kritik am Unterlassen der Anwendung des besonderen Milderungsrechts und mit der Forderung nach bedingter Strafnachsicht wird Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs iSd Z 11 des § 281 Abs 1 StPO nicht einmal behauptet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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