OGH 15Os126/11k

OGH15Os126/11k14.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Potmesil als Schriftführer in der Strafsache gegen Maria P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. Juni 2011, GZ 9 Hv 34/11p-42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, der Angeklagten und ihres Verteidigers, Dr. Schlegl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Unterbleiben der rechtlichen Unterstellung der dem Schuldspruch 2./ zugrunde liegenden Taten auch unter Abs 2 des § 27 SMG und demzufolge im Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung des Einziehungserkenntnisses und des Ausspruchs des Verfalls) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Maria P***** hat durch die dem Schuldspruch 2./ zugrunde liegenden Taten die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG begangen und wird für diese Vergehen und das ihr weiter zur Last liegende Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Die weitere Vorhaftanrechnung obliegt dem Erstgericht. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihrer Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird die Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Der Berufung wegen des Ausspruchs des Verfalls wird nicht Folge gegeben.

Der Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Maria P***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (2./) schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat sie „im Zeitraum Ende Juni 2010 bis 13. Jänner 2011 im Großraum Graz vorschriftswidrig Suchtgift

1./ in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem sie an im Urteil genannte Bekannte sowie weitere unbekannte Abnehmer insgesamt mindestens 2.552 Stück Substitol-Kapseln á 200 mg zum Stückpreis zwischen 22 Euro und 35 Euro gewinnbringend verkaufte, sowie

2./ erworben und besessen, indem sie zumindest ca 448 Stück Substitol-Kapseln á 200 mg durch Injektionen konsumierte“.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der zum Teil Berechtigung zukommt:

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet - der Sache nach - in Ansehung der festgestellten Menge der von der Angeklagten Dritten überlassenen morphinhältigen Kapseln, nämlich mindestens 2.552 Stück Substitol retard 200 mg, wäre das angefochtene Urteil „undeutlich, mit sich selbst in Widerspruch stehend“ bzw sei „nicht nachvollziehbar, woraus sich diese Menge ergibt“.

Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt vor, wenn mit Blick auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende - also eine für die Schuld- bzw Subsumtionsfrage maßgebliche - Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder aus welchen Gründen die Feststellung einer entscheidenden Tatsache erfolgt ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419, RIS-Justiz RS0117995).

Mit sich selbst im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen nur dann, wenn zwischen Feststellungen und deren zusammenfassender Wiedergabe im Urteilsspruch oder zwischen zwei oder mehreren Feststellungen oder zwischen Feststellungen und den dazu in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen ein Widerspruch besteht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 437, RIS-Justiz RS0119089).

Keine oder eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Gesetzen logischen Denkens und nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS-Justiz RS0099413).

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht die vor der Polizeiinspektion L***** handschriftlich angefertigte und bei ihrer ersten gerichtlichen Vernehmung inhaltlich aufrecht erhaltene Aufstellung der Angeklagten über ihre Lieferanten und die von diesen bezogenen Mengen an Substitol retard 200 mg (Beil ./1) ebenso ins Treffen wie die ursprüngliche Angabe der Angeklagten, (mehr als) 100 Lieferfahrten von Wien nach Graz unternommen zu haben (ON 13 S 25). Aus den überwachten Telefonaten und der Aussage der Zeugin A***** im Ermittlungsverfahren ergebe sich zudem, dass die Angeklagte immer bzw regelmäßig mehrere Zulieferer kontaktiert und durchschnittlich mehr als 20 Stück - je Fahrt - erworben habe. In Ansehung des Lieferanten Magomed Sch***** folgte das Erstgericht den Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung, nämlich von diesem nur 40 bis 50 Stück bezogen zu haben.

Darüber hinaus stützten die Tatrichter den Urteilssachverhalt auf den Umstand, dass im Überwachungszeitraum 7.883 Gesprächsverbindungen der Angeklagten registriert wurden, wobei allein in den letzten Tagen mehr als 100 Telefonate stattfanden, die der Vereinbarung von Treffpunkten für die Suchtgiftübergabe dienten (Abschlussbericht ON 23, S 7, Anlassbericht ON 6, S 6).

Schließlich maßen sie auch dem Geldbedarf der Angeklagten entscheidende Bedeutung zu, bezog diese doch lediglich Notstandshilfe und Kinderbeihilfe, hatte aber für Wohnungsmiete, Kreditrückzahlung, Treibstoffkosten sowie ihren sonstigen Lebensunterhalt (einschließlich des Bedarfs an Suchtgift) sowie jenen ihres minderjährigen Sohnes aufzukommen.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände gelangte das Erstgericht zur Überzeugung, dass die Angeklagte zumindest 3.000 Stück Substitol retard 200 mg angekauft, 448 Stück selbst konsumiert und zumindest 2.552 Stück an teils bekannte, teils unbekannte Abnehmer weiterverkauft hat, wobei es einräumte, dass die ursprünglichen Angaben der Angeklagten vor der Polizei (Verkauf von 3.000 Stück, Konsum von 850 Stück) wohl etwas zu hoch gegriffen waren (US 6 ff).

Mit der Beschwerdebehauptung, in Ansehung der „angeblichen Bezugsquelle“ der Angeklagten lägen „keinerlei Beweisergebnisse“ vor, übergeht die Beschwerdeführerin die vom Erstgericht für überzeugend erachtete schriftliche Aufstellung der Angeklagten vor der Polizei (US 7).

Dem Beschwerdevorbringen, den Feststellungen zum „Eigenkonsum“ der Angeklagten mangle es an einer Bezugnahme auf konkrete Beweisergebnisse, ist der ausdrückliche Hinweis des Erstgerichts auf die Aussagen der Angeklagten vor der Polizei und in der Hauptverhandlung entgegenzuhalten (US 3). Der Einwand, entgegen der erstgerichtlichen Annahme habe der Deliktszeitraum nur 197 Tage umfasst, woraus sich bei einem Tagesbedarf von drei - und nicht bloß zwei - Stück Substitol retard 200 mg eine Menge von 591 Stück dieses Medikaments errechne, betrifft keine entscheidende Tatsache, weil sich auch diesfalls - ausgehend von einer nahezu vollständigen, teils durch Verbrauch, teils durch Weiterverkauf erfolgten Verwertung der erworbenen Menge von zumindest 3.000 Stück (US 4) - ergäbe, dass die Angeklagte (weit) mehr als 1.675 Stück Substitol retard 200 mg, die insgesamt das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge an Morphin enthalten, anderen überlassen hätte.

Die Beschwerdekritik, es mangle an einer tragfähigen Begründung der Urteilsannahme, die Angeklagte habe 2.552 Stück an zum Teil bekannte, zum Teil unbekannte Abnehmer veräußert, wobei (nur) 538 Stück auf bekannte Abnehmer - und demnach 2.014 Stück auf unbekannte Abnehmer - entfielen, trifft nicht zu. Der von den Tatrichtern im Wesentlichen aus dem von der Angeklagten anfänglich zugestandenen Umfang des Ankaufs von Suchtgift in Verbindung mit der auffallend hohen Anzahl von Telefonaten zur Vereinbarung eines Ortes zur Übergabe von Suchtgift gezogene Schluss, die Angeklagte habe den über den hochgerechneten Eigenbedarf hinausgehenden Teil des erworbenen Suchtgifts gewinnbringend verkauft und damit zu einem erheblichen Teil ihren Lebensunterhalt und den ihres minderjährigen Sohnes bestritten, ist - auch wenn nur ein relativ geringer Teil namentlich bekannten Abnehmern zugeordnet werden konnte - nach Maßgabe von Logik und grundlegenden Erfahrungswerten nicht zu beanstanden.

Richtig ist, dass das Erstgericht insofern von der auf den Angaben der Angeklagten und deren Abnehmer im Ermittlungsverfahren basierenden Anklage abwich, als es zum Teil erheblich geringere Abnahmequanten feststellte, wenngleich dies der Beschwerde zuwider keineswegs „ohne entsprechende Beweisergebnisse“, sondern auf Basis der - von den Tatrichtern erörterten - Angaben der Abnehmer in der Hauptverhandlung erfolgte (US 8 f).

Soweit die Beschwerde vermeint, angesichts solcher Abweichungen auf der „Abnahmeseite“ sei es „nicht begründbar“, weshalb „die Annahmen auf der Ankaufsseite unwidersprochen bestehen bleiben“, kritisiert bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren jedoch unzulässigen Schuldberufung.

Gleiches gilt für das Beschwerdeargument, die von der Angeklagten vor der Polizei zugestandene Menge von 1.885 Stück Substitol retard 200 mg, die sie Unbekannten verkauft haben soll, wäre bloß das Ergebnis einer von den vernehmenden Polizeibeamten auf Basis einer - ebenfalls hochgerechneten - Gesamtzahl von 3.000 verkauften Stück vorgenommenen Differenzrechnung und den - nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß nehmenden - Einwand, die zur Urteilsbegründung herangezogene Einnahmen- und Ausgabenrechnung vernachlässige, dass die Angeklagte auch während des Deliktszeitraums freiwillige finanzielle Zuwendungen von Verwandten und ihrem Lebensgefährten erhalten hätte.

Im Übrigen betrifft die Frage, ob die Angeklagte nur 1.885 Stück Substitol retard 200 mg, wie es ihr in der Anklage zur Last gelegt wird, oder, wie im Urteil festgestellt, 2.014 Stück dieses Medikaments an unbekannte Abnehmer verkaufte, angesichts der im Urteil bekannten Abnehmern zugeordneten Menge von 538 Stück mit Blick auf die Erreichung der Qualifikationsgrenze bei 1.675 Stück Substitol retard 200 mg keine entscheidende Tatsache. Insofern konnte dem Beschwerdevorbringen zuwider unbeschadet Art 6 MRK eine Information der Angeklagten über diesen geänderten tatsächlichen Gesichtspunkt in der Hauptverhandlung unterbleiben (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480, 545).

Im dargelegten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

Hingegen wird in der Subsumtionsrüge (Z 10) mit Recht das Unterbleiben der Unterstellung der unter 2./ angeführten Taten auch unter § 27 Abs 2 SMG reklamiert. Den erstgerichtlichen Feststellungen zufolge hat die Angeklagte jedenfalls ab dem Jahr 2008/2009 täglich bis zu drei Kapseln Substitol retard 200 mg, die Morphin enthalten, für den Eigenbedarf erworben und besessen (US 3, 6). Auf dieser Basis kommt ihr die Privilegierung des § 27 Abs 2 SMG, nämlich die Straftat nach Abs 1 leg cit ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangen zu haben, zu Gute (vgl 12 Os 39/10t).

Insoweit war der Nichtigkeitsbeschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - Folge zu geben und in der Sache selbst zu Recht zu erkennen, dass die zu Schuldspruch 2./ beschriebenen Taten § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG zu unterstellen sind.

Bei der dadurch notwendig gewordenen Strafneubemessung waren als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit Vergehen sowie die einschlägigen Vorstrafen, als mildernd das teilweise Geständnis und die eigene Suchtgiftabhängigkeit zu werten. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat sowie der Persönlichkeit der Angeklagten angemessen. Einer auch nur teilbedingten Strafnachsicht steht das einschlägig getrübte Vorleben der Angeklagten entgegen.

Mit ihrer Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Berufung gegen den Ausspruch des Verfalls (im Urteilsspruch irrig als Abschöpfung der Bereicherung bezeichnet; vgl aber US 10) war nicht Folge zu geben, weil der für verfallen erklärte Vermögensbetrag in den Feststellungen über den erzielten Verkaufsgewinn (US 8) zwanglos Deckung findet und keine gesetzlichen Gründe für das Unterbleiben des Verfalls vorliegen. Dem auf eine Anwendung der Härteklausel des § 20a Abs 2 Z 3 StGB idF BGBl I 2004/136 abzielenden Berufungsvorbringen zuwider hat das Erstgericht zu Recht die Verfallsbestimmung des § 20 StGB idgF (BGBl I 2010/108) angewendet, weil dem Schuldspruch nach § 28a Abs 1, Abs 4 Z 3 SMG eine tatbestandliche Handlungseinheit zu Grunde liegt, die zeitlich bis in den Geltungsbereich des § 20 StGB idgF hinein reicht (vgl SSt 58/83; RIS-Justiz RS0091813).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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