OGH 1Ob79/12t

OGH1Ob79/12t24.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** E*****, Vertragsbediensteter, *****, vertreten durch Dr. Peter Wagner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. A***** B*****, Ärztin, *****, vertreten durch Ochsenhofer & Heindl, Rechtsanwälte OG in Oberwart, wegen 5.350 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 1.600 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. Jänner 2012, GZ 63 R 17/11g-16, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 13. September 2011, GZ 17 C 387/11m-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die Revisionsrekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der erstinstanzliche Beschluss wird wiederhergestellt.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.025,38 EUR (darin 170,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Vertragsbediensteter des Bundes (***** Wien) und wurde auch als Pkw-Fahrer im Rahmen des „Äskulap-Dienstes“ eingesetzt. So war er etwa auch am 9. 6. 2010 als Chauffeur der Beklagten tätig, die als Amtsärztin im Einsatz war. Nach diesem Nachtdienst wandte sich die Beklagte in einer Mitteilung per E-Mail an die Sekretärin der Chefarztkanzlei und ersuchte, dass der Kläger ihr nicht mehr als Fahrer zugeteilt werden möge; er habe sich bei der Anfahrt häufig besuchter Wachzimmer mehrmals verfahren und die Beklagte auch durch eine insgesamt hektische und unsichere Fahrweise mit abrupten Beschleunigungs- und Bremsmanövern belastet.

Der Kläger begehrte nun von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 5.350 EUR samt Zinsen sowie die Feststellung ihrer Haftung für künftige Schäden. Die Beklagte habe wissentlich wahrheitswidrige Behauptungen über seine - in Wahrheit untadelige - Tätigkeit als Fahrer aufgestellt. Diese hätten dazu geführt, dass er ab August 2010 nicht mehr zu weiteren derartigen Fahrdiensten eingeteilt worden sei, wodurch er eine Verdiensteinbuße von monatlich 535 EUR erleide.

Die Beklagte wandte unter anderem die Unzulässigkeit der Klageführung ein. Bei den vom Kläger als anspruchsbegründend herangezogenen Mitteilungen über sein Fahrverhalten sei sie im Rahmen ihrer eigentlichen hoheitlichen Tätigkeit als Amtsärztin aktiv geworden. Der Kläger könne allenfalls Amtshaftungsansprüche gegen den zuständigen Rechtsträger erheben; eine Klageführung gegen das handelnde Organ sei jedoch unzulässig.

Das Erstgericht wies die Klage unter Nichtigerklärung des durchgeführten Verfahrens zurück. Gemäß § 9 Abs 5 AHG könne ein Geschädigter den Ersatz des Schadens, den ihm ein Organ in Vollziehung des Gesetzes zugefügt hat, gegen das Organ im ordentlichen Rechtsweg nicht geltend machen. Die Beklagte sei Amtsärztin im Sinne des § 41 ÄrtzeG und als solche mit der Vollziehung behördlicher Aufgaben betraut. Sei eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, so seien nach ständiger Rechtsprechung auch alle mit ihrer Erfüllung im Zusammenhang stehenden Verhaltensweisen als in Vollziehung des Gesetzes erfolgt anzusehen, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen. Auch die Teilnahme am öffentlichen Verkehr (Dienstfahrt) anlässlich der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben gehöre zur Hoheitsverwaltung. Da sich die Mitteilung der Beklagten auf die Leistungen des Klägers während einer Dienstfahrt bezogen habe, sei sie als mit einem hoheitlichen Akt im Zusammenhang stehend anzusehen.

Das Rekursgericht hob den erstinstanzlichen Zurückweisungsbeschluss auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund auf; es erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Amtsärzte seien die bei den Sanitätsbehörden hauptberuflich tätigen Ärzte, die behördliche Aufgaben zu vollziehen haben (§ 41 Abs 1 ÄrzteG). Gemäß § 1 Abs 1 AHG hafte der Bund nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen, den die als seine Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer zufügen. Die Beklagte sei aber beim Verfassen der Mitteilung dem Kläger gegenüber nicht als Inhaberin hoheitlicher Gewalt aufgetreten; sie sei dabei auch nicht mit (hoheitlicher) Befehls- und Zwangsgewalt ausgestattet gewesen und es habe die Mitteilung auch nicht dem Zweck gedient, hoheitliches Handeln der interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Es habe sich um keine Weisung oder einen sonstigen Akt mit normativem Charakter gehandelt, vielmehr liege ausschließlich eine Mitteilung eines Mitarbeiters über das Verhalten eines anderen Mitarbeiters in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit an die Behörde vor. Auch wenn die Mitteilung Tatsachen über Begebenheiten während einer Dienstfahrt darstelle und die Dienstfahrt selbst durchaus in einem engen und inneren Zusammenhang zur eigentlichen Tätigkeit der Amtsärztin gesehen werden könne, falle deren Verfassung samt den darin aufgestellten Behauptungen nicht in den geforderten inneren und äußeren Zusammenhang zur hoheitlichen Tätigkeit. Wenngleich zahlreiche „Informationsrealakte“ wie Presseaussendungen oder Interviews in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als Hoheitsakte qualifiziert worden seien, habe es sich dabei doch jeweils um Äußerungen gehandelt, die in einem engen Zusammenhang mit den hoheitlichen Aufgaben der betreffenden Organe gestanden seien. Ein Akt, der keinerlei Außenwirkung habe, durch den der Kläger auch tatsächlich nicht geschädigt worden sei, sondern der allenfalls als Grundlage für die Nichteinsetzung zu weiteren Fahrten geführt habe, sei daher mangels Vorliegens eines hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhangs mit als hoheitlich zu wertenden Aufgaben der privaten Sphäre der Beklagten zuzurechnen. Da daher eine Anwendung des § 9 Abs 5 AHG nicht in Betracht komme, sei der Rechtsweg für die vorliegende Klage nicht unzulässig. Der ordentliche Revisionsrekurs sei gemäß § 528 Abs 1 ZPO zulässig, weil Rechtsprechung dazu fehle, ob eine behördeninterne Mitteilung eines Dienstnehmers über das Verhalten eines anderen Dienstnehmers im Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeit eine Haftung des Rechtsträgers nach dem AHG auslöse.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Klägers, die erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist (§ 521a Abs 1 Satz 2 erster Fall ZPO) erstattet wurde, ist als verspätet zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 1 Abs 1 AHG haften der Bund und andere Rechtsträger für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ selbst nicht. Auch eine Klageführung gegen das Organ (den Organwalter) ist nicht zulässig (§ 9 Abs 5 AHG). Organe im Sinn des AHG sind nach dessen § 1 Abs 2 alle physischen Personen, wenn sie in Vollziehung der Gesetze handeln.

Unstrittig ist, dass die Beklagte als Amtsärztin gemäß § 41 Abs 1 ÄrzteG behördliche Aufgaben zu vollziehen hatte und hat. Strittig ist primär, ob die Beklagte bei ihrer Mitteilung an die Sekretärin der Chefarztkanzlei „in Vollziehung der Gesetze“, also im Rahmen ihres hoheitlichen Tätigkeitsbereichs - oder aber in ihrem privaten Bereich - gehandelt hat. Für die Anwendbarkeit des AHG ist nicht entscheidend, ob es sich bei der inkriminierten Handlung um einen Hoheitsakt im engeren Sinn handelt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist vielmehr daran anzuknüpfen, ob etwa eine Tatsachenmitteilung einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe des Organs aufweist; besteht ein solcher Zusammenhang, so soll das Organ nach den Wertungen des § 9 Abs 5 AHG nicht in ein Prozessrechtsverhältnis hineingezogen werden können (1 Ob 140/98i; vgl auch RIS-Justiz RS0031951). Ist eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sind auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RIS-Justiz RS0049948). Der Tätigkeitsbereich, der die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben zum Gegenstand hat, ist sogar dann einheitlich als hoheitlich anzusehen, wenn einzelne Teile dieser Aufgaben so erfüllt werden, wie sie für sich genommen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von jedermann vorgenommen werden könnten (1 Ob 2/94; 1 Ob 306/98a = SZ 72/5). Auch Handlungen, die die Ausübung hoheitlicher Gewalt nur vorbereiten, fallen unter das Tatbestandsmerkmal „in Vollziehung der Gesetze“ (1 Ob 114/07g).

Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht für den erkennenden Senat kein Zweifel daran, dass die Mitteilung der Beklagten über angebliche Mängel der Dienstverrichtung des Klägers anlässlich der Dienstfahrten verbunden mit dem Ersuchen, diesen der Beklagten in Zukunft nicht mehr als Fahrer zuzuteilen, in engem Zusammenhang mit ihrer (hoheitlichen) Tätigkeit als Amtsärztin standen. Die geschilderten Vorkommnisse bezogen sich auf den Einsatz der Beklagten im Zuge ihrer amtsärztlichen Tätigkeit. Das Ersuchen um Zuteilung eines anderen Fahrers zielte darauf ab, bei künftigen amtsärztlichen Einsätzen außerhalb der Dienststelle bestimmte Rahmenbedingungen vorzufinden, die nach Darstellung der Beklagten durch die Tätigkeit des Klägers nicht gewährleistet gewesen seien. Ohne die (vergangene und zukünftige) amtsärztliche Tätigkeit wäre es der Beklagten weder möglich gewesen, sich bei den Dienstfahrten durch das Verhalten des Klägers beeinträchtigt zu fühlen, noch hätte Anlass dafür bestanden, sich darüber Gedanken zu machen, ob der Kläger bei künftigen Einsätzen der Beklagten als Fahrer herangezogen werden könnte.

Wenn das Rekursgericht weiters hervorgehoben hat, bei der Mitteilung der Beklagten habe es sich um einen Akt gehandelt, der keinerlei Außenwirkung gehabt habe, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Außenwirkung kein Tatbestandsmerkmal der einschlägigen Bestimmungen des AHG ist. Wie bereits dargelegt wurde, genügt nach der Judikatur des erkennenden Senats ein hinreichend enger Zusammenhang zur hoheitlichen Tätigkeit des betreffenden Organwalters, der im vorliegenden Fall zu bejahen ist.

Auch in der Vergangenheit wurden die Bestimmungen des AHG in Fällen ohne unmittelbare „Außenwirkung“ angewendet, etwa bei der Schädigung von Grundwehrdienern durch einen wegen Vernachlässigung von Sorgfaltspflichten herbeigeführten Unfall (1 Ob 10/86 = SZ 59/112; 1 Ob 39/87 = SZ 60/264). Amtshaftung tritt nicht nur gegenüber Dritten, sondern etwa auch gegenüber Heeresangehörigen ein, wenn andere Bundesheerangehörige Schäden bei Erfüllung ihres Dienstes herbeigeführt haben (vgl nur RIS-Justiz RS0031603; Schragel, AHG3 Rz 300 unter Hinweis auf SZ 60/264 und 1 Ob 42/91). Auch derartige Fälle sind von der Wertung des § 9 Abs 5 AHG gedeckt, nach der das (möglicherweise) schuldtragende Organ nicht als beklagte Partei in einen Zivilprozess gezogen werden soll.

Da sich somit die Klageführung gegen die beklagte Amtsärztin als unzulässig erweist, ist die klagezurückweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Der Kläger ist (auch) im Rechtsmittelverfahren unterlegen und hat der Beklagten daher die dieser entstandenen Kosten zu ersetzen (§ 50 Abs 1, § 41 Abs 1, § 51 Abs 1 ZPO).

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