OGH 9ObA119/11g

OGH9ObA119/11g21.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter DI Rudolf Pinter und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Löffler Jelincic Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei E***** G*****, vertreten durch Dr. Peter Döller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.350,43 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Juli 2011, GZ 8 Ra 30/11g-43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Streitteile schlossen am 9. 7. 2008 im Verfahren ***** des Erstgerichts einen Prämienvergleich, in dem sich die nunmehrige Klägerin im Rahmen der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses mit der Beklagten ua zur Zahlung von 180.000 EUR brutto binnen 14 Tagen ab Rechtswirksamkeit des Vergleichs verpflichtete. Im Fall des Zahlungsverzugs wäre sie zur Zahlung von 505.262,54 EUR brutto verpflichtet gewesen. Am 29. 7. 2008 übermittelte der Klagevertreter dem Beklagtenvertreter eine vorläufige Berechnung des Nettobetrags (96.722,72 EUR) und fragte nach, ob diese in Ordnung gehe. Der Beklagtenvertreter erwiderte, dass die Berechnung unrichtig sei. In der Folge gelang es der Klägerin nicht, von der Wiener Gebietskrankenkasse eine verlässliche Stellungnahme über die Höhe der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zu bekommen. Aus größter Vorsicht zahlte sie an die Beklagte den deren Berechnung zugrundeliegenden Betrag von 111.388,69 EUR netto, hielt aber durch ihren Klagevertreter in einem Schreiben vom 11. 8. 2008 fest, dass sie sich die Rückforderung des Differenzbetrags bei einer allfälligen Sozialversicherungspflicht vorbehalte. Am 26. 11. 2008 teilte der Klagevertreter dem Beklagtenvertreter mit, dass nach der von der Wiener Gebietskrankenkasse vorgenommenen Prüfung (die nach dem Revisionsvorbringen im September 2008 stattfand) der Klägerin lediglich 96.722,72 EUR netto zustünden und forderte die Rückzahlung des überhöht ausbezahlten Betrags. Richtigerweise errechnet sich der Nettobetrag mit 102.038,26 EUR.

Die Vorinstanzen gaben dem zuletzt auf die Rückzahlung von 9.350,43 EUR sA gerichteten Begehren der Klägerin statt, wobei sie letztlich von einer Rückforderbarkeit des Anspruchs iSd § 1431 ABGB, der einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliege, ausgingen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, die für ihren Standpunkt entscheidungswesentlich wäre:

Die Beklagte ist zusammengefasst der Ansicht, dass der Klägerin kein Rückforderungsanspruch mehr zusteht, weil das Abzugsrecht nicht nach den Vorgaben des § 60 Abs 1 Satz 2 ASVG spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrags nächstfolgenden Entgeltzahlung ausgeübt worden sei und nicht von einem mangelnden Verschulden der Klägerin ausgegangen werden könne.

Die Bestimmung des § 60 Abs 1 ASVG lautet:

§ 60. (1) Der Dienstgeber ist berechtigt, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsteil vom Entgelt in barem abzuziehen. Dieses Recht muss bei sonstigem Verlust spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrages nächstfolgenden Entgeltzahlung ausgeübt werden, es sei denn, dass die nachträgliche Entrichtung der vollen Beiträge oder eines Teiles dieser vom Dienstgeber nicht verschuldet ist. Im Falle der nachträglichen Entrichtung der Beiträge ohne Verschulden des Dienstgebers dürfen dem Versicherten bei einer Entgeltzahlung nicht mehr Beiträge abgezogen werden, als auf zwei Lohnzahlungszeiträume entfallen.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in den Entscheidungen 9 ObA 229/93 und 3 Ob 15/96, aber auch 8 ObA 63/01z den Umfang und die Bedeutung dieser Bestimmung bei Nachzahlungen - mögen diese auch im Rahmen von Vergleichen erfolgen - eingeschränkt. Aber auch wenn man diese Bestimmung bei Beitragsnachzahlungen für aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs geleistete Entgeltzahlungen anwendete, so ist die Beurteilung, ob die nachträgliche Entrichtung von Beiträgen auf einem Verschulden des Dienstgebers beruht, nur nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Von Fällen einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen, wird dadurch keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO begründet (vgl RIS-Justiz RS0087606). Eine solche liegt hier aber angesichts dessen, dass sich die Ermittlung der Beitragsleistungen aufgrund des Vergleichs sehr kompliziert gestaltete (und auch die Wiener Gebietskrankenkasse ein vom Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen deutlich abweichendes Ergebnis erzielt hatte), nicht vor. Mit der Argumentation der Beklagten, dass ein Verschulden der Klägerin spätestens ab dem Zeitpunkt der Beitragsprüfung im September anzunehmen sei, übersieht sie, dass § 60 Abs 1 Satz 2 ASVG das Verschulden auf die nachträgliche Beitragsentrichtung bezieht.

Davon ausgehend kann aber die zeitliche Beschränkung des Rechts des Dienstgebers auf Abzug der Dienstnehmeranteile iSd § 60 Abs 1 Satz 2 ASVG von vornherein nicht greifen, weil fehlendes Verschulden an der nachträglichen Entrichtung den Verlust dieses Rechts gerade ausschließt (s im Übrigen auch 9 ObA 222/93). Die von der Beklagten zitierte Ansicht von Derntl in Sonntag, ASVG2 § 60 Rz 3, wonach selbst der periodenkongruente Abzug, wenn sowohl Entgelt als auch Beiträge ursprünglich falsch ermittelt und nun nachbezahlt werden, aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung nur dann gestattet sein kann, wenn er mit der auf die Fälligkeit des Beitrags nächstfolgenden Entgeltzahlung ausgeübt wird, ist offenkundig auf Fälle einer verschuldeten nachträglichen Entrichtung bezogen. Erwägungen dahin, ob die zeitliche Grenze des § 60 Abs 1 Satz 2 ASVG überhaupt auf Konstellationen wie die vorliegende, in der der Arbeitgeber einen dem Dienstnehmeranteil entsprechenden Betrag bereits ausbezahlt hat und im Nachhinein zurückfordert, übertragbar ist, erübrigen sich damit.

Andere Gründe, aus denen angesichts des Vergleichsabschlusses im Juli 2008, einer Beitragsprüfung im September 2008 und eines Rückforderungsbegehrens im November 2008 der Anspruch der Klägerin verfristet oder verfallen sein könnte, werden nicht aufgezeigt.

Völlig vertretbar ist auch die Ansicht der Vorinstanzen, dass die nur unter Vorbehalt erfolgte Auszahlung des Klagsbetrags nach den Umständen des Falls einen der Rückforderung entgegenstehenden gutgläubigen Verbrauch der Beklagten ausschließt.

Schließlich kann im vorliegenden Fall die Generalbereinigungsklausel des Vergleichs einer Differenz der Streitteile bei dessen Erfüllung nicht entgegenstehen.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

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