OGH 12Os168/11i

OGH12Os168/11i31.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Leonard D***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung des Angeklagten Leonard D***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 8. August 2011, GZ 36 Hv 35/11p-58, und über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO sowie die Beschwerde des Angeklagten Leonard D***** gegen den Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 28. September 2011, GZ 36 Hv 35/11p-62, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerde des Leonard D***** wird nicht Folge gegeben.

Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten Leonard D***** und der Staatsanwaltschaft sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Schuld- und Freisprüche anderer Angeklagter enthält, wurde Sandra R***** von dem wider sie erhobenen Vorwurf in Richtung des Vergehens der Begünstigung nach §§ 15 Abs 1, 299 Abs 1 StGB, sie habe am 29. April 2011 durch die wahrheitswidrige Bekundung gegenüber Kontrollinspektor Herbert S***** vom Stadtpolizeikommando Wiener Neustadt, Lukas G***** habe in der Nacht zum 1. April 2011 bei ihr geschlafen und in dieser Zeit die Wohnung sicher nicht verlassen, den Letztgenannten, der eine im Urteil beschriebene und mit Strafe bedrohte Handlung - nämlich das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB - begangen habe, der Verfolgung absichtlich zu entziehen versucht, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf Z 8, in eventu Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - Berechtigung nicht zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Vor Urteilsfällung hatte das Erstgericht der Angeklagten R***** angeboten, „hinsichtlich der falschen Beweisaussage mit einer Diversion nach § 200 StPO“ vorzugehen und den Beschluss auf „Ausscheidung des Faktums der falschen Beweisaussage hinsichtlich Sandra R***** zur Durchführung der diversionellen Erledigung“ gefasst (ON 57 S 15).

Die Staatsanwaltschaft weist zutreffend darauf hin, dass der vorliegende Subsumtionsfreispruch vom Vorwurf des Vergehens der Begünstigung nach §§ 15 Abs 1, 299 Abs 1 StGB wegen Idealkonkurrenz mit dem nach Ansicht der Anklagebehörde vorliegenden Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB rechtlich verfehlt war (RIS-Justiz RS0120128). Ein Subsumtionsfreispruch ist stets unwirksam und kann daher mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden.

Aber auch die eventualiter erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) führt nicht zum Erfolg. Ziel der Bekämpfung des Freispruchs vom Vorwurf einer Tat aus dem genannten Nichtigkeitsgrund ist nämlich (irgend-)ein Schuldspruch des Angeklagten wegen dieser Tat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 634). Die ersatzlose Beseitigung eines Freispruchs - wie im vorliegenden Fall von der Staatsanwaltschaft angestrebt - kann damit jedoch nicht erreicht werden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen sowie die Beschwerde der Staatsanwaltschaft folgt (§ 285i StPO).

Anzumerken bleibt, dass die fehlende Möglichkeit zur Beseitigung dieses rechtlich verfehlten Freispruchs von einer ideell konkurrierenden strafbaren Handlung (rechtlichen Kategorie) weder die endgültige diversionelle Erledigung des in der Anklage (ON 26) unter Punkt IV./ beschriebenen, vom Erstgericht nur mehr § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB unterstellten Tatvorwurfs hindert noch im Fall eines allfälligen Scheiterns der Diversion einem hierauf folgenden verurteilenden Erkenntnis entgegensteht. Da Schuldspruch bzw gerichtliche Einstellung des Verfahrens gemäß § 199 StPO und Freispruch der Angeklagten von derselben Tat (im materiellen Sinn) denkunmöglich nebeneinander bestehen können, ist im Hinblick darauf, dass das Erstgericht durch „die Ausscheidung des Faktums der falschen Beweisaussage“ und das diesbezügliche Anbot gemäß § 200 StPO deutlich genug zum Ausdruck gebracht hat, vom Fortbestehen der Strafbarkeit des Verhaltens der Angeklagten auszugehen, mit dem dennoch - rechtsirrig - erfolgten Subsumtionsfreispruch vom Vorwurf der Begünstigung die „ne bis in idem“-Wirkung nämlich nicht verbunden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 525); der Freispruch ist vielmehr prozessual unbeachtlich (Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1).

Zur Beschwerde des Angeklagten Leonard D*****:

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. September 2011 (ON 62) hat die Vorsitzende des Schöffengerichts „die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde“ des Leonard D***** gemäß § 285a Z 2 StPO zurückgewiesen.

Die dagegen erhobene Beschwerde dieses Angeklagten ist nicht berechtigt.

Denn dem Beschwerdevorbringen zuwider begann die - nach Urteilszustellung am 29. August 2011 - am 26. September 2011 abgelaufene Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung durch die Zustellung des Urteils an den erst nach letztgenanntem Zeitpunkt, nämlich mit Beschluss vom 29. September 2011 (ON 1 iVm ON 65), bestellten Verfahrenshelfer nicht neu zu laufen; dies unbeschadet der vom Wahlverteidiger am 9. September 2011 bekannt gegebenen Beendigung des Vollmachtsverhältnisses (ON 64; 12 Os 12/10x [12 Os 13/10v, 12 Os 14/10s] mwN).

Dieser Beschwerde war daher nicht Folge zu geben.

Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen (12 Os 12/10x [12 Os 13/10v, 12 Os 14/10s]; Lendl, WK-StPO § 390a Rz 11).

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