OGH 13Os27/12p

OGH13Os27/12p10.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wohlmuth als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kemal Ö***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 31 U 162/11t des Bezirksgerichts Fünfhaus, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Oktober 2011, AZ 135 Bl 45/11k (ON 23 der U-Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wien legte Kemal Ö***** mit Strafantrag vom 22. Juni 2010 (ON 3) zur Last, vom 1. April 2004 bis zum 16. April 2010 in 1140 Wien seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber der am 16. September 2001 geborenen Tuana Ö***** gröblich verletzt und dadurch bewirkt zu haben, dass der Unterhalt oder die Erziehung der Unterhaltsberechtigten gefährdet wurde oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet worden wäre, indem er unzureichende Unterhaltszahlungen leistete.

Am 31. März 2011 trat das mit diesem Strafantrag angerufene Bezirksgericht Fünfhaus das Verfahren zuständigkeitshalber an das Bezirksgericht Meidling ab (ON 1 S 7), welches sich ebenfalls als nicht zuständig erachtete und demzufolge am 11. April 2011 gemäß § 38 letzter Satz StPO die Akten dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts vorlegte (ON 1 S 8).

Dieses stellte mit Beschluss vom 4. Oktober 2011 (ON 23) die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Fünfhaus fest und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Hauptwohnsitz des Angeklagten vom 16. Juli 2004 bis (laut ON 10 richtig) 10. November 2004 (und nach einigen Wohnsitzwechseln vom 4. Juli 2006 bis zum Ende des Tatzeitraums) im Sprengel des Bezirksgerichts Fünfhaus gelegen war. Da der Beschuldigte im Tatzeitraum in Österreich behördlich gemeldet war, sei der (im Sprengel des Bezirksgerichts Meidling gelegene) Wohnsitz der Unterhaltsberechtigten für die Zuständigkeitsbegründung nicht von Bedeutung.

In ihrer dagegen zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde (§ 23 StPO) erachtet die Generalprokuratur das Gesetz aufgrund folgender Überlegungen verletzt:

Gemäß § 36 Abs 3 erster Satz StPO ist für das Hauptverfahren primär das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder werden sollte. Liegt dieser Ort im Ausland oder kann er nicht festgestellt werden, so ist der Ort maßgebend, an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten hätte sollen. Fehlt es auch an einem solchen, so sind für die Gerichtszuständigkeit der Reihe nach andere Kriterien entscheidend, nämlich der (letzte) Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Angeklagten, der Ort seiner Betretung oder der Sitz der die Anklage einbringenden Staatsanwaltschaft (§ 36 Abs 3 zweiter und dritter Satz StPO).

Die Strafprozessordnung knüpft demnach bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit im Hauptverfahren - im Einklang mit der staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeitsregelung des § 25 StPO - in erster Linie an den Ort der (versuchten) Tatausführung an (Oshidari, WK-StPO § 36 Rz 6).

Bei (auch unechten) Unterlassungsdelikten - wie zB dem Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht (vgl Markel in WK² § 198 Rz 40) - ist Tatort jener Ort, an dem der Täter durch das pflichtwidrige Nichthandeln den strafbaren Tatbestand hergestellt (Nordmeyer, WK-StPO § 25 Rz 1) bzw das zur Erfolgsabwendung gebotene Tun pflichtwidrig unterlassen hat (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren [2005] Rz 93; ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 47).

Die ältere Rechtsprechung (zu § 51 StPO aF) hat als Tatort der Unterhaltspflichtverletzung neben dem Wohn- bzw Aufenthaltsort des Unterhaltschuldners bei Fälligkeit der Unterhaltsschuld auch den gewöhnlichen Aufenthaltsort des unterhaltsberechtigten Kindes gelten lassen (Mayerhofer StPO5 § 51 E 5). Dies mit gutem Grund, weil (auch die Geld-) Unterhaltsschuld im Zivilrecht - zutreffend mit Blick darauf, dass der Kindesunterhalt am Aufenthaltsort des Kindes sichergestellt werden muss - überwiegend als Bringschuld angesehen und als Erfüllungsort demnach der Wohnsitz bzw Aufenthaltsort des Kindes angenommen wird (RIS-Justiz RS0108476; Reischauer in Rummel³ § 905 Rz 21; zum Erfüllungsort bei „Bringschuld“ siehe auch Bollenberger in KBB³ § 905 Rz 4).

Dieser Auffassung ist jüngst auch der Oberste Gerichtshof in Strafsachen gefolgt (11 Ns 19/11z mwN; dies nachdem zuvor zu 13 Ns 9/11v die Zuständigkeitsfrage [nur] mit Blick auf den Wohnsitz des Unterhaltsschuldners gelöst worden war, wobei in diesem Fall die Berücksichtigung des Wohnorts des Kindes [zu Beginn des Deliktszeitraums] zum selben Ergebnis geführt hätte).

Da es sich beim Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 StGB um ein Dauerdelikt handelt (Markel in WK² § 198 Rz 63 f), ist innerhalb des Deliktszeitraums jeder Wohnsitz bzw Aufenthaltsort des Unterhaltspflichtigen und des Unterhaltsberechtigten als Tatort anzusehen (nochmals 11 Ns 19/11z).

Obwohl § 36 Abs 3 StPO - allerdings nicht beim Ort der Ausführungshandlung, sondern nur bei der subsidiären Anknüpfung an den Wohnsitz oder den Aufenthaltsort des Angeklagten - im Fall mehrerer Wohn- oder Aufenthaltsorte des Beschuldigten ausdrücklich auf den zeitlich letzten dieser Orte abstellt, orientierte sich der Oberste Gerichtshof hier wiederholt an § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO:

Danach kommt in dieser Bestimmung, wonach das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zukommt, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt, der Grundsatz der Anknüpfung an das frühere kriminelle Handeln zum Ausdruck. Dieses Prinzip ist auch auf den im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Fall des zeitlich aufeinanderfolgend an mehreren Tatorten begangenen Dauerdelikts anzuwenden (vgl erneut 13 Ns 9/11v, 11 Ns 19/11z).

Da nach dem Inhalt des gegenständlichen Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien der Strafantrag einen präsumtiven Tatzeitraum vom 1. April 2004 bis zum 16. April 2010 umfasst und in Ansehung des Beginns des Deliktszeitraums der Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Angeklagten nicht aktenkundig ist (ON 5), wohl aber jener der Unterhaltsberechtigten (in 1120 Wien [ON 17]), ist auf letzteren abzustellen, woraus sich die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Meidling ergibt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Nach § 36 Abs 3 erster Satz StPO ist für das Hauptverfahren (primär) das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Der solcherart für die Kompetenzbegründung maßgebende Ausführungsort ist jener Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder - im (hier interessierenden) Fall der Begehung durch Unterlassung - hätte handeln sollen (§ 67 Abs 2 StGB). Beim Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 198 Abs 1 StGB) ist dies nach ständiger Judikatur (RIS-Justiz RS0091802) und herrschender Lehre (Leukauf/Steininger StGB³ § 198 RN 33; Markel in WK² § 198 Rz 23; Nordmeyer, WK-StPO § 25 Rz 2) der Wohnsitz des Unterhaltspflichtigen.

Die zu AZ 11 Ns 19/11z ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs widerspricht dem - entgegen der Ansicht der Generalprokuratur - keineswegs, weil darin (soweit im gegebenen Zusammenhang von Interesse) bloß ausgeführt wird, dass der Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten auch „Tatort“ ist, und das Gesetz als Tatort nicht bloß den Handlungsort, sondern auch jenen Ort nennt, an dem ein dem Tatbild entsprechender Erfolg ganz oder zum Teil eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen (§ 67 Abs 2 StGB). Damit steht die angeführte Entscheidung im Einklang mit Rechtsprechung und Lehre, wonach das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 198 Abs 1 StGB) ein Erfolgsdelikt ist und der solcherart tatbestandsessentielle Erfolg, nämlich die Gefährdung des Unterhalts oder der Erziehung des Unterhaltsberechtigten, als an dessen Wohnsitz eingetreten anzusehen ist (13 Os 78/79, EvBl 1980/8; 9 Os 140/79; 9 Os 114/86; Höpfel/U. Kathrein in WK² § 67 Rz 4; Leukauf/Steininger StGB³ § 67 Rz 6a, § 198 Rz 33; Markel in WK² § 198 Rz 23; Nordmeyer, WK-StPO § 25 Rz 2; Triffterer SbgK § 67 Rz 18).

Der Hinweis der Generalprokuratur, dass Unterhaltsschulden auch dann, wenn sie in Geld zu leisten sind, in der zivilrechtlichen Judikatur und Lehre vorwiegend (nicht in Anwendung der für Geldschulden im Allgemeinen bestehenden Zweifelsregel des § 905 Abs 2 ABGB als Schickschulden, sondern) als Bringschulden angesehen werden, trifft zwar zu, ist aber für die Beurteilung des (strafrechtlichen) Handlungsorts nicht aussagekräftig. Die zivilrechtliche Einordnung als Bringschuld sagt nämlich über den Ort, an dem der Verpflichtete (persönlich) handeln muss, nichts aus (vgl zB Bollenberger in KBB³ § 905 Rz 4). Deutlich wird dies auch im - in Bezug auf Geldschulden praktisch wichtigsten - Fall der Überweisung: Liegt eine Bringschuld vor, hat der Verpflichtete Sorge zu tragen, dass der geschuldete Betrag rechtzeitig bei der Bank des Berechtigten einlangt (Reischauer in Rummel³ § 905 Rz 21), wogegen eine Pflicht, die Handlung (hier: Überweisung) an einem bestimmten Ort vorzunehmen, unter diesem Aspekt keineswegs besteht.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Annahme, beim Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 198 StGB) sei ausschließlich der Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten Handlungsort, dazu führen würde, dass in den Fällen, in denen der Wohnsitz des Unterhaltspflichtigen, nicht jedoch jener des Unterhaltsberechtigten im Inland liegt, die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben wäre (§ 62 StGB). Diese Annahme würde den Anwendungsbereich der inländischen Strafdrohungen - in vom Gesetzgeber unerwünschter Weise (EBRV 30 BlgNR 13. GP 180) - erheblich einengen und überdies der angeführten einhelligen Judikatur- und Lehrmeinung widersprechen. Der Ansatz, sowohl der Wohnsitz des Unterhaltsverpflichteten als auch jener des Unterhaltsberechtigten sei Handlungsort, würde (bei gleichzeitigem Bestehen beider im Inland) wiederum - dem aus Art 18 Abs 1 und2 B-VG folgenden Bestimmtheitsgebot (Mayer, B-VG4 Art 18 Tz A. II.1.) im Allgemeinen sowie dem durch Art 83 Abs 2 B-VG und Art 6 Abs 1 MRK garantierten Recht auf den gesetzlichen Richter (Mayer, B-VG4 Art 83 TzA II.2.) im Besonderen widerstreitend - zu nicht definierter örtlicher Zuständigkeit führen.

Da es sich beim Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB um ein Dauerdelikt handelt (RIS-Justiz RS0113143; Markel in WK² § 198 Rz 64; Ramsauer SbgK § 198 Rz 13), ist bei Wohnsitzwechsel innerhalb des Tatzeitraums jeder Wohnsitz des Unterhaltspflichtigen Tatort (13 Ns 9/11v, 11 Ns 19/11z; Nordmeyer, WK-StPO § 25 Rz 1).

Fallbezogen folgt daraus, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien den Kompetenzkonflikt zutreffend gelöst hat, weil nach den vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu Grunde gelegten, von der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht beanstandeten Sachverhaltsannahmen (ON 23; RIS-Justiz RS0126648, RS0122466) der Wohnsitz des Angeklagten im Tatzeitraum zwar im Sprengel des Bezirksgerichts Fünfhaus, nicht jedoch in jenem des Bezirksgerichts Meidling gelegen war.

Die Zuständigkeitsbegründung nach dem Ort des Erfolgseintritts, hier also nach dem Wohnsitz der Unterhaltsberechtigten, ist im Gesetz nur subsidiär vorgesehen (§ 36 Abs 3 zweiter Satz StPO) und kam solcherart nicht in Betracht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

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