Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der Vater des Minderjährigen ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Horn vom 28. 5. 2008 (ON 7) verpflichtet, zum Unterhalt des Minderjährigen einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 200 EUR zu leisten.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Horn vom 3. 2. 2009 wurden dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2011 in Titelhöhe gewährt (ON 9). Mit Beschluss des Erstgerichts vom 13. 1. 2011 wurden die bisher gewährten Unterhaltsvorschüsse von Amts wegen auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG umgestellt, da sich der Unterhaltspflichtige ab 6. 7. 2010 in Untersuchungshaft befand (ON 13, 15). Mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 3. 2011 wurden aufgrund der Entlassung des Vaters aus der Haft am 28. 2. 2011 die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG beendet und die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG wieder in Geltung gesetzt (ON 19).
Mit Schreiben vom 9. 3. 2011 (ON 21) teilte der Vater dem Erstgericht mit, sich auf gerichtliche Weisung hin seit 28. 2. 2011 für sechs Monate in der „Zukunftsschmiede“ in stationärer Therapie aufzuhalten. Für die Dauer des Aufenthalts habe er keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Krankengeld und erhalte keine Unterstützung vom Sozialamt. Er verfüge somit über kein Einkommen und beantrage, ihn von 28. 2. 2011 bis Ende August 2011 von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben.
Mit Beschluss des Erstgerichts vom 11. 3. 2011 (ON 23) wurde wegen des Unterhaltsenthebungsantrags des Vaters die Innehaltung der Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse angeordnet.
Der Jugendwohlfahrtsträger sprach sich namens des Kindes gegen eine Unterhaltsenthebung des Vaters aus. Die „Zukunftsschmiede“ sei eine kostenpflichtige private Einrichtung. Der Vater habe die Möglichkeit, seine Therapie im Rahmen eines Krankenstands in einer öffentlichen Krankenanstalt mit Bezug von Taggeld abzuwickeln (ON 26).
Unstrittig steht fest, dass der Vater mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. 1. 2011 wegen einer Straftat gegen das Suchtmittelgesetz sowie einer mit der Beschaffung von Suchtmitteln in Zusammenhang stehenden Straftat und wegen des Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde. Gleichzeitig erfolgte der Widerruf einer bedingten Strafnachsicht zu Urteilen des Landesgerichts Krems/Donau vom 28. 2. 2007 und des Landesgerichts Korneuburg vom 30. 3. 2009.
Das Erstgericht enthob den Vater vom 1. 3. 2011 bis 31. 8. 2011 von seiner Unterhaltsverpflichtung. Es traf folgende Feststellungen:
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. 2. 2011 wurde dem Vater hinsichtlich der Verurteilung vom 17. 1. 2011 ein Strafaufschub gemäß § 39 Abs 1 Z 2 SMG gewährt, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme (§ 11 Abs 2 SMG) zu unterziehen, und zwar einer stationären psychotherapeutischen Behandlung und einer daran anschließenden ambulanten Behandlung mit wöchentlichen Einzelsitzungen und engmaschig durchgeführten Harnkontrollen unter Übernahme der Kostentragung für die stationäre Therapie für maximal sechs Monate. Angeordnet wurde in diesem Beschluss weiters, dass der Vater am 28. 2. 2011 der Therapieeinrichtung „Zukunftsschmiede“ zu übergeben ist. Notstandshilfe (Überbrückungshilfe) hat der Vater nur bis 5. 7. 2010 bezogen.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass sich der Vater aufgrund einer strafgerichtlichen Weisung im Rahmen eines gewährten Strafaufschubs in sechsmonatiger Therapie in einer bestimmten Therapieeinrichtung befinde, weshalb für ihn keine Möglichkeit bestehe, diese Therapie im Rahmen eines Krankenstands (mit Bezug von Taggeld) in einer öffentlich-rechtlichen Krankenanstalt abzuwickeln. Da der Vater für die Dauer der Therapie über keinerlei Einkünfte verfüge, sei sein Antrag auf Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung berechtigt.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zur Klärung der erheblichen Rechtsfrage zulässig sei, welche Verpflichtungen einen Unterhaltspflichtigen bei Wahl eines Therapieplatzes im Rahmen der Maßnahme nach § 39 SMG zur Vermeidung einer Obliegenheitsverletzung treffen. Das Rekursgericht traf aus dem Akt (ON 25) folgende ergänzende Feststellungen:
Aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens wurde die Suchtmittelabhängigkeit des Vaters festgestellt und seine Therapiefähigkeit und Therapiemotivation für ausreichend eingeschätzt. Im Gutachten wurde die Weisung zu einer stationären psychotherapeutischen Behandlung und einer daran anschließenden ambulanten Behandlung mit wöchentlichen Einzelsitzungen und engmaschig durchzuführenden Harnkontrollen empfohlen; es müsse eine gesamte Therapiedauer von zwei Jahren angenommen werden. Die Staatsanwaltschaft trat einem Strafaufschub nicht entgegen, weshalb die Voraussetzungen für einen Haftaufschub nach § 39 SMG vorlagen.
Personen, die wegen Suchtgiftmissbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesundheitsbezogene Maßnahmen gemäß § 11 Abs 2 SMG bedürften, müssten sich den notwendigen und zweckmäßigen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren, nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen unterziehen. Der Strafaufschub nach § 39 SMG setze unter anderem voraus, dass der Verurteilte an Suchtmittel gewöhnt sei und sich bereit erkläre, sich einer notwendigen und zweckmäßigen, ihm nach den Umständen möglichen und zumutbaren sowie nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahme, gegebenenfalls einschließlich einer bis sechs Monate dauernden stationären Aufnahme zu unterziehen. Das Strafgericht könne die Art der gesundheitsbezogenen Maßnahmen bestimmen, dabei komme es auf eine Stellungnahme einer geeigneten ärztlichen Einrichtung bzw Arztes an. Gerichtsnotorisch sei, dass Drogentherapieeinrichtungen, in denen Therapien nach § 39 SMG durchgeführt werden könnten, mit Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 1. 3. 2010, BMJ-L703.015/0001-II 2/2010, festgelegt worden seien; darunter befände sich auch die Zukunftsschmiede Voggeneder, nicht hingegen die - im Rekurs genannte - Sonderkrankenanstalt Anton Proksch-Institut. Eine vertragliche Vereinbarung zwischen diesem Institut und dem Bundesministerium für Justiz bestehe nicht, weshalb dort keine Therapiemöglichkeit über Anordnung des Gerichts nach § 39 SMG bestehe. In den im genannten Erlass angeführten Therapieeinrichtungen, mit denen eine vertragliche Vereinbarung vom Bundesministerium für Justiz bestehe, werde kein Krankengeld ausbezahlt, weil keine dieser Anstalten den Status eines Sonderkrankenhauses besitze. Amtsbekannt sei weiters folgende Vorgangsweise bei Aufschiebung des Strafvollzugs nach § 39 SMG: Stellten die sozialen Dienste in den Justizanstalten eine Therapiebedürftigkeit eines Insassen fest, finde ein Beratungsgespräch mit einem Berater aus den anerkannten Drogentherapieeinrichtungen statt. Aufgrund dieser Beratung, dem Freiwerden eines Platzes, eines ärztlichen Gutachtens, in dem die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer stationären Behandlung festgestellt wird, und einer - im Anlassfall vorliegenden - Einwilligung des Betroffenen werde sodann der Strafvollzug gemäß § 39 SMG gegen eine stationäre Behandlung aufgeschoben. Dabei könne sich der Verurteilte nicht aussuchen, ob er eine Therapie ambulant oder stationär durchführe, dies werde ihm vom Gericht vorgeschrieben. Der Vater hätte sich lediglich gegen eine Therapie entscheiden können, was jedoch den Vollzug der Strafhaft nach sich gezogen hätte. Die vom Jugendwohlfahrtsträger unterstellte Wahlmöglichkeit, eine ambulante Therapie bzw eine Therapie in einer Sonderkrankenanstalt durchzuführen, habe der Vater nicht gehabt. Somit könne der Unterhaltspflichtige keinen wesentlichen Einfluss darauf nehmen, in welcher Institution er die Therapie durchzuführen habe. Auch wenn er der Therapie zustimmen müsse, wäre die Alternative nur gewesen, dass es mangels Zustimmung zu keiner Behandlung gekommen wäre. Damit hätte der Vater infolge des Strafvollzugs dem Kind durch seine Haft zwar Unterhaltsvorschüsse ermöglichen können; da er aber mit der Behandlung seine weitere Arbeitsfähigkeit verbessern könne, sei ihm die Zustimmung zu der letztlich vom Strafgericht angeordneten Therapie nicht als Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten anzulasten. Die Entscheidung des Strafgerichts bestätige, dass beim Vater eine Suchterkrankung vorliege und es ihm vor entsprechender Behandlung kaum möglich sein werde, dauerhaft seine Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen. Unter diesen Umständen sei der Vater nicht in der Lage, Einkommen zur Alimentation des Kindes zu erwerben. Da in sämtlichen anerkannten Drogentherapieeinrichtungen keine Möglichkeit bestehe, Krankengeld zu erhalten, und da keine Wahlmöglichkeit zwischen ambulanter Therapie und Therapie in einer Sonderkrankenanstalt bestehe, sei dem Unterhaltspflichtigen nicht vorzuwerfen, die Therapie nicht in einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung angetreten und die Therapieeinrichtung nicht gewechselt zu haben. Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzielte Einnahmen dürfe nur erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran treffe, dass er ihm zumutbare Einnahmen nicht erziele. Schuldhaft sei vorsätzliche Unterhaltsflucht (absichtlicher Mindererwerb, um sich der Unterhaltszahlung zu entziehen); es genüge aber auch (leicht) fahrlässige Herbeiführung eines Einkommensmangels durch Außerachtlassung pflichtgemäßer zumutbarer Einkommensbemühungen. Maßstab sei das Verhalten eines pflichtgemäßen rechtschaffenen Vaters. Die vom Unterhaltspflichtigen getroffenen Entscheidungen (etwa über die Wahl des Arbeitsplatzes) seien danach zu beurteilen, ob sie nach der subjektiven Kenntnis und Einsicht des Unterhaltspflichtigen im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung zu billigen gewesen seien. Selbst wenn demnach ein Unterhaltspflichtiger als pflichtbewusster Vater auf die Erfüllung seiner Sorgepflichten achten müsse, erscheine es unbillig, von einem Häftling bei der Wahl des Therapieplatzes zu verlangen darauf zu achten, dass er eine staatliche Unterstützung erhalte. Die vom Jugendwohlfahrsträger unterstellte Wahlmöglichkeit des Vaters habe nicht bestanden; auch könne die Therapie zur Wiederherstellung der Arbeitskraft des Vaters beitragen. Die Entscheidung des Vaters für die ihm vorgeschlagene Form der Therapie, möge er während dieser Zeit auch kein Einkommen erzielen, sei keine Obliegenheitsverletzung des Unterhaltspflichtigen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrsträgers als Vertreter des Minderjährigen ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Nach Auffassung der Rechtsmittelwerberin könne das Strafgericht zwar eine gesundheitsbezogene Maßnahme nach § 11 Abs 2 SMG bestimmen, die Wahl der therapeutischen Einrichtung stehe dem Verurteilten aber frei. Der Vater hätte daher eine solche Einrichtung wählen müssen, bei der ihm für die Dauer der Therapie Krankengeld zustehe.
1. Der Senat teilt die Auffassung des Rekursgerichts und verweist auf dessen zutreffende Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).
2. Gemäß § 39 SMG kann der Vollzug einer Freiheitsstrafe wegen Suchtmitteldelikten für bis zu zwei Jahre aufgeschoben werden, wenn sich der Verurteilte zu einer gesundheitsbezogenen Maßnahme iSd § 11 Abs 2 Z 1 bis 5 SMG verpflichtet.
3. Das Gericht kann die gesundheitsbezogene Maßnahme nur der Art nach bestimmen. Die Bestimmung einer konkreten Therapieeinrichtung und/oder die Verpflichtung zu einer stationären Behandlung sind unzulässig (§ 39 Abs 2 erster Satz SMG; Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK StGB² § 39 SMG Rz 29 ff).
4. Zutreffend hat das Rekursgericht zur Auswahl einer entsprechenden Einrichtung als amtsbekannt festgestellt, dass diese in Zusammenarbeit zwischen Gericht und in Frage kommender Therapieeinrichtung nach Maßgabe eines freien Platzes ausgewählt und dem Verurteilten vorgeschlagen wird. Dieser kann den Vorschlag zwar ablehnen, doch führt dies angesichts der - notorisch - knappen Therapieplätze in aller Regel zum Entfall der gesundheitsbezogenen Maßnahme. Das von der Rekurswerberin unterstellte echte Wahlrecht zwischen verschiedenen Therapieeinrichtungen besteht demnach in der Praxis nicht.
5. Bei dieser Sachlage kann in der Entscheidung des Vaters für einen ihm angebotenen bestimmten Therapieplatz, gemessen am Verhalten eines pflichtbewussten Familienvaters bei gleicher Sachlage (vgl RIS-Justiz RS0105085, RS0113751, RS0047590; 4 Ob 245/01k), keine Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten liegen, dient doch die Therapie gerade dazu, die Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen wieder herzustellen.
6. Insoweit ist der Sachverhalt auch jenem der Entscheidung 4 Ob 86/11t = RIS-Justiz RS0111082 [T4] vergleichbar, wo der Senat erst jüngst Kosten der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung und der psychotherapeutischen oder medizinischen Behandlung aufgrund einer strafgerichtlichen Weisung gemäß § 179a StVG als von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzugsfähig beurteilt hat (vgl auch RIS-Justiz RS0047491 [T4] zu den im Rahmen eines Schuldenregulierungsverfahrens zu tragenden finanziellen Verpflichtungen des Unterhaltspflichtigen).
7.1. Das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln, die zur Zeit der Entscheidung erster Instanz bereits eingetreten oder vorhanden waren (nova reperta), ist grundsätzlich nur zulässig, wenn sie nicht schon vor Fassung des Beschlusses erster Instanz vorgebracht werden hätten können (§ 49 Abs 2 AußStrG). Sofern die betreffenden Umstände nicht ohnehin schon eindeutig und zweifelsfrei dem Akteninhalt zu entnehmen sind, hat der Rechtsmittelwerber die Zulässigkeit der Neuerungen zu behaupten und schlüssig darzulegen und erforderlichenfalls auch zu bescheinigen, dass die Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens auf einer entschuldbaren Fehlleistung beruht (RIS-Justiz RS0120290).
7.2. Erstmals im Rekurs und wiederholt im Revisionsrekurs hat die Jugendwohlfahrtsbehörde eingewendet, dem Vater sei als Obliegenheitsverletzung anzurechnen, dass er keinen Antrag auf Fortbezug der Notstandshilfe gemäß § 37 AlVG gestellt habe, der ihn zum Bezug von Krankengeld während der Therapie berechtigt hätte. Da die Rechtsmittelwerberin diese Einwendung erstmals im Rekurs vorgetragen und zu den Voraussetzungen des § 49 Abs 2 AußStrG nichts vorgebracht hat, konnte sie das Rekursgericht nicht berücksichtigen. Neue Tatsachen werden aus Gründen des Kindeswohls nur in Obsorge- und Besuchsrechtsstreitigkeiten berücksichtigt (st Rsp RIS-Justiz RS0050037 [T5, T6] und RS0119918 [T1], vgl Posani, Kindeswohl und Grenzen richterlicher Prüfungsbefugnisse, ÖJZ 2011/48).
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