Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. März 2011, AZ 8 Hv 136/09b, wurde ‑ soweit hier wesentlich ‑ Dr. Peter S***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür nach dem zweiten Strafsatz des § 153 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Dagegen hat dieser Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet.
Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 12. Jänner 2012, AZ 9 Fss 2/11h, wurde sein Antrag vom 5. Dezember 2011, dem Landesgericht für Strafsachen Graz eine Frist für die Ausfertigung des mündlich verkündeten Urteils zu setzen (§ 91 Abs 1 GOG), mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass „die geltend gemachte Säumnis bei der Ausfertigung des Urteils (noch) nicht anzunehmen“ sei.
Die in Rede stehende Verfahrenshandlung wurde am 30. Jänner 2012 nachgeholt (vgl die vom Obersten Gerichtshof eingeholte Stellungnahme des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 1. Februar 2012), eine Urteilsausfertigung dem Verteidiger am 7. Februar 2012 zugestellt.
Mit seiner am 30. Jänner 2012 beim Obersten Gerichtshof (somit rechtzeitig innerhalb der sechsmonatigen Frist des Art 35 Abs 1 MRK [13 Os 135/06m, EvBl 2007, 154, 832]) eingelangten Eingabe begehrt Dr. Peter S***** gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 MRK (durch Verletzung des allgemeinen Beschleunigungsgebots in Strafsachen) ‑ in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 12. Jänner 2012 ‑ die Erneuerung des gegen ihn geführten Strafverfahrens (§ 363a StPO).
Rechtliche Beurteilung
Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden.
Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen (also solchen, die eine wirksame Beschwerde iSd Art 13 MRK darstellen; Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonvention 5 § 24 Rz 168) Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonvention 5 § 13 Rz 26 ff, 34 ff; RIS-Justiz RS0122737).
Rechtsbehelfe gegen Verletzungen des Gebots angemessener Verfahrensdauer sind dann wirksam iSd Art 13 MRK, wenn sie den behaupteten Verstoß oder dessen Fortsetzung verhindern, dadurch das Verfahren also präventiv beschleunigt wird, oder wenn sie (nachfolgend) angemessene Wiedergutmachung für eine bereits erfolgte Verletzung gewähren. Auch der EGMR räumt den Staaten eine Wahlmöglichkeit zwischen solcherart präventiv oder kompensatorisch ausgerichteten Rechtsmitteln ein ( Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonven-tion 5 § 24 Rz 182 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR; RIS-Justiz RS0126050).
Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Möglichkeit der Erneuerung eines Strafverfahrens nach § 363a StPO aufgrund eines darauf gerichteten, nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Antrags nicht unbedingt auf in rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergangene (End-)Entscheidungen beschränkt ist. Subsidiarität in einem solchen Erneuerungsverfahren bedeutet demnach (bloß) Erschöpfung des Instanzenzugs in Ansehung der nach grundrechtlichen Maßstäben zu prüfenden (Einzel-)Entscheidung. Solcherart können Fehlentwicklungen im noch anhängigen Strafverfahren aufgezeigt und die Grundrechtskonformität einzelner gerichtlicher Entscheidungen im Interesse einer einheitlichen, menschenrechtlichen Standards entsprechenden Rechtsanwendung klargestellt werden (vgl grundlegend: 13 Os 16/09s mwN).
Hintanhaltung der geltend gemachten Verfahrensverzögerung oder deren Fortsetzung steht hier nicht mehr in Rede, weil die versäumte Verfahrenshandlung vom Gericht bereits am 30. Jänner 2012 (am Tag des Einlangens des Erneuerungsantrags beim Obersten Gerichtshof) nachgeholt wurde.
Anerkennung der durch die gegenständliche Säumnis bei der Urteilsausfertigung bereits bewirkten
unangemessen langen
Verfahrensdauer als Konventionsverstoß (Art 6 Abs 1 MRK) und dessen Ausgleich (durch
ausdrückliche und
messbare Strafmilderung) aber kann ‑ iSd Art 13 MRK gleichermaßen ‑ wirksam im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde (
zur Möglichkeit der Geltendmachung von Konventionsverstößen mittels Sanktionsrüge vgl ausführlich Ratz , WK-StPO § 281 Rz 86, 724; 14 Os 187/10x) und die ‑ entgegen dem in der Äußerung des Antragstellers zur Stellungnahme der Generalprokuratur (§ 363a Abs 2 StPO) vertretenen Auffassung keineswegs „von vorneherein aussichtslose“ ‑ Berufung (vgl § 34 Abs 2 StGB) durchgesetzt werden, womit dem
Erneuerungsantrag insoweit mangelnde Rechtswegausschöpfung (Art 35 Abs 1 MRK) entgegensteht (vgl mit Beziehung auf im Hauptverfahren durchsetzbare Beschuldigtenrechte, die im Ermittlungsverfahren verweigert wurden: RIS-Justiz RS0126370).
Der Erneuerungsantrag des Dr. Peter S***** war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).
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