OGH 15Os15/12p

OGH15Os15/12p28.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer in der Strafsache gegen Markus L***** wegen der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 14. September 2011, GZ 16 Hv 172/09a-68, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Markus L***** (im zweiten Rechtsgang) des Verbrechens (richtig: mehrerer Verbrechen) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 schuldig erkannt.

Danach hat er in B***** und W*****

1./ im August 1993 die am 18. Dezember 1985 geborene Barbara W***** dadurch sexuell missbraucht, dass er die Unmündige aufforderte, sich nach vorne über den Badewannenrand zu beugen, und sein erigiertes Glied von hinten bis zum Samenerguss zwischen ihrem Gesäß und den Oberschenkeln rieb;

2./ an zumindest drei Tagen ab Sommer 1995 oder 1996 die am 10. August 1990 geborene Nicole U***** dadurch sexuell missbraucht, dass er in Gegenwart der Unmündigen onanierte, sie dazu veranlasste, an seinem Glied zu lecken, sie im Scheidenbereich betastete und eine digitale Penetration vornahm.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Ergänzung“ des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Max N***** zum Beweis dafür, dass - bezogen auf Nicole U***** und Barbara W***** - die Wiedergabe von frühkindlichen Erlebnissen nach Jahrzehnten nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit und Verlässlichkeit erfolgen könne (ON 53 S 43), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Zwar kann eine Beweisführung über die Beweiskraft von Beweisen angezeigt sein, jedoch kommt zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen - welche nach dem Gesetz (§ 258 Abs 2 StPO) allein dem erkennenden Gericht zusteht (vgl RIS-Justiz RS0097364; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 9) - die Hilfestellung durch einen Sachverständigen nur in jenen Ausnahmefällen in Betracht, in denen Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung oder für sonstige Defekte gegeben sind (vgl RIS-Justiz RS0120634; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Da solche im Zeitpunkt der Antragstellung weder vorlagen noch im Beweisantrag konkret dargetan wurden, strebte der Beschwerdeführer der Sache nach die unzulässige Aufnahme eines Erkundungsbeweises an (RIS-Justiz RS0099841, RS0099353). Das erst im Rechtsmittel zur Fundierung des Begehrens erstattete Vorbringen ist unbeachtlich, weil die Antragsberechtigung stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117). Bleibt anzumerken, dass dem Beweisbegehren ohnedies zum Teil durch die ergänzende Befragung des Sachverständigen Dr. N***** (ON 61 S 4 ff) entsprochen wurde.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) liegt Aktenwidrigkeit nur dann vor, wenn der eine entscheidende Tatsache betreffende Inhalt einer Aussage oder Urkunde in den Entscheidungsgründen in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben wird (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467; RIS-Justiz RS0099431), während der Vorwurf an die Tatrichter, aus einer Aussage statt der vertretbarerweise gezogenen Schlüsse nicht andere abgeleitet zu haben, bloß unzulässige Kritik an deren Beweiswürdigung darstellt. Letzteres unternimmt aber die Beschwerde in Bezug auf die kritisierte Feststellung zum - nach einer Aussprache erfolgten - „Bruch“ zwischen den Geschwistern Elisabeth V***** und Doris U***** sowie deren Familien (US 5). Im Übrigen betrifft die gerügte Konstatierung keine entscheidende Tatsache und steht auch nicht im Widerspruch zu den Angaben der Zeugin Doris U*****, welche sich auf eine Zeit vor dieser Aussprache bezog (ON 53 S 20).

Die Beschwerdebehauptung, die Feststellungen zum Vorfall im August 1993 (1./; US 4) würden großteils den Aussagen der Zeugen V*****, Martin W***** und Josefine Wa***** widersprechen, ist unter dem Aspekt der Aktenwidrigkeit unbeachtlich (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 468) und zielt auf eine - in dieser Form unzulässige - Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter ab.

Unter Hinweis auf die Angaben der Zeugin V*****, es habe nach 1991 keine Übergriffe mehr gegen Barbara W***** gegeben, behauptet die Mängelrüge der Sache nach eine unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall) des vom Erstgericht zu 1./ festgestellten Tatzeitpunkts. Sie nimmt dabei nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394), übersieht sie doch, dass sich die Tatrichter mit den Angaben der Zeugin V***** hinreichend auseinandergesetzt (US 10) und die kritisierte Feststellung mängelfrei aus den Angaben des Zeugen Hubert W***** (US 12) abgeleitet haben.

Dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war das Gericht nicht verpflichtet, sämtliche Details der Aussagen des Zeugen Martin W***** im Einzelnen zu erörtern (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428; RIS-Justiz RS0098778), wobei es die Beschwerde auch verabsäumt, einen Widerspruch zwischen Feststellungen und dazu angestellter Beweiswürdigung oder innerhalb der beweiswürdigenden Überlegungen (Z 5 dritter Fall) deutlich und bestimmt zu bezeichnen. Soweit sich die Beschwerde auf (nicht verfahrensgegenständliche) „Übergriffe vor dem Jahr 1991“ bezieht, spricht sie überdies keine erheblichen Tatsachen an.

Indem die Beschwerde selektiv und aus dem Zusammenhang gerissen Angaben des Sachverständigen Dr. N***** zu zitieren behauptet und daraus „erhebliche Zweifel an der Aussagequalität und am Gesamtbild“ abzuleiten versucht, macht sie keinen formalen Begründungsmangel geltend und übersieht, dass die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen - aufgrund des von ihnen in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks - als kritisch-psychologischer Vorgang der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen ist (RIS-Justiz RS0106588; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Angemerkt wird, dass die dem Schuldspruch I./ zugrunde liegende Tat zu Unrecht dem Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 statt dem Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl I 2009/40 unterstellt wurde (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), weil nach dem gemäß §§ 1, 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleich das zur Tatzeit geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung nicht günstiger als das zur Zeit der Urteilsfällung in Geltung stehende Recht war. Für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO bestand jedoch kein Anlass, weil dies - angesichts des in beiden Fällen gleichen Strafsatzes - dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereicht (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 23; Höpfel/U. Kathrein in WK² § 61 Rz 20).

Dem Angeklagten liegen - entgegen dem Schuldspruch - mehrere gleichartige Verbrechen in Realkonkurrenz zur Last, die er teils als Jugendlicher und teils als junger Erwachsener begangen hat. Befindet ein Gericht über mehrere strafbare Handlungen, die der Täter innerhalb unterschiedlicher Altersgrenzen verübt hat, so ist zur Bildung einer einheitlichen Strafe der Strafrahmen für die jeweiligen selbstständigen strafbaren Handlungen unter Berücksichtigung von § 5 JGG und § 36 StGB festzustellen und gemäß § 28 StGB der konkret anzuwendende Strafrahmen nach dem Absorptionsprinzip zu bestimmen (Schroll in WK2 JGG § 5 Rz 2 f). Weil nach dem Ergebnis dieser Prüfung vorliegend die Jugendstraftat den Strafrahmen nicht beeinflusst, erfolgte die „Anwendung“ (nicht nur des § 36 StGB, sondern auch) des § 5 Z 4 JGG bei der Strafbemessung - wenngleich nicht zum Nachteil des Angeklagten - zu Unrecht (vgl 15 Os 194/08f).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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