OGH 3Ob230/11m

OGH3Ob230/11m22.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Peter Bibiza, Rechtsanwalt in Wien, wegen 145.999,34 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2011, GZ 16 R 144/11f-92, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 2. Mai 2011, GZ 57 Cg 6/09k-86, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Beklagten gelingt es aus folgenden, kurz darzustellenden Gründen (§ 510 Abs 3 ZPO) nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, sodass sich ihre außerordentliche Revision als nicht zulässig erweist:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Notwendigkeit der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen eine Frage der Beweiswürdigung; gleiches gilt für die Entscheidung, einem Sachverständigen nicht zu folgen sowie für die Prüfung, ob die Einholung eines Ergänzungsgutachtens erforderlich war oder jemand die für die Erfüllung der Aufgabe eines Sachverständigen notwendige Fachkunde hatte. Auch die Beurteilung, ob ein verwertetes Sachverständigengutachten getroffene Feststellungen stützt, dieses Gutachten erschöpfend ist, oder an den Sachverständigen weitere Fragen zu richten gewesen wären, fällt ausschließlich in den Bereich der Beweiswürdigung (16 Ok 8/10; 10 Ob 16/03f je mwN; RIS-Justiz RS0043320; RS0113643; RS0040586; RS0043163; vgl RS0043414; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 503 ZPO Rz 149 f mwN). Die Beklagte übersieht diese Rechtsprechung, wenn sie die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend macht, weil es die Entscheidung des Erstgerichts, von der Beiziehung eines von der Beklagten beantragten weiteren Sachverständigen (für Hämatologie) Abstand zu nehmen, bestätigte.

Die Erstrichterin hat konsequent und zutreffend ua die Frage, ob ein weiteres, von der Beklagten verlangtes Gutachten aus dem Fachgebiet der Hämatologie einzuholen ist, im Rahmen ihrer Beweiswürdigung behandelt und - auch nach eingehender Auseinandersetzung mit vom von der Beklagten vorgelegten hämatologischen Privatgutachten -jedenfalls schlüssig und nachvollziehbar verneint. Sowohl die Bekämpfung dieser Überlegungen mit zahlreichen Argumenten in der Berufung als auch deren Behandlung durch das Berufungsgericht sind daher - ungeachtet ihrer Zuordnung zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens - aus dem Blickwinkel der Beweisrüge und deren Erledigung zu beurteilen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS-Justiz RS0043150; RS0043268); es ist aber nicht verpflichtet, sich im Rahmen der Überprüfung der vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen mit jedem einzelnen Beweisergebnis und mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0043162; vgl RS0043371 [T13]). Den Anforderungen hat das Berufungsgericht entsprochen, weil bei der gebotenen Gesamtschau seiner Ausführungen bei der Behandlung der Mängel- und Beweisrügen klar hervorgeht, dass es die beweiswürdigenden Überlegungen des Erstgerichts zu den Bewertungen der Gerichts- und Privatgutachten - zum Teil sogar unter Verweis auf § 500a ZPO - billigt und für zutreffend erachtet. Eine mangelhafte Begründung des Berufungsgerichts vermag die Revision daher in diesem Zusammenhang nicht aufzuzeigen. Vom Revisionsgericht ist aber nicht zu überprüfen, ob eine vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung richtig oder fehlerhaft ist (RIS-Justiz RS0043150 [T5]), weil der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist.

2. Die Begründung für die geltend gemachte Nichtigkeit, die die Beklagte wegen Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch Nichtbehandlung ihres Beweisantrags auf Beiziehung eines hämatologischen Sachverständigen in zwei Instanzen verwirklicht sieht, ist - wie die vorherigen Ausführungen zeigen - aktenwidrig. Abgesehen davon ist das rechtliche Gehör gewahrt, wenn den Parteien Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt darzulegen und wenn sie sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, äußern können (RIS-Justiz RS0005915 [T17]; RS0074920 [T18]), was hier zweifellos in jedenfalls ausreichendem Maß der Fall war. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Partei keine Gelegenheit hat, alle gewünschten (zum Teil mehrfach wiederholten und ohnehin bereits beantworteten) Fragen an den beigezogenen Sachverständigen zu stellen (vgl RIS-Justiz RS0074920 [T19]).

3. Davon, dass der Beklagten die Möglichkeit genommen worden sei, den von der Judikatur geforderten vollen Gegenbeweis zur fehlenden Kausalität des Behandlungsfehlers zu erbringen, kann keine Rede sein. Dem Kläger ist ja nicht nur der Anscheinsbeweis der Kausalität gelungen, sondern - wie den erstgerichtlichen Feststellungen (Ersturteil S 10/11) und der Beweiswürdigung dazu (S 15) unzweifelhaft zu entnehmen ist - der volle Beweis der Kausalität; das Erstgericht ging nämlich - von der Beklagten erfolglos bekämpft und für den Obersten Gerichtshof bindend - von hoher Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs, also von der Erfüllung des Regelbeweismaßes der ZPO (RIS-Justiz RS0110701) aus. Da die dem Kläger zugestandene Beweiserleichterung gar nicht zum Tragen kam, liegt schon deshalb keine Schlechterstellung der Beklagten vor.

4. Auch der Vorwurf zur Nichtberücksichtigung der für 2005 geltenden Diagnosekriterien der WHO geht ins Leere. Das Erstgericht ist der exakten, auf zahlreiche Argumente gestützten und schlüssigen Begründung des Sachverständigen im Rahmen der Erörterung seines schriftlichen Gutachtens (zB ON 78 S 7 ff), warum trotz Nichtvorliegens der dargestellten WHO-Kriterien das Vorliegen einer essentiellen Thrombozythämie beim Kläger von den Ärzten der Beklagten nach der ersten Unterschenkelamputation 2005 nicht ausgeschlossen hätte werden dürfen, nachvollziehbar in seiner Beweiswürdigung gefolgt (Ersturteil S 13/14); das wurde vom Berufungsgericht bei der Behandlung der Beweisrüge gegen die entsprechende Feststellung ausdrücklich gebilligt (Berufungsurteil S 19/20).

Eine rechtliche Notwendigkeit, Feststellungen zu den Diagnosekriterien der WHO zu treffen, besteht im Zusammenhang mit der dem Sachverständigen vorbehaltenen Beantwortung dieser Frage nicht.

5. Zur Zurückweisung des Beweisantrags auf Vernehmung einer Oberärztin eines Drittspitals genügt der Hinweis, dass sie nur zu einem letztlich unerheblichen Beweisthema (Behandlung des Klägers im zweiten Spital schon am 9. Jänner 2006 bei stabilem Allgemeinzustand) geführt wurde (ON 61 S 8; ON 66 S 9 f). Der Kläger hat zuletzt (ON 78 S 1 f) zugestanden, dieses Spital an diesem Tag ohne konkrete Beschwerden aufgesucht zu haben, sodass diese Tatfrage unstrittig wurde (§ 266 ZPO). Die weiteren Umstände, die die Beklagte nach ihrem Revisionsvorbringen durch die Aussage dieser Zeugin geklärt haben will, bilden aber kein in erster Instanz genanntes Beweisthema. Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß bildet nur dann den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RIS-Justiz RS0043027). Fehlt es einem Beweisantrag an der Bezeichnung eines erheblichen Beweisthemas, so vermag weder das Übergehen dieses Beweisantrags durch das Erstgericht noch die behauptete unzureichende oder rechtlich unhaltbare Behandlung der deshalb erhobenen Mängelrüge durch das Berufungsgericht einen wesentlichen Verfahrensmangel zu verwirklichen, weil dieser Beweis nicht aufzunehmen war (§ 275 Abs 1 ZPO).

6. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Kosten des Berufungsverfahrens ist unanfechtbar (RIS-Justiz RS0044233).

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