OGH 11Os21/12s

OGH11Os21/12s15.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Perovic als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gottfried W***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 204 St 47/11v der Staatsanwaltschaft Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Juni 2011, AZ 134 Bl 67/11p (ON 13 der Ermittlungsakten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Juni 2011, AZ 134 Bl 67/11p (ON 13 der Ermittlungsakten AZ 204 St 47/11v der Staatsanwaltschaft Wien), verletzt in seinem Punkt 2./ § 196 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 391 Abs 2 StPO.

Dieser Punkt des Beschlusses wird aufgehoben und es wird dem Erstgericht insoweit die neue Entscheidung aufgetragen.

Text

Gründe:

Das bei der Staatsanwaltschaft Wien zu AZ 204 St 47/11v geführte Ermittlungsverfahren gegen Gottfried W***** wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB zum Nachteil der am 7. August 1997 geborenen V***** S***** wurde von der Staatsanwaltschaft Wien am 25. März 2011 gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt (Anordnungs- und Bewilligungsbogen ON 1 S 5).

Den von der Unmündigen, vertreten durch die Mutter als gesetzliche Vertreterin, rechtzeitig eingebrachten Antrag auf Fortführung (ON 9) wies das Landesgericht für Strafsachen Wien als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 6 Z 3 StPO) mit Beschluss vom 28. Juni 2011, AZ 134 Bl 67/11p (ON 13 der Ermittlungsakten), ab (Punkt 1./ des Beschlusses) und trug der Antragstellerin unter einem gemäß § 196 Abs 2 StPO die Zahlung eines Pauschalkostenbeitrags von 90 Euro auf (Punkt 2./ des Beschlusses).

Zur Begründung des zuletzt genannten Ausspruchs führte das Landesgericht für Strafsachen Wien (auf BS 9) wie folgt aus: „Die Kostenentscheidung Punkt 2./ des Spruches gründet sich auf § 196 Abs 2 StPO. Nach den im Verfahren hervorgekommenen Umständen ergibt sich kein Grund für die Annahme, dass der Kostenbeitrag von 90 Euro wegen Mittellosigkeit des Antragstellers (auch nicht bloß zum Teil) hereingebracht werden könnte (§ 391 StPO).

Die Kostenentscheidung ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.

Punkt 2./ des Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Juni 2011, AZ 134 Bl 67/11p, steht - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Wird ein Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens (§ 195 StPO) zurück- oder abgewiesen, hat das Gericht gemäß § 196 Abs 2 zweiter Satz StPO dem Antragsteller die Zahlung eines Pauschalkostenbeitrags von 90 Euro aufzutragen. § 196 Abs 2 letzter Satz StPO ordnet überdies die sinngemäße Geltung von § 391 StPO an. Letztgenannte Bestimmung sieht - soweit hier von Relevanz - in deren Abs 2 vor, dass das Gericht - soweit tunlich - gleich bei Schöpfung des Erkenntnisses die Kosten für uneinbringlich zu erklären hat, wenn nach den im Verfahren hervorgekommenen Umständen mit Grund anzunehmen ist, dass die Kosten des Strafverfahrens wegen Mittellosigkeit des Zahlungspflichtigen auch nicht bloß zum Teil hereingebracht werden können.

Entscheidungen (§ 35 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StPO) sind dann rechtsfehlerhaft, wenn die Ableitung der Rechtsfolge aus dem vom Entscheidungsträger zu Grunde gelegten Sachverhaltssubstrat das Gesetz verletzt oder die Sachverhaltsannahmen entweder in einem rechtlich mangelhaften Verfahren zu Stande gekommen oder aufgrund eines formalen Begründungsmangels willkürlich sind (RIS-Justiz RS0126648; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 17; vgl auch RIS-Justiz RS0123668, RS0120232).

Letzteres ist hier der Fall, liegt doch durch den substanzlosen Gebrauch der verba legalia ohne jeden Sachverhaltsbezug keine Begründung für die Nichtannahme der Voraussetzungen des § 391 Abs 2 erster Halbsatz StPO vor.

Mit Blick auf die unerörtert gebliebene, sich aus der Vernehmung der - damals dreizehnjährigen - V***** S***** ergebende (ON 2 S 27) Tatsache, dass sie Schülerin ist und keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, sowie unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Akteninhalt derzeit auch keinerlei Anhaltspunkte dafür bietet, die Antragstellerin würde über ausreichende eigene Mittel verfügen, ist solcherart von einer willkürlichen Begründung der Kostenentscheidung auszugehen. Die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Zahlungspflichtigen wären vielmehr durch entsprechende Erhebungen (zB durch die Sicherheitsbehörden) näher abzuklären und begründet festzustellen gewesen (vgl Lendl, WK-StPO § 391 Rz 5).

Da die Auferlegung eines Pauschalkostenbeitrags an das Opfer die Interessen des Beschuldigten nicht berührt, konnte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs mit konkreter Wirkung ausgestaltet werden (vgl SSt 61/17).

Stichworte